Reibung
Franziska Konitzer
Reibungskräfte lassen sich bislang nicht exakt berechnen oder vorhersagen. Wie Wissenschaftler dieses Phänomen inzwischen auf den allerkleinsten Größenskalen untersuchen, was Reibung für unseren Alltag bedeutet und warum ohne sie überhaupt nichts läuft, erklärte Franz Gießibl von der Universität Regensburg in unserem Podcast. Hier finden Sie den Beitrag zum Nachlesen.
Reibung ist definiert als der Widerstand, der bei der Bewegung zweier sich berührender Körper auftritt. Was zunächst etwas abstrakt klingen mag, ist in unserem Alltag allgegenwärtig – schon beim allmorgendlichen Aufstehen spielt Reibung eine wichtige Rolle:
Franz Gießibl: „Nehmen wir an, Sie versuchen aus dem Bett zu steigen. Ohne Reibung würden Sie sofort auf den Baden fallen, da die Reibung Ihnen laterale, also seitliche Kräfte vermittelt, wenn Sie Ihren Fuß auf den Boden setzen. Ohne Reibung müssten Sie Ihren Schwerpunkt stets exakt über Ihrer Standfläche halten. Das heißt: Ohne Reibung kommt man nicht weit.“
Rollen, haften oder gleiten zwei Körper aneinander, entsteht Reibung – diese wiederum erzeugt Wärme. Daher rieben unsere Vorfahren Holzstöcke aneinander, um Feuer zu machen. Allerdings: Die durch Reibung erzeugte Wärme kostet Energie, die ungenutzt verloren geht. Deshalb ist Reibung in vielen Fällen ein eher lästiges Phänomen.
„Reibung stört bei den meisten Maschinen, da sie Energieverluste verursacht und mechanische Energie in Wärme umwandelt. Das ist unerwünscht, da diese Energie verloren geht und man auch mehr kühlen muss.“
Bereits Leonardo da Vinci beschäftigten die Gesetzmäßigkeiten der Reibung. Allerdings veröffentlichte er seine Ergebnisse nie. Daher sind die klassischen Reibungsgesetze heute nach dem französischen Wissenschaftler Guillaume Amontons benannt, der sie 1699 einer zunächst skeptischen Öffentlichkeit vorstellte. Die Amontonsschen Gesetze besagen, dass die Reibungskraft direkt proportional zur Anpresskraft der beiden Flächen ist; und dass die Reibungskraft unabhängig von der Größe der Reibungsfläche ist. Je nachdem, auf welche Weise sich zwei Körper aneinander vorbei bewegen, unterschieden Wissenschaftler verschiedene Arten der Reibung: die Rollreibung zwischen Autoreifen und Straße etwa, oder die Haft- sowie die Gleitreibung. Dabei ist die Gleitreibung in aller Regel leichter zu überwinden als die Haftreibung.
Schrank macht Luftsprünge
„Das liegt daran, dass die Oberflächenbestandteile vibrieren, wenn ein Körper auf einem anderen Körper gleitet. Ein Beispiel wäre ein schwerer Schrank: Wenn Sie diesen in Schwingungen versetzen, wird die Reibung minimiert. Das kann man sich so vorstellen, dass der Schrank kleine Luftsprünge vollführt. In dem Moment, in dem sich der Schrank in der Luft befindet, ist der Kontakt zum Boden unterbrochen und es ist dann leichter, ihn zu bewegen.“
Doch was passiert eigentlich auf atomarer Ebene, wenn man bremst, einen Stuhl verrückt oder ein Streichholz anzünden will? Franz Gießibl hat die Reibung zwischen zwei einzelnen Atomen mit einem ausgeklügelten Verfahren gemessen.
„Wir hatten zwei Reibungspartner. Einer der Partner war ein Oberflächenatom einer Siliziumoberfläche. Der andere Partner war das Spitzenatom von einem sogenannten Rasterkraftmikroskop, das die Kraft nicht senkrecht, sondern parallel zur Oberfläche messen kann. Und dann haben wir festgestellt, dass – wenn wir diese Spitze seitlich über einem Siliziumatom auf der Oberfläche schwingen lassen und die Amplitude einen gewissen Wert überschreitet – dieses Oberflächenatom wie eine Gitarrensaite zum Schwingen angeregt wird.“
Beim Kontakt zweier Körper werden einzelne Atome an den Berührungspunkten aus ihrer Ruhelage ausgelenkt: Sie wechselwirken mit den Atomen des anderen Körpers und können sogar kurzzeitig chemische Bindungen eingehen.
