Quasikristalle

Michael Schmiedeberg

Phasonen

Obwohl Quasikristalle bereits vor 30 Jahren entdeckt wurden, sind viele ihrer Eigenarten noch nicht vollständig verstanden. Deshalb untersuchen Forscher inzwischen neuartige Strukturen, die zum Beispiel aus Nanoteilchen oder Polymeren aufgebaut sind. Aus dieser Art von Quasikristallen könnten Materialien mit besonderen Eigenschaften entstehen.

Die Struktur einer metallischen Verbindung, die der Physiker Dan Shechtman 1982 erforschte, passte nicht in das Bild, das Wissenschaftler damals von Kristallen hatten. Die Anordnung der Atome in dieser Verbindung gehorchte zwar strengen Regeln, allerdings wiederholte sie sich nie, obwohl dies die Theorie der Kristalle forderte. Es war die Entdeckung einer vollkommen neuen Art, wie Atome angeordnet sein können. Inzwischen wurde eine ganze Reihe solcher Verbindungen beobachtet. Man bezeichnet sie als Quasikristalle. 2011 wurde Dan Shechtman für seine Entdeckung mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Struktur eines KristallgittersKochsalz

Animation: Struktur eines Kristallgitters

Wie ein Kristall besitzt ein Quasikristall zwar eine langreichweitige Ordnung, jedoch darf diese aperiodisch sein. Beim Blick auf Muster mit quasikristalliner Struktur fällt wahrscheinlich als Erstes auf, dass diese besondere Rotationssymmetrien besitzen können. Ein klassischer periodischer Kristall darf nur eine ein-, zwei-, drei-, vier- oder sechszählige Symmetrie haben. Dabei versteht man unter einer n-fachen Rotationssymmetrie, dass nach einer Drehung um ein n-tel von 360 Grad die Struktur wieder auf sich selbst abgebildet wird. Quasikristalle können andere Rotationssymmetrien aufweisen, zum Beispiel fünf-, acht-, zehn- und zwölfzählige Symmetrien.

Quasikristalle in der Bratpfanne

Wegen ihrer Eigenschaften sind Quasikristalle besonders dann interessant, wenn es um die Entwicklung neuer Materialien geht. Einige Quasikristalle weisen etwa eine sehr niedrige Reibung beim Kontakt mit anderen Stoffen auf. Zudem sind sie sehr hitzebeständig und verkratzen kaum. Seit einigen Jahren sind daher Pfannen mit quasikristallinen Antihaftbeschichtungen im Handel.

Quasikristalline Strukturen

Penrose-Parkett mit fünfzähliger Symmetrie

Auch als Katalysatoren bei chemischen Reaktionen eignen sich manche Quasikristalle hervorragend. Zum Beispiel lässt sich die Effizienz der Wasserstoffgewinnung aus Methanol erhöhen, wenn man quasikristalline Katalysatoren einsetzt. Und sollten in Zukunft die Prozessoren eines Computers nicht mehr mit elektrischem Strom sondern mit Licht funktionieren, so werden Quasikristalle wegen ihrer optischen Eigenschaften vielleicht Teil der dafür notwendigen photonischen Bauelemente sein. Photonische Quasikristalle können nicht aus einzelnen Atomen aufgebaut sein, sondern nur aus Teilchenverbünden, deren Größe vergleichbar ist mit der Wellenlänge von Licht, also rund tausendmal größer als Atome.

Mit solchen quasikristallinen Strukturen beschäftigen sich Forscher bereits seit einiger Zeit. Inzwischen stellen sie Quasikristalle aus Nanoteilchen, speziellen Polymeren oder Kolloiden her. Als Kolloide bezeichnet man beispielsweise mikroskopische Teilchen, die in einer Flüssigkeit fein verteilt sind. Da die einzelnen Bausteine dieser neuen Quasikristalle so viel größer sind als einzelne Atome, reicht manchmal schon ein Lichtmikroskop aus, um die Struktur und die Dynamik der Einzelteilchen zu beobachten. Aufwendige Streuexperimente sind dann nicht mehr nötig.

