„Uns interessiert vor allem die Frequenz“

David Hasler

Runde Öffnung von Metallteilen mit einem Leuchtpunkt in der Mitte und umgebendem Leuchten

PTB

Die Relativitätstheorie von Albert Einstein besagt, dass die Zeit langsamer verstreicht, je näher man sich an einem massereichen Objekt befindet. Das machte sich ein Forschungsteam zunutze, um den Höhenunterschied zwischen Braunschweig und München zu bestimmen. Im Interview mit Welt der Physik verrät Christian Lisdat von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, wie man mit einer Atomuhr in einem Autoanhänger bis auf einige Zentimeter genau Höhenunterschiede messen kann.

Welt der Physik: Für Ihre Experimente haben Sie optische Atomuhren genutzt. Wie funktioniert eine solche Uhr?

Porträt des Wissenschaftlers Christian Lisdat

Christian Lisdat

Christian Lisdat: Elektronen in einem Atom können sich nur in bestimmten Zuständen unterschiedlich hoher Energie befinden. Mit elektromagnetischen Wellen können wir sie anregen, also von einem Zustand niedrigerer Energie in einen Zustand mit höherer Energie befördern. Atomuhren nutzen diesen Effekt und messen die Zeit, indem sie die Schwingungen dieser elektromagnetischen Wellen zählen. Während die meisten herkömmlichen Atomuhren hierfür Mikrowellen verwenden, nutzen wir für optische Atomuhren sichtbares Licht von einem Laser. Dafür stellen wir dessen Frequenz genau so ein, dass die Energie der Laserphotonen genauso hoch ist wie der Energieunterschied zwischen zwei Zuständen. Das Elektron nimmt dann die Energie auf und geht in den Zustand höherer Energie über, was wir beobachten können. Die Schwingungen des Laserlichts können wir zählen – das ist das Pendel unserer Uhr.

An Ihrem Institut haben Sie eine mobile Variante einer solchen Atomuhr entwickelt. Was unterscheidet sie von anderen optischen Atomuhren?

Der größte Unterschied ist, dass die meisten stationären Uhren in gut isolierten Laborgebäuden auf festen Fundamenten stehen. Außerdem ändert sich dort die Temperatur so gut wie nicht. Unsere transportable Uhr hingegen steht in einem Autoanhänger, der etwa so groß wie ein Pferdetransporter ist. Er hat zwar auch eine Klimaanlage, aber natürlich ist sie nicht so gut wie im Labor. Zudem muss der Aufbau für eine mobile Atomuhr kompakter sein und darf für den Transport nicht allzu empfindlich sein. Den Laser hierfür anzupassen, war besonders herausfordernd. Wichtig war, dass er möglichst nur eine einzige Frequenz und damit eine genau einstellbare Energie hat. Dafür haben wir die Laserfrequenz stabilisiert, was für größere Apparaturen besser funktioniert. Das macht sie allerdings auch anfälliger für kleinste Verformungen, etwa durch Vibrationen. Wir haben das Problem aber gelöst, indem wir spezielle Aufhängungen entwickelt haben.

Mit Ihren Atomuhren wollten Sie aber nicht die Zeit messen, sondern Höhenunterschiede bestimmen. Wie funktioniert das?

Die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein besagt, dass die Zeit unterschiedlich schnell vergeht, je nachdem, wie weit man von einem massiven Körper – wie etwa der Erde – entfernt ist. Das bedeutet, dass eine Uhr auf einem Berg etwas schneller tickt als in einem tieferliegenden Tal, da sie sich auf einem Berg weiter weg vom Schwerpunkt der Erde befindet. Das ist kein besonders großer Effekt, aber optische Atomuhren können ihn messen. Wenn wir die Laser zweier Atomuhren auf unterschiedlicher Höhe vergleichen, sehen wir dadurch einen kleinen Frequenzunterschied zwischen beiden Uhren. Diesen Effekt nennt man auch relativistische Rotverschiebung. Aus der veränderten Frequenz können wir dann den Höhenunterschied berechnen. Deshalb interessiert uns bei diesen Experimenten vor allem die Frequenz des Lasers – und weniger die vergangene Zeit.

