„Schon bald werden erste Prototypen ticken“
Dirk Eidemüller
Welt der Physik: Wie funktionieren Atomuhren und Kernuhren?
Thorsten Schumm: Die heutigen Atomuhren nutzen die Energieübergänge von Elektronen in der Hülle eines Atoms. Bei einer Atomuhr macht man das nun so, dass man einen solchen Übergang in Resonanz anregt. Dabei wird ein Laserstrahl der passenden Frequenz auf ein bestimmtes Atom geschickt, sodass die Elektronen in einen höheren Energiezustand kommen. Wenn die Elektronen wieder auf das niedrigere Energieniveau springen, werden dabei Lichtteilchen, also Photonen, frei – typischerweise im optischen oder Mikrowellenbereich. Durch eine Feedbackschaltung kann man eine extrem stabile Schwingung erzeugen, die man zur Zeitmessung nutzen kann. Bei einer Kernuhr macht man nun im Prinzip dasselbe, außer dass man anstelle der Elektronen in der Hülle den Atomkern selbst anregt.
Welche Vorteile bringt das mit sich?
Ein Atomkern ist um mehrere Größenordnungen kleiner als das ganze Atom, deshalb ist er wesentlich unempfindlicher gegenüber äußeren Störungen wie etwa elektrischen oder Magnetfeldern. Außerdem sind Kernübergänge extrem scharf, was eine sehr hohe Gangtreue erwarten lässt. Die Hoffnung ist nun, mithilfe von Kernuhren die Genauigkeit der Zeitmessung im Vergleich zu den heutigen Atomuhren nochmals zu verbessern. Damit könnten hochpräzise Tests zu den Grundlagen der Physik möglich werden und womöglich offene Fragen geklärt werden – etwa ob die Naturkonstanten wirklich so konstant sind wie angenommen.
Wie lässt sich so ein Kernübergang anregen?
Die allermeisten Kernübergänge liegen im Röntgen- und Gammabereich und sind damit weit jenseits dessen, was man mithilfe von herkömmlicher Lasertechnik nutzen könnte. Aber es gibt einen besonderen Atomkern des Elements Thorium, das Isotop Thorium-229, welches einen ungewöhnlich niederenergetischen Kernübergang aufweist. Bei diesem lässt sich mithilfe von UV-Strahlung – also weit unterhalb von Röntgen- oder Gammastrahlung – ein Kernübergang anregen, bei dem ein Neutron im Kern seinen Zustand ändert.
Welche Fortschritte hat es hierbei in den letzten Jahren gegeben?
Ursprünglich kannte man nur die ungefähre Energie dieses Übergangs. Diese Messung wurde am Forschungszentrum CERN in der Schweiz gemacht. Man hat zunächst einen anderen, instabilen Atomkern erzeugt, der dann in den angeregten Zustand von Thorium-229 zerfallen ist. Bei der Abregung des Thoriums in den Grundzustand hat man die Photonen, die bei diesem Übergang abgegeben wurden, grob messen können. Das entsprach einer Genauigkeit auf etwa drei Nachkommastellen und war noch viel zu unscharf für die Zwecke einer Kernuhr. Aber es hat uns den Bereich aufgezeigt, in dem wir suchen müssen, um diesen Kernübergang ganz präzise anzuregen. Zusammen mit deutschen und US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen haben wir dann über ein Jahr lang intensiv diesen Bereich mit einem Lasersystem abgescannt. Mittlerweile konnten wir den Übergang auf zwölf Nachkommastellen genau identifizieren.
Reicht das aus für eine Kernuhr?
Man will natürlich so genau wie möglich werden. Nachdem wir nun gezeigt haben, dass das Konzept funktioniert, werden viele weitere Gruppen das Ganze ingenieursmäßig umsetzen. Dabei lassen sich an vielen Stellen Dinge optimieren. Ich rechne damit, dass der Übergang vielleicht nochmals um zwei Größenordnungen präziser bestimmt wird. Auch bei den entsprechenden Lasersystemen ist nun ein gewisser Wettlauf in Gang gekommen. Wir haben etwa mit speziellen gepulsten Lasern gearbeitet. Für eine Uhr braucht man aber einen Dauerstrichlaser, der ohne Unterbrechung feuert.
Woran liegen die großen Schwierigkeiten beim Lasersystem?
Ich muss zunächst sagen, dass wir beim Bau einer Kernuhr auf die großartigen Entwicklungen bei den Atomuhren zurückgreifen können. Die ganzen Methoden, frequenzstabile Laserstrahlen zu erzeugen und diese als Rückkopplung für eine Uhr zu nutzen, verdanken sich einer jahrzehntelangen Entwicklungsarbeit. Aber diese Lasersysteme funktionieren alle bei niedrigeren Frequenzen, während man beim Thorium im Ultravioletten arbeiten muss. Um diese Energien zu erreichen, mussten wir einen frequenzstabilen Atomuhr-Laser aus dem Infraroten ins Ultraviolette bringen.
Wie war das möglich?
Wir haben unsere Versuche hierzu im Labor des US-amerikanischen Metrologie-Instituts NIST in Boulder durchgeführt. Der Trick bestand in der Erzeugung sogenannter Hoher Harmonischer. Dabei schießt man einen sehr intensiven Laserpuls niedriger Frequenz auf ein Edelgas. Die Laserschwingung regt die Elektronen im Gas ebenfalls zum Schwingen an. Genau wie bei einer scharf angeschlagenen Gitarrenseite wird dabei nicht nur die Grundschwingung, sondern es werden auch Oberschwingungen angeregt. Diese liegen bei einem Vielfachen der ursprünglichen Frequenz. In diesem Fall interessierte uns die siebte Oberschwingung, weil sie bei der passenden Frequenz im Ultravioletten lag. Diese haben wir durch ein Prisma herausgefiltert und auf einen Thoriumkristall geschickt. Damit konnten wir den Thorium-229-Kernübergang hochgenau vermessen.
Wann rechnen Sie mit den ersten Kernuhren?
Durch unsere Messungen in den letzten Jahren hat das Gebiet einen großen Schub erfahren. Vermutlich schon bald werden erste Prototypen ticken. Jetzt geht es im Wesentlichen um technologische Entwicklungen – die grundsätzliche Machbarkeit steht nicht mehr in Frage.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/atomuhren/kernuhr-schon-bald-werden-erste-prototypen-ticken/