„Die Kontrolle des Plasmas ist entscheidend“
Dirk Eidemüller
Fusionskraftwerke könnten eines Tages große Mengen an Energie liefern. Auf dem Weg zu einer solchen effektiven Energiequelle untersuchen Forscher unter anderem Plasma – einen Aggregatzustand wie im Inneren der Sonne, in dem Atomkerne und Elektronen nicht mehr aneinandergebunden sind. In einem Fusionsreaktor wird das Plasma dann auf rund 100 Millionen Grad Celsius erhitzt und mithilfe von Magnetfeldern kontrolliert, um Fusionsreaktionen zu ermöglichen. An der Versuchsanlage ASDEX Upgrade in Garching haben Forscher nun die Kontrolle des Plasmas noch genauer untersucht. Wie sich etwa starke Ausbrüche und Schäden an der Reaktorkammer verhindern lassen, erzählt Elisabeth Wolfrum vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching im Interview mit Welt der Physik.
Welt der Physik: Warum ist es so schwierig, heißes Plasma einzuschließen?
Elisabeth Wolfrum: In einem Fusionskraftwerk müssen mehrere Bedingungen zusammenkommen: Man muss für eine gewisse Zeit ein Plasma mit einem bestimmten Druck und einer bestimmten Temperatur zusammenhalten. Wir stellen ja Fusionsprozesse wie im Zentrum der Sonne nach. Da wir aber niemals einen Druck wie im Sonnenzentrum erreichen können, müssen wir stattdessen noch höhere Temperaturen erreichen. Bei dieser Hitze trägt das Plasma eine hohe thermische Energie in sich. Und die geladenen Teilchen, aus denen das Plasma besteht – also die Elektronen und Ionen –, bewegen sich mit hoher Geschwindigkeit und erzeugen dabei auch starke Turbulenzen. Das alles zusammen ergibt ein sehr komplexes Verhalten, das sich anhand von Berechnungen und Computersimulationen nur bedingt nachvollziehen lässt. Deshalb benötigen wir aussagekräftige Experimente, um das Plasma noch besser zu verstehen.
Was sind die größten Probleme beim Einschluss des Plasmas?
Wir müssen das Plasma mit geeigneten magnetischen Feldern zwingen, Abstand zur Wand des Plasmabehälters zu halten. Denn wenn das heiße Plasma direkt auf die Wand trifft, kühlt es einerseits sofort ab und kann andererseits die Wand zerstören. Vor allem bei großen Anlagen wie dem in Bau befindlichen Versuchs-Fusionsreaktor ITER in Frankreich wäre das fatal, weil im Plasma sehr viel Energie steckt. Aber auch in kleineren Anlagen – wie etwa in unserer Plasma-Versuchsanlage ASDEX Upgrade in Garching – müssen wir das Plasma immer mit Magnetfeldern in der Mitte des Behälters festhalten. Dennoch kommt es typischerweise etliche Male pro Sekunde zu Eruptionen, bei denen heißes Plasma nach außen geschleudert wird. Ähnlich wie bei den Protuberanzen auf der Sonne sorgen Instabilitäten der Magnetfelder im Plasma dafür, dass die Energie im Plasma stoßweise nach außen freigesetzt wird.
Wie lässt sich das vermeiden?
Wir hatten schon vor einiger Zeit die Idee, diese eruptiven Ausbrüche dadurch zu verringern, dass wir gezielt kleinere Instabilitäten im Plasma zulassen. Man kann das mit einem Kochtopf vergleichen, der stark geheizt wird: Es bilden sich große Blasen, die aufsteigen und so heftig blubbern, dass sie heißes Wasser über den Rand spritzen. Besser ist es, man lässt viele kleine Blasen entstehen statt einiger großer. Die kleinen Bläschen erzeugen keine unerwünschten Spritzer, sondern blubbern sehr viel kontrollierter und transportieren dabei die gewünschte Menge an Energie aus dem Plasma. Genau dieser Betriebsmodus ist uns jetzt in einem Experiment bei ASDEX Upgrade geglückt.
Wie war das möglich?
Der wesentliche Parameter, mit dem wir das Plasma beeinflussen können, ist das äußere Magnetfeld. Verschiedene Arten von Spulen halten das Plasma in der Bahn oder führen Energie hinzu. Die sogenannten poloidalen Feldspulen, die rings um den Plasmabehälter laufen, dienen zur Formung des Plasmas. Damit geben wir dem Plasma einen etwa dreieckigen Querschnitt und kontrollieren auch die Temperatur und den Druck. Dadurch ist es uns gelungen, den erwünschten Betriebsmodus mit den vielen kleinen Bläschen zu erzielen. Wichtig ist dabei auch, dass diese kleinen Bläschen am äußeren Rand des Plasmas entstehen. Um das mit dem Beispiel vom Kochtopf zu vergleichen: Die Bläschen bilden sich also nicht auf dem Boden des Kochtopfes und steigen von dort auf. Sondern sie entstehen knapp unter der Oberfläche. Deshalb reißen sie nicht so viel Material mit nach außen.
Lässt sich das auch bei großen Anlagen wie ITER umsetzen?
Genau das ist unsere Hoffnung, denn die Kontrolle des Plasmas ist entscheidend dafür, ob wir jemals ein funktionstüchtiges Fusionskraftwerk haben werden oder nicht. Wenn der Betriebsmodus mit den kontinuierlichen, kleinen Ausbrüchen auch bei anderen Anlagen funktioniert, würde uns das sehr voranbringen. Die heftigen Eruptionen der großen Plasmablasen hingegen könnten die Wände von ITER schnell degradieren. Wir starten deshalb nun Experimente an der Fusionsanlage JET in England, die derzeit größte Plasma-Versuchsanlage der Welt. Allerdings wird JET im Frühjahr 2024 abgeschaltet und bis ITER startet, wird es noch ein paar Jahre dauern. Wir müssen uns also beeilen, um noch möglichst viele wichtige Erkenntnisse mithilfe von JET zu gewinnen, die wir dann in die Planung für ITER mit einbeziehen können.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/energie/fusionsenergie/die-kontrolle-des-plasmas-ist-entscheidend/