Wie genau haben Sie Höhenunterschiede denn mit Ihrer mobilen Atomuhr gemessen?

Zunächst brauchten wir eine weitere Atomuhr. Diese steht an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Zu Beginn haben wir vor Ort auf gleicher Höhe die mobile mit der stationären Uhr verglichen und so kalibriert. Anschließend haben wir die transportable Uhr ungefähr 450 Kilometer entfernt ans Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München gebracht. Über eine Verbindung mit einem Glasfaserkabel haben wir die Frequenzen der Laser in Garching und Braunschweig miteinander verglichen. Dabei haben wir festgestellt, dass die Frequenz der mobilen Atomuhr nun deutlich von der in Braunschweig abgewichen ist.

Und daraus konnten Sie dann den Höhenunterschied bestimmen?

Autoanhänger steht vor einem Haus. Auf dem Anhänger ist eine Frequenz mit dem Wert 429228004229873 Hz abgedruckt

Anhänger mit Atomuhr

Erstmal wollten wir sicher sein, dass nicht die Uhr falsch geht. Deshalb haben wir sie aus Garching zurück nach Braunschweig gebracht und wieder mit der lokalen Uhr auf derselben Höhe verglichen. Da zeigte sich, dass die Uhren immer noch so gingen wie vor dem Transport. Dass die Uhr in Garching eine andere Frequenz aufwies, ist also tatsächlich auf die relativistische Rotverschiebung zurückzuführen. Darüber hinaus passte der berechnete Höhenunterschied von etwa 400 Metern zwischen den Uhren sehr gut zu den Werten, die wir von Kolleginnen und Kollegen aus der Erdvermessung erhalten hatten. Zwar war der Wert unserer Uhr noch um etwa 27 Zentimeter ungenauer, aber es zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Welche Vorteile hat Ihre Methode denn im Vergleich zu anderen Arten der Höhenmessung?

Es gibt bisher zwei Ansätze, um Höhen zu messen: Zum einen das klassische Nivellement. Dabei misst man an einem Punkt mit Höhenmesslatten und einem Winkelmessgerät, wie sich die Höhe von einem Schritt zum nächsten ändert. Das ist jedoch aufwendig und für weite Strecken fehleranfällig, denn man misst Höhenunterschiede nur schrittweise – in relativ kleinen Abständen von typischerweise 50 bis 60 Metern. Zum anderen gibt es spezielle Satellitentechnik, die allerdings eine schlechte räumliche Auflösung hat. Bei der Höhenmessung mit Atomuhren hingegen ist die Ortsauflösung hoch und wir können die Einzelmessungen dank der Glasfaserverbindung über große Distanzen bis zu mehreren tausend Kilometern hinweg genau miteinander vergleichen.

Wie gut soll die Höhenauflösung in künftigen Experimenten werden?

Natürlich wollen wir als nächstes an die Auflösung der derzeit besten Techniken herankommen, sprich: Die Messungen sollen von einigen zehn Zentimetern auf wenige Zentimeter genau werden. Eine so genaue Messung wäre bereits mit den besten Uhren in stationären Labors möglich. Diese gilt es nun transportfähig zu machen. Das ist nicht so einfach, aber wir sind optimistisch, dass wir das hinbekommen. Um noch genauer zu werden und Höhen millimetergenau zu bestimmen, müssen wir nicht nur die transportablen Uhren verbessern, sondern auch in den Labors erst einmal eine entsprechende Genauigkeit erreichen. Das wird noch deutlich aufwendiger.

Und wie werden Sie das erreichen?

Das wird sich zeigen. Im Augenblick halten wir optische Atomuhren für geeignet. Aber es gibt verschiedene mögliche Elemente, deren Atome man für die anzuregenden Elektronen nutzen könnte. Derzeit arbeiten wir mit Strontium und schauen, wie weit wir kommen. Vielleicht stoßen wir irgendwann an eine Grenze und müssen mit einem anderen Atom arbeiten. Oder wir benötigen eine ganz andere Art von Atomuhren.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/atomuhren/uns-interessiert-vor-allem-die-frequenz/