„LK-99 hat spannende Eigenschaften“

Kim Hermann

Grafik: Ein Würfel schwebt über einer weißen Fläche, in der sich eine leichte Vertiefung abzeichnet; der Würfel ist umgeben von Rauchschwaden.

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Im Juli 2023 berichtete eine Forschungsgruppe auf der Plattform arXiv von einem Material, das angeblich sogar bei Raumtemperatur Strom widerstandsfrei leitet – ein sogenannter Hochtemperatursupraleiter. Sollten sich diese Ergebnisse bestätigen, wäre das eine wissenschaftliche Sensation. Doch in der Vergangenheit gab es bereits ähnliche Meldungen, die einer genaueren Begutachtung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft nicht standhielten. Wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit nun überprüfen, ob es sich tatsächlich um einen Hochtemperatursupraleiter handeln könnte und wie die bisherigen Ergebnisse aussehen, berichtet Karsten Held von der Technischen Universität Wien im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Was sind Supraleiter?

Die Wissenschaftler Liang Si und Karten Held vor einer mit Kreide beschriebenen Tafel

Liang Si und Karsten Held

Karsten Held: In supraleitenden Materialien fließt ein elektrischer Strom ohne jeglichen Widerstand. Der Effekt beruht auf der Quantenmechanik und tritt normalerweise erst bei sehr niedrigen Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt – also etwa minus 273 Grad Celsius oder 0 Kelvin – auf. Somit finden Supraleiter bislang vor allem in großen Forschungsanlagen wie etwa Teilchenbeschleunigern oder Fusionsreaktoren eine Anwendung, in denen eine aufwendige Kühlung möglich ist. In den 1980er-Jahren haben die Forscher Johannes Georg Bednorz und Karl Alexander Müller jedoch entdeckt, dass einige kupferoxidhaltige Keramiken bereits bei Temperaturen bis zu minus 135 Grad Celsius supraleitende Eigenschaften zeigen. Für die Entdeckung dieser sogenannten Hochtemperatursupraleiter erhielten die beiden Forscher 1987 den Nobelpreis für Physik. Vor einigen Jahren wurde dann herausgefunden, dass bestimmte Hydride, also chemische Verbindungen von Wasserstoff mit einem anderen Element, bereits bei Temperaturen von bis zu minus 23 Grad Celsius supraleitend werden. Dafür müssen die Materialien allerdings in speziellen Diamantdruckzellen unter einen extrem hohen Druck gebracht werden.

Eine Forschungsgruppe aus Südkorea hat nun eine Arbeit auf der Plattform arXiv veröffentlicht, in der sie ein Material vorstellen, das bereits bei Raumtemperatur und Umgebungsdruck supraleitend sein soll. Um welches Material handelt es sich?

Das Team um Sukbae Lee und Ji-Hoon Kim hat ein Material namens LK-99 untersucht – eine Verbindung aus den Elementen Blei, Kupfer, Phosphor und Sauerstoff. Dieses Material haben Lee und Kim bereits im Jahr 1999 erstmals synthetisiert. In ihren neuen Experimenten hat die Forschungsgruppe nun Indizien dafür gefunden, dass LK-99 tatsächlich bei Temperaturen bis 100 Grad Celsius und bei Umgebungsdruck supraleitend ist. Ihre Ergebnisse hat die Gruppe zunächst auf der Plattform arXiv und in einem fast unbekannten Journal in koreanischer Sprache veröffentlicht. Bevor wir von einem Raumtemperatur-Supraleiter sprechen können, bedarf es der Bestätigung von anderen Forschungsgruppen, tatsächlich auch besserer Messergebnisse und zu guter Letzt der kritischen Überprüfung anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise in einem guten Peer-Review-Verfahren.

Welche Indizien sprechen denn laut der Forschenden dafür, dass es sich um einen Supraleiter bei Raumtemperatur handelt?

