Erste Schritte auf dem Weg zur Spin-Elektronik
Bei der Spin-Elektronik sollen nicht nur die elektrische Ladung, sondern auch die Eigenrotation (Spin) von Elektronen und Atomkernen zur Verarbeitung und Kodierung von Informationen verwendet werden.
Forschern des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung und des Garchinger Walter-Schottky-Instituts der Technischen Universität München ist es gelungen, die Wechselwirkung von Spins zwischen freien Elektronen und Atomkernen mittels einer komplizierten Feldeffekt-Transistor-Anordnung allein elektrisch zu messen und zu steuern. Diese Ergebnisse eröffnen interessante Perspektiven für die Erforschung von Kern- und Elektronen- Spins in Nanostrukturen sowie für neue Konzepte der Informationstechnologie.
In der Elektronik und Informationstechnologie sind Halbleiter deshalb so verbreitet, weil die für die Leitfähigkeit ursächlichen freien Ladungsträger äußerst flexibel manipuliert oder mittels einer angelegten Spannung hin und her transportiert werden können, um logische Schaltvorgänge zu ermöglichen. Längerfristig kommt in der Informationstechnologie jedoch dem Spin der Elektronen oder sogar dem von einzelnen Atomkernen eine wachsende Bedeutung zu. Der Spin ist eine quantenmechanische Eigenschaft von Elementarteilchen. Man kann ihn vereinfacht als eine Drehung um die eigene Achse veranschaulichen – entweder im oder gegen den Uhrzeigersinn. Experten sprechen hierbei von aufwärts oder abwärts gerichtetem Spin. Da grundsätzlich nur zwei elementare Spinrichtungen möglich sind, liegt es nahe, diese als binäre Informationsträger zu verwenden. Festplatten sind ein alltägliches Beispiel dafür, wie der Spin zur Speicherung von digitalen Informationen mithilfe von magnetischen Feldern von einer in die andere Richtung dauerhaft „umgeklappt“ werden kann.
Besonders vorteilhaft wäre es jedoch, wenn man die Spinrichtung von Elementarteilchen – genauso wie die Ladungsträger in Halbleitern – auf elektrischem Weg durch Anlegen von Spannungen beliebig beeinflussen könnte. Davon verspricht man sich schnellere, leistungsfähigere Bauelemente, die gleichzeitig mehrere Funktionen in sich vereinigen, wie Speicherung, Logik und Kommunikation für die Datenverarbeitung. Noch in weiter Zukunft und zudem bislang spekulativ und kontrovers diskutiert wird die Nutzung manipulierter Spins für das so genannte Quantencomputing. Beim Quantencomputer würden die beiden Spinzustände nicht länger nur als „0“ oder “1“ eines üblichen Bits dienen. Die quantenmechanische Überlagerung der beiden Spinzustände ergibt ein Quantenbit, in dem eine kontinuierliche Variation der Spinrichtung möglich ist. Rechner, die auf solchen Prinzipien aufbauen, könnten bei spezifischen Problemstellungen ein hohes Maß an Parallelverarbeitung erreichen.
Bereits heute berichten Forscher auf diesem Gebiet von Suchalgorithmen, die für das vollständige Durchsuchen großer Datenbanken von praktischer Bedeutung wären, sowie von Algorithmen zur Bestimmung von Primzahlen, die an einem Quantenrechner erheblich schneller erledigt werden könnten. Die kühnsten, aber heute technisch noch nicht realisierbaren Vorschläge basieren auf beweglichen Elektronen in Nanostrukturen aus Halbleitermaterialien, die mit elektrischen Spannungen steuerbar sind und die den Spin isolierter Atomkerne sondieren und kontrollieren könnten. Diese Zukunftsvisionen haben weltweit einen Wettlauf nach neuen Techniken ausgelöst, mit denen man die Richtung von Kernspins über mobile Ladungsträger in möglichst kleinen Bauelementen kontrollieren und erkennen kann. Fortschritte sind dabei aber nur möglich, wenn man in diesen Nanostrukturen mehr über die mikroskopischen Wechselwirkungen zwischen den Spins der Atomkerne oder der Elektronen weiß und es gelingt, diese Spins von außen zu steuern. An solchen grundlegenden Fragen arbeiten Jurgen Smet und seine Kollegen am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung gemeinsam mit Wissenschaftlern der Gruppe von Gerhard Abstreiter am Garchinger Walter-Schottky-Institut der Technischen Universität München. Ihnen ist es jetzt gemeinsam gelungen, die Stärke der Spin-Wechselwirkung im Magnetfeld zwischen Elektronen und Atomkernen eines Halbleiterkristalls allein durch elektrische Widerstandsmessungen zu bestimmen.