Rätselhafte Stabilität

Warum Quasikristalle so stabil sind, ist bei vielen beobachteten Strukturen noch nicht geklärt. Deshalb beschäftigen sich Wissenschaftler mit der Frage, welche Eigenschaften die einzelnen Teilchen haben müssen, um einen Quasikristall zu bilden. Die meisten heute bekannten metallischen Quasikristalle sind ternäre Verbindungen, das heißt, sie setzen sich aus drei verschiedenen Elementen zusammen. Vereinzelt gibt es binäre Legierungen mit quasikristalliner Symmetrie. Bis heute arbeiten Forscher intensiv daran herauszufinden, unter welchen Bedingungen Quasikristalle aus nur einer Teilchenart stabil sein können. Um dem Problem auf die Spur zu kommen, stellen sie Quasikristalle aus Teilchen her, die bestimmte Bindungswinkel bevorzugen, also insbesondere Winkel, die zu einer der speziellen Rotationssymmetrien von Quasikristallen führen.

Durchgehendes Muster aus violetten und weißen Bereichen. Es sind bestimmte Figuren wie Kreise oder Sterne zu erkennen, die viele Male, aber nicht periodisch auftauchen.

Interferenzmuster mit quasikristalliner Symmetrie

Eine andere Möglichkeit besteht darin, Teilchen zu verwenden, deren Nachbarteilchen auf mindestens zwei unterschiedlichen Abständen liegen können. Die beobachteten Quasikristalle zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass der Quotient aus den entsprechenden Längen keine rationale Zahl ist. Bei Quasikristallen mit fünf- oder zehnzähliger Symmetrie tritt als Quotient zum Beispiel immer wieder die Zahl des goldenen Schnitts, ungefähr 1,618, auf. Diese Zahl spielt interessanterweise auch in der Architektur und Kunst eine große Rolle.

Bei einer gänzlich anderen Methode zur Herstellung von Quasikristallen zwingt man die Teilchen von außen auf ihren bevorzugten Platz. Kolloidale Quasikristalle lassen sich zum Beispiel mit Laserstrahlen erzeugen. Bei der Überlagerung von fünf, sieben oder mehr Laserstrahlen entstehen Interferenzmuster mit quasikristalliner Struktur. Da Kolloide immer in die Bereiche höchster Laserintensität gezogen werden, ordnen sie sich in solchen Laserfeldern quasikristallin an.

Wenn Teilchen ihre Plätze wechseln

Eine weitere faszinierende Eigenart von Quasikristallen, die bis heute Gegenstand vieler Untersuchungen ist, sind die hydrodynamischen Schwingungsmoden, die in einem Quasikristall auftreten. Wie in einem Kristall kommt es unter dem Einfluss von Wärme zu Gitterschwingungen, das heißt, die Einzelteilchen in der Struktur schwingen um ihre Gleichgewichtslage. Diese Bewegungen werden auch Phononen genannt.

PhasonenKolloide im Laserfeld

Animationen: phasonische Verschiebung

In Quasikristallen kann es aber zusätzlich noch andere Moden, sogenannte Phasonen, geben. Bei diesen springen einige Teilchen an ganz neue Plätze. Derartige Umordnungen in der Struktur können so erfolgen, dass sich die Gesamtenergie des Quasikristalls nicht ändert. Inzwischen wurden die Bahnen, auf denen sich einzelne Teilchen bei einer phasonischen Verschiebung bewegen, mithilfe kolloidaler Quasikristalle identifiziert. Forscher vermuten, dass Phasonen die Materialeigenschaften eines Quasikristalls beeinflussen. Da Phasonen auch thermisch angeregt werden können, helfen sie vielleicht zu erklären, wie einige Materialeigenschaften von der Temperatur abhängen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/quasikristalle/