„Ein wunderschönes selbstorganisiertes Labyrinth“
Jana Harlos
Kochsalz und Diamanten haben eines gemeinsam – ihre Bausteine sind in einer regelmäßigen Kristallstruktur angeordnet. Die Kräfte die zwischen den Bausteinen wirken, halten den Kristall zusammen. Spaltet man einen Kristall entlang einer bestimmten Richtung auf, können sich die Atome auf der Oberfläche auf verblüffende Weise umorganisieren. Dieses Verhalten haben Wissenschaftler nun in Kaliumtantalat, einem Kristall aus der Gruppe der Perowskite, im Detail untersucht. Welt der Physik sprach mit der beteiligten Physikerin Ulrike Diebold von der Technischen Universität Wien über die Experimente.
Welt der Physik: Was zeichnet einen Kristall aus?
Ulrike Diebold: Ein Kristall ist ein Festkörper, in dem die Atome sehr regelmäßig angeordnet sind. Eigentlich bestehen fast alle Festkörper aus Kristallstrukturen, die aber oftmals nur sehr klein sind. In unseren Experimenten haben wir dagegen mit Kristallen gearbeitet, die einige Zentimeter groß sind.
Welche Kristalle haben Sie denn untersucht?
Wir haben mit Kristallen experimentiert, die aus drei Komponenten bestehen – aus Sauerstoff und zwei verschiedenen Metallen. Die Atome im Kristall tauschen untereinander Elektronen aus und sind dadurch elektrisch geladen: Die Sauerstoffatome sind negativ geladen und die Metallatome positiv. Die daraus resultierenden anziehend und abstoßend wirkenden Kräfte halten diese Ionen an ihrem Platz im Kristall. Eine Ebene der Kristallstruktur kann man sich dann vereinfacht wie ein Schachbrett vorstellen – Sauerstoffionen und Metallionen sind also immer abwechselnd angeordnet. Die negativen Ionen sind dabei etwas größer und die positiven Ionen kleiner, weil sie Elektronen abgegeben haben.
In den Experimenten haben Sie die Kristalle entlang bestimmter Richtungen aufgespalten. Was würde man erwarten?
Spaltet man einen kubischen Kristall entlang einer passenden Richtung, dann müsste man – naiv betrachtet – eigentlich ausschließlich positive oder ausschließlich negative Ladungen an der Oberfläche finden – doch so ein Zustand wäre hochgradig instabil. Denn in einem solchen Kristall, der aus rein positiv und rein negativ geladenen Schichten bestünde, würde sich bereits in einer kleinen Materialprobe eine gewaltige elektrische Spannung von Millionen Volt ergebe. Um das zu vermeiden, müssen sich die Ladungsträger irgendwie umorganisieren, doch wie sie das machen, war bisher nicht ganz klar.
Wie lief das Experiment ab und was haben Sie herausgefunden?
Wir führen das Experiment in einer Vakuumkammer durch, um Fremdeinflüsse zu vermeiden, und haben einen ganz bestimmten Ablauf: Zunächst spalten wir den Kristall mit einer Art Skalpell, danach erhitzen wir den Kristall. Dazwischen beobachten wir mit Rastertunnel- und Rasterkraftmikroskopen, wie sich die Atome auf der Oberfläche verhalten. So haben wir beobachtet, dass sich die negativen Ladungen zunächst auf beide Hälften aufteilen. Diese negativen Ladungen sammeln sich dann auf dem positiven Untergrund an und bilden dadurch kleine negativ geladene Inseln. Diese Inseln zeigten ein unerwartetes Verhalten in den Versuchen.
Können Sie das beschreiben?
Zunächst nehmen die Inseln zufällige Formen an. Doch wenn man den Kristall erhitzt, bewegen sich die negativ geladenen Sauerstoffatome auf der Oberfläche von der Mitte der Inseln zu den Seiten. Je höher die Temperatur wurde, desto mehr gerade Linien und Ecken haben sich gebildet, bis sich die Atome zuletzt in einer Art Labyrinth angeordnet hatten.
Lässt sich erklären, warum sich ausgerechnet dieses Muster formt?
Da sich die negativen Ladungen in den Inseln abstoßen, werden diese Inseln immer kleiner, sobald sich die Sauerstoffionen frei bewegen können. Wir haben beobachtet, dass sich die Ionen im Kristall in einem energetisch günstigen und damit stabilen Zustand befinden, wenn etwa vier bis fünf Atome in der Labyrinthstruktur zusammenhängen. In diesem Zustand konnten wir den Kristall bis auf 500 Grad Celsius aufheizen, ohne dass sich die Struktur auflöste. Das Labyrinth ist damit der Grundzustand der Kristalloberfläche.
Könnte diese besondere Oberflächenstruktur für bestimmte Anwendungen interessant sein?
Kaliumtantalat hat interessante chemische Eigenschaften. Man kann diesen Kristall prinzipiell als Katalysator für die Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff mithilfe von Licht verwenden. Wir haben uns gedacht, dass das Labyrinth für diese sogenannte Photokatalyse sehr interessant sein könnte. Doch als wir untersuchten, wie sich die Oberfläche beim Kontakt mit Wasserdampf verhält, zeigte sich, dass das Labyrinth leider nicht stabil im Kontakt mit Wasser ist. Es löste sich auf und bildete sich erst durch das Verdampfen des Wassers wieder zurück.
Haben Sie schon weitere Experimente geplant?
Wir überlegen in Zusammenarbeit mit anderen Forschern die Kristalloberfläche mit einer speziellen Schicht zu stabilisieren, sodass wir das Labyrinth für die Katalyse nutzen könnten. Außerdem wollen wir auch andere Materialien auf dieses Verhalten hin untersuchen. Wir möchten herausfinden, ob das Spalten und das Ausbilden der Labyrinthstruktur mit unserem Experimentablauf auch mit anderen Kristallen möglich ist. Damit hätten wir dann eine neue Möglichkeit geschaffen, solche Materialien zu untersuche
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2018/ein-wunderschoenes-selbstorganisiertes-labyrinth/