Über eine Steuerspannung wird in einem extrem dünnen Kanal eines Feldeffekt-Transistors eine bestimmte Zahl von Elektronen hervorgerufen. Zugleich wird überprüft, wie viel Widerstand diese Elektronen vorfinden. Bisher war bereits bekannt, dass Elektronen, die in ihrer Bewegung auf zwei Raumrichtungen beschränkt sind, unter bestimmten Bedingungen nur einen verschwindend geringen Widerstand empfinden. In diesem Fall besteht zwischen dem außen vorgegebenen magnetischen Feld und der Anzahl der Elektronen ein einfacher Zusammenhang: der so genannte Quanten-Hall-Effekt. Die Stuttgarter Forscher stellten jetzt jedoch fest, dass der Quanten- Hall-Effekt bei einer ganz bestimmten Zahl von Elektronen zusammenbricht und dass diese Anzahl der Elektronen und die dazu benötigte Steuerspannung entscheidend von der Ausrichtung der Kernspins im Halbleiterkristall abhängt. Die dadurch entdeckte Rückwirkung der Kernspinpolarisation auf die elektrische Leitfähigkeit des Transistors nutzen die Forscher als eine Art „Sonde“, mit der sie durch zeitabhängige elektrische Widerstandsmessungen genaue Informationen über die Spinzustände bekommen und die Stärke der Wechselwirkungen zwischen Elektronen- und Kernspins analysieren können. Ändert sich die Steuerspannung, bei der der Quanten- Hall-Effekt verschwindet, sehr schnell, ist die Wechselwirkung stark, im anderen Fall schwach. Die von den Stuttgarter Wissenschaftlern gefundene „Sonde“ für die Kernspinpolarisation liefert Informationen über die Steuerspannung, mit der man die Kernspins gezielt umdrehen oder wieder in die ursprüngliche Richtung zurückdrehen kann.
Das Zurückdrehen des Kernspins verläuft etwa so: Kern und Elektronenspins können sich gegenseitig über die so genannte Hyperfein-Wechselwirkung beeinflussen. Diese Wechselwirkung erlaubt eine „Flip-Flop-Streuung“, bei der gleichzeitig sowohl die Spinrichtung eines Elektrons als auch die eines genau entgegengesetzt gerichteten Atomkerns umgekehrt werden. Dieses „Umdrehen“ gelingt allerdings nur dann, wenn dabei die Gesamtenergie erhalten bleibt. Normalerweise benötigt man tausendmal mehr Energie zum „Umklappen“ eines Elektronen-Spins als eines Kern-Spins.
Diese Differenz verhindert unter normalen Umständen die Flip-Flop-Streuung, sodass der Spinaustausch zwischen Elektronen und Atomkernen eines Kristallgitters ausgeschlossen ist oder zumindest extrem langsam verläuft. Doch die Max-Planck-Forscher haben nun nachgewiesen, dass Elektronen ihren Spin ohne nennenswerte Energiezufuhr umdrehen, wenn sie in einer bestimmten Zahl vorhanden sind.
Dieses Phänomen beruht auf einem äußerst komplizierten kollektiven Zusammenwirken dieser Elektronen unter dem Einfluss der abstoßenden Coulomb-Kräfte zwischen gleichen Ladungen sowie auf der Neigung benachbarter Elektronen, dieselbe Spinrichtung anzunehmen. Die so entstehenden niederenergetischen, kollektiven Anregungen der Elektronen ermöglichen dann den Austausch ihres Spins mit dem der Atomkerne des Kristalls.
Der Spin-Austausch kann mit der bereits erläuterten Sonde für die Kernspinpolarisation beobachtet und gesteuert werden. So ist es möglich, die aufgebaute Kernspinpolarisation gewissermaßen zu speichern, weil bei einer Steuerspannung oder einer Elektronenzahl, bei der keine niederenergetischen kollektiven Anregungen existieren, die Flip-Flop-Streuung abgeschaltet wird. Mit dieser Möglichkeit, erstmals Kernspins elektrisch manipulieren zu können, haben die Stuttgarter Wissenschaftler einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Spin-Elektronik erreicht.
Dieser Übergang wird als Quantenphasenübergang bezeichnet, denn er findet nur am absoluten Temperaturnullpunkt statt. Der Übergang zwischen den Phasen wird dann allein durch die von der Heisenbergschen Unschärferelation vorausgesagten Quantenfluktuationen ermöglicht, denn alle thermischen Fluktuationen, die normalerweise einen Phasenübergang bewirken, sind dann bereits „ausgefroren“. Mit ihren Experimenten ist es den Münchner Forschern gelungen, ein neues Kapitel in der Physik ultrakalter Atome aufzuschlagen. „Mit diesem Experiment gehen wir einen deutlichen Schritt über ein Bose-Einstein-Kondensat hinaus“, sagt Immanuel Bloch. „Im Mott-Isolator-Zustand lassen sich Atome nicht mehr mit der äußerst erfolgreichen Theorie für Bose-Einstein-Kondensate beschreiben, sondern müssen aufgrund ihrer Wechselwirkung mithilfe neuer Theorien beschrieben werden. Die Experimente liefern wertvolle Impulse für die Entwicklung dieser weiterführenden Theorien.“ Der neue Materiezustand des Mott-Isolators wird den Wissenschaftlern helfen, fundamentale Fragen der Physik stark korrelierter Systeme, die unter anderem die Grundlage für unser Verständnis der Supraleitung bilden, zu klären. Außerdem eröffnet der Mott-Isolator-Zustand vielfältige neue Perspektiven für hochgenaue Materiewellen-Interferometer und Quantencomputer.
MaxPlanckForschung 1/2002 gemäß den Bedingungen der Quelle
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/spintronik/erste-schritte/