Tropfendynamik
Lisa Leander
Wenn einzelne Tropfen sich verformen oder verdampfen, können zahlreiche Effekte auftreten. Eine Arbeitsgruppe am Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt an der Universität Stuttgart untersucht solche Vorgänge genau, um zum Beispiel Einspritzvorgänge in Motoren zu beschreiben. Lisa Leander sprach für unseren Podcast mit Bernhard Weigand, dem Direktor des Instituts.
Ein Tropfen fällt ins Wasser – scheinbar ein ganz simpler Vorgang. Forschern verrät er jedoch viel über die Strömungen zwischen den beiden Grenzflächen Wasser und Luft.
Bernhard Weigand: „Wenn der Tropfen auf die Flüssigkeitsoberfläche auftrifft, dann bildet sich eine Krone, so nennt man dieses Aufsteigen an den Seiten. Dabei wird der obere Rand der Krone instabil und es bilden sich kleine Tropfen, die in alle Raumrichtungen wegspritzen.“
Eine Forschergruppe am Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt an der Universität Stuttgart beschäftigt sich mit der Dynamik von Tropfen. Um größere Systeme wie Sprays oder zerfallende Flüssigkeitsstrahlen beschreiben zu können, müssen die Wissenschaftler zunächst genau verstehen, wie sich ein einzelner Tropfen verhält. Aus diesem Grund simulieren sie unter anderem den Aufprall eines Tropfens.
„Das berechnen wir mit unserem eigenen Programm, mit direkten numerischen Simulationen. Auf den Hochleistungsrechnern hier können wir wirklich diesen ganzen zeitlichen Vorgang auflösen und zwar mit Rechengittern, die bis zu eine Milliarde Gitterzellen haben.“
Solche direkten numerischen Simulationen bieten Vorteile gegenüber Näherungen oder Modellen. Denn die Wissenschaftler können mit ihnen alle physikalischen Vorgänge selbst auf kleinen Skalen räumlich und zeitlich darstellen. Die Ergebnisse sind dadurch also genauer. Um ihre Berechnungen zu überprüfen, führen die Forscher auch Experimente mit Laserlicht durch. So lässt sich zum Beispiel beobachten, wie ein einzelner Tropfen verdampft.
„Wir setzen einen sehr kleinen Tropfen mit einer Größe von etwa 150 Mikrometern auf einen Laserstrahl, der Tropfen wird von dem Laserstrahl in der Schwebe gehalten und verdampft. Man kann dann über optische Methoden feststellen, welche Temperatur er hatte, wie groß er ist und so weiter.“
Denn wenn der Tropfen vom flüssigen in den gasförmigen Zustand wechselt, wird das Licht an ihm anders gestreut. Auch im Fall des verdampfenden Tropfens wollen Weigand und seine Kollegen untersuchen, welche Instabilitäten auftreten.
„Wenn wir die Instabilitäten rechnen können, dann können wir zum Beispiel die Einspritzung von Treibstoff in Raketenbrennkammern oder in einen Motor berechnen, weil dort die gleichen Instabilitäten auftreten.“
In Verbrennungsmotoren wird der Kraftstoff durch Düsen eingespritzt. Das passiert bei sehr hohem Druck, weil der Kraftstoff in besonders feine Tropfen zerstäuben soll, um anschließend besser abzubrennen. Diese Prozesse im Motor bieten einen Ansatzpunkt, um Autos künftig schadstoffärmer und sparsamer zu gestalten. So beträgt der Druck beim Einspritzen derzeit je nach Motortyp bis zu mehrere Tausend bar.
„Aber vielleicht bräuchte man gar nicht so hohe Drücke, wenn man die Physik besser verstehen würde. Deswegen machen wir auch von solchen Sachen direkte numerische Simulationen und schauen uns an, wie die physikalischen Zusammenhänge sind: Wie wird so ein Strahl wirklich instabil? Sobald man den Prozess nachvollziehen kann, könnte man den Strahl vielleicht mit der Hälfte des Drucks aufspalten, was sehr viel effizienter wäre.“
Ein weiterer interessanter Fall für Weigands Team sind die Vorgänge, die in den Ventilen eines Motors ablaufen. Denn der Schaft der Ventile erhitzt sich beim ständigen Öffnen und Schließen und muss deshalb gekühlt werden.
„Die Motorbauer haben sich interessante Kühlungsmethoden ausgedacht. Die füllen nämlich Natrium hinein, das Natrium wird warm und ,shakert‘ nach oben und unten wie in einem Cocktailshaker. Dadurch wird die Wärme von der unteren Ventilplattform, die sehr heiß wird, nach oben wegtransportiert. Das kann man mit normalen Methoden fast gar nicht berechnen, dafür benutzen wir im Prinzip auch solche direkten numerischen Simulationen.“
Die entscheidende Frage ist, wie viel Natrium benutzt werden muss.
„Es spielt eine große Rolle, ob 10 oder 90 Prozent dieses Bereichs mit Natrium gefüllt sind. Bei 100 Prozent shakert natürlich gar nichts mehr, bei 10 Prozent shakert es so sehr, dass alles zerreißt. Irgendwo liegt ein Optimum und dieses Optimum kann man versuchen, numerisch herauszufinden.“
Neben Tropfen in der Luft betrachten die Wissenschaftler auch den umgekehrten Fall – Gasblasen in einer Flüssigkeit. In den Reaktoren der chemischen Industrie entstehen ständig Blasen, die aufsteigen, sich verformen oder zu größeren Blasen zusammenschließen.
„Man kennt das, wenn man in einen Kochtopf schaut und sieht ein Bläschen, das nach oben geht. Wenn die Bläschen ganz klein sind, steigen sie fast linear auf. Wenn sie größer sind, werden sie instabil, sie fangen an zu ,wobbeln‘, drehen sich und bewegen sich auf fast elliptischen Bahnen nach oben. Diese Bahnen kann man berechnen.“
Durch ein besseres Verständnis der Blasen und ihrer Bahnen, ließen sich die Ventile an Chemiereaktoren optimieren, damit entweder mehr oder weniger Turbulenzen entstehen und sich Flüssigkeiten im Reaktor wie gewünscht vermischen. Solche Prozesse laufen normalerweise unter kontrollierten Bedingungen ab, bei gewöhnlichen Temperatur und Druckbedingungen. Wie sich die Tropfendynamik verändert, wenn extreme Verhältnisse herrschen, versuchen Wissenschaftler momentan in einem Sonderforschungsbereich des Instituts herauszufinden.
„Das variiert von sehr kalten Strömungen, zum Beispiel Tropfen in Wolken, die zu Eiskristallen werden, bis hin zu Tropfen in der Nähe des kritischen Punkts. Da ist ganz viel unbekannt, das ist für uns das wirklich spannende Forschungsfeld im Moment.“
Da ein großer Fokus auf der Tropfenbildung in der Atmosphäre liegt, ist neben den Universitäten Stuttgart und Darmstadt auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt an dem Forschungsprojekt beteiligt. In Wolken kommen sogenannte unterkühlte Tropfen vor, die aus flüssigem Wasser bestehen, obwohl die Temperatur unter null Grad liegt. Wenn unterkühlte Tropfen jedoch auf die Tragflächen von Flugzeugen treffen, können sie schlagartig gefrieren. Dadurch verschlechtern sich die Strömungseigenschaften um den Flügel, was wiederum die Sicherheit gefährdet. Deswegen ist es wichtig zu wissen, wann und wie genau das Vereisen stattfindet.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/tropfendynamik/