„Sie werden wie eine Gitarrensaite aus ihrer Ruhelage entfernt. Wenn man eine Gitarrensaite anzupft und loslässt, schwingt sie wieder zurück. Allerdings ist diese Schwingung so schnell, dass sie mit dem Auge nicht mehr nachvollzogen werden kann. So ähnlich ist das auch bei den Atomen. Die Atome berühren sich an den Berührungsflächen und werden aus ihren Ruhelagen ausgelenkt. Sie schnalzen zurück in ihre alte Ruhelage – und das mit einer Frequenz von Terahertz, also mit 1012 bis 1015 Schwingungen pro Sekunde.“
Abermilliarden von Atomen schwingen
Zum Vergleich: Im elektromagnetischen Spektrum ist es die Infrarotstrahlung, die in diesem Frequenzbereich schwingt.
„Diese Bewegung ist dann räumlich ungeordnet und pflanzt sich mit einer langsamen Strömung im Festkörper fort. Das wird als Wärmeströmung bezeichnet, obwohl in Wahrheit gar nichts strömt – tatsächlich regen die schwingenden Atome ihre Nachbarn zum Vibrieren an. Die Bewegung ist allerdings völlig ungeordnet. Abermilliarden von Atomen schwingen in alle möglichen Richtungen, was bedeutet, dass die Energie nicht verloren gegangen ist. Doch eine gerichtete Bewegung ist zu einer ungeordneten Bewegung mit vielen Beteiligten geworden. Das ist die Reibung, welche die Umwandlung von mechanischer Energie in Wärmeenergie verursacht.“
Die thermische Energie basiert also auf der ungeordneten Bewegung vieler Atome – ein Material oder ein Körper ist umso wärmer, je schneller sich die Atome in ihm bewegen. In einem weiteren Schritt untersuchten Gießibl und seine Kollegen, welchen Einfluss die atomare Oberflächenstruktur auf die Reibung hat. Sie interessierte, ob die Stärke der Reibungseffekte von der Richtung abhängt. In der makroskopischen Welt unseres Alltags mag das zwar meist kaum eine Rolle spielen – es ist egal, in welcher Richtung man den Stuhl über den Fußboden schiebt –, auf atomarer Ebene gibt es aber durchaus einen Unterschied.
„Wir haben eine weitere Siliziumoberfläche untersucht. Allerdings war diese Oberfläche in eine andere Richtung orientiert – sie war sozusagen in eine andere Kristallrichtung geschnitten. In diesem Fall ordnen sich die Oberflächenatome in Paaren an, so ähnlich wie ein Schaukelpferd: Zwei Atome schließen sich zusammen und jedes dieser Atome hat noch zwei Beinchen nach unten. Und ganz ähnlich wie beim Schaukelpferd, das ich ganz leicht in Längsrichtung auslenken kann, aber sehr schwer in die Querrichtung, so ähnlich ist das auch bei diesen Oberflächenatomen.“
In der Größenordnung von Atomen, also auf einer Skala von Milliardstel Metern, hängt die Reibung demnach durchaus davon ab, in welche Richtung man schiebt. Diese sogenannte Anisotropie, oder Richtungsabhängigkeit, ist ein weiteres Puzzlestück in dem Versuch, das Phänomen Reibung zu verstehen. Denn auch Jahrhunderte nachdem Amonton seine Gesetze vorgestellt hat, ist es immer noch unmöglich, die Reibungskraft zwischen zwei Körpern zu berechnen. Man kann sie nach wie vor nur grob messen.
„Die Reibungsgesetze sind unheimlich schlecht bestimmt, vor allem wenn wir das mit der Präzision vergleichen, die wir sonst in der Physik erreichen. Wir können zum Beispiel in einem Physikbuch die Reibungskonstante zwischen Holz und Stahl nachschlagen, und dann steht da vielleicht: 0,1. Die Reibungskonstante bezeichnet den Quotienten aus der Kraft, mit der ich die Körper aufeinander drücke und der Reibungskraft, die parallel zur Oberfläche der Köper herrschen kann. Dieser Wert von 0,1 kann allerdings auch zehnmal so groß sein – die Reibungskonstante kann also sehr viel größer sein, wenn sich die Oberflächen irgendwie ändern. Das reflektiert einfach die Komplexität des Problems. Es spielen Abermilliarden von Atomkontakten eine Rolle, die wir eigentlich alle einzeln beschreiben müssten. Wir haben weder die Eingangsparameter, noch kennen wir den genauen Zustand. Daher können wir auch keine guten Vorhersagen treffen."
Die Unberechenbarkeit der Reibung hat direkte und vor allem teure Auswirkungen: Schließlich kommt es in allen unseren Maschinen und Geräten aufgrund der Reibung zu nicht unerheblichen Energieverlusten. Wissenschaftler hoffen daher, durch ein besseres Verständnis der Reibung mechanische Systeme – etwa Fahrzeugbauteile oder winzige Bauteile aus der Mikrosystemtechnik – verlustärmer zu machen und dadurch Energie zu sparen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/reibung/