Es gibt eigentlich drei Merkmale, die für einen Supraleiter sprechen und die in den koreanischen Arbeiten gezeigt werden: Der elektrische Widerstand des neuen Materials ist wohl sehr niedrig. Doch bei den Messungen gibt es noch ein relativ großes Rauschen. Ein eindeutiger Beweis wäre ein Wert unter einem Billionstel Ohmzentimeter, was so genau nur sehr schwer zu messen ist. Ob der Widerstand von LK-99 also wirklich ganz verschwindet oder nur sehr gering ist, lässt sich noch nicht endgültig sagen. Die Forschenden haben sich aber auch noch die zwei weiteren Eigenschaften von Supraleitern angeschaut.

Was für Eigenschaften sind das?

Wird ein Supraleiter in ein äußeres Magnetfeld gebracht, verdrängt er dieses Magnetfeld vollständig aus seinem Inneren. Infolgedessen beginnt ein Supraleiter zu schweben, wenn er über einem Magneten platziert wird. Diese sogenannte Levitation hat das Team um Lee und Kim bei LK-99 beobachtet. Doch es gibt auch herkömmliche magnetische Materialien, die denselben Effekt zeigen und nicht supraleitend sind: sogenannte Diamagneten. Das letzte Indiz ist, dass die supraleitenden Eigenschaften in Abhängigkeit von der Temperatur und einem angelegten Magnetfeld ab einem gewissen Punkt zusammenbrechen. Auch dieses Verhalten beschreibt das Forschungsteam in ihren Veröffentlichungen. Doch auch in diesem Punkt gibt es Unsicherheiten, denn theoretisch ließe sich der beobachtete Effekt auch durch Probleme mit den elektrischen Kontakten erklären.

Wie lassen sich solche Behauptungen denn überprüfen?

Aktuell versuchen Forschungsgruppen weltweit, die Ergebnisse zu reproduzieren. Dazu stellen sie das Material LK-99 her und untersuchen es unter anderem auf diese drei Merkmale. Eine Forschungsgruppe aus China konnte so etwa die Levitation bestätigen, eine andere hat einen sehr niedrigen elektrischen Widerstand beobachtet – allerdings erst bei deutlich niedrigeren Temperaturen von etwa minus 163 Grad Celsius. Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass das Material überhaupt keinen Strom leitet und auch keine Levitation zeigt. Die Experimente sind bislang also widersprüchlich.

Sie haben sich dem Material nun nicht aus experimenteller, sondern aus theoretischer Sicht genähert. Wie haben Sie LK-99 untersucht?

Wir haben uns mit Computersimulationen die elektrischen Eigenschaften des Materials angeschaut. Dabei haben wir festgestellt, dass LK-99 ein sogenannter Mott-Isolator ist, also eigentlich gar keinen Strom leiten sollte. Dieses Verhalten wurde ja auch in einigen Experimenten beobachtet. Was wir allerdings auch in unseren Berechnungen sehen, ist, dass man durch Dotierung – also indem man einige Fremdatome in das Material einbringt – die Eigenschaften des Materials verändern kann. In diesem Fall wird aus dem Isolator ein elektrischer Leiter. Und unsere Rechnungen zeigen hier Eigenschaften, die zumindest Supraleitung begünstigen könnten. Doch um die experimentellen Ergebnisse der Forschungsgruppe zu bestätigen, reicht das Aufzeigen von potentiell günstigen Voraussetzungen in den theoretischen Rechnungen natürlich noch nicht aus.

Wie geht es nun weiter?

In den letzten Jahren gab es immer mal wieder Meldungen, dass ein neues supraleitendes Material entdeckt worden ist. Teilweise wurden diese Arbeiten dann wieder zurückgezogen und die wissenschaftliche Gemeinschaft ist mittlerweile ein bisschen immun geworden gegenüber solchen Behauptungen. Nach unseren Berechnungen bin ich zwar zuversichtlich, dass die Ergebnisse diesmal eine bessere Grundlage haben als solche aus der Vergangenheit. Darauf wetten, dass es sich bei LK-99 tatsächlich um einen Supraleiter bei Raumtemperatur handelt, würde ich allerdings nicht. Außergewöhnliche Behauptungen wie diese erfordern außergewöhnliche Beweise, und diese liegen aktuell nicht vor. Es bleibt abzuwarten, was die zukünftigen Experimente und Berechnungen ergeben werden.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/supraleiter/supraleiter-lk-99-hat-spannende-eigenschaften/