„Die Maschine ist technisch einwandfrei“
Olaf Zimmermann
Im Inneren der Sonne herrschen so extreme Drücke und Temperaturen, dass Wasserstoffkerne zu Heliumkernen verschmelzen. Bei diesen Fusionsprozessen wird Energie freigesetzt – millionenfach mehr als etwa bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern. Seit mehr als einem halben Jahrhundert forschen Physiker daran, die Kernfusion als effektive Energiequelle zu erschließen. Ein mögliches Konzept für zukünftige Fusionskraftwerke testen Wissenschaftler seit 2015 mit der Anlage Wendelstein 7-X in Greifswald. Im Interview erzählt Thomas Klinger vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik von den ersten Messergebnissen und bereits aufgestellten Rekorden.
Welt der Physik: Wie erreicht man, dass Wasserstoffkerne miteinander verschmelzen?
Thomas Klinger: Zunächst muss man Wasserstoffgas in einen sogenannten Plasmazustand bringen. Mit Wendelstein 7-X erhitzen wir dazu reines Wasserstoffgas mit Mikrowellenstrahlung – im Prinzip wie in einem Mikrowellenherd. Irgendwann steckt so viel Energie im Gas, dass sich die Elektronen von den Wasserstoffkernen lösen. Dadurch bildet sich ein Plasma, wie es auch im Inneren der Sonne vorkommt. Um Fusionsreaktionen zu ermöglichen, müssten wir das Plasma allerdings anschließend noch weiter aufheizen: Das Plasma müsste eine Temperatur von etwa hundert Millionen Grad Celsius erreichen, damit Kernfusionen stattfinden können. Außerdem bräuchten wir eine Dichte von hundert Trillionen Teilchen pro Kubikmeter. In Wendelstein 7-X werden allerdings keine Fusionsreaktionen stattfinden. Wir wollen in dieser Anlage lediglich testen, wie gut sich ein Hochtemperaturplasma mit einem Magnetfeld einschließen lässt.
Warum nutzen Sie ein Magnetfeld, um das Plasma aufzubewahren?
Man kann ein solches Plasma nicht einfach in einem Gefäß aufbewahren, denn es würde sofort abkühlen. Stattdessen lässt man das Plasma in einem Magnetfeld „schweben“. Die Elektronen und Ionen – die geladenen Atome – im Plasma reagieren aufgrund ihrer elektrischen Ladung auf Magnetfelder und lassen sich von ihnen ablenken. Die geladenen Teilchen bewegen sich dann spiralförmig um die Magnetfeldlinien herum. Grundsätzlich kann man die Teilchen also in einem ringförmigen Magnetfeld einschließen. Allerdings ist so ein Magnetfeld an verschiedenen Stellen unterschiedlich stark, wodurch sich die Teilchen nach und nach aus dem Plasma herausbewegen. In unserer Anlage schließen wir die Teilchen mihilfe des Stellarator-Prinzips ein, um diesen Bewegungen entgegenzuwirken.
Was ist ein Stellarator?
In einem Stellarator wird ein von außen erzeugtes Magnetfeld genutzt, um das Plasma einzuschließen. Bei Wendelstein 7-X formen wir dieses Magnetfeld mit fünfzig komplex geformten Magnetfeldspulen. Dazu haben wir das Feld sehr aufwendig am Computer berechnet und die Bahnen einzelner Teilchen im Plasma simuliert. In vorherigen Stellaratoren gab es solche Spulen nicht – und es war bislang nicht möglich, Magnetfelder so exakt zu formen. Da die Plasmen dadurch schnell Teilchen und Energie verloren haben, galt das Konzept des Stellarators als ziemlich ungeeignet für zukünftige Fusionsreaktoren. Wir sind aber überzeugt, dass unsere optimierte Magnetfeldgeometrie das Plasma deutlich besser einschließt, als es in der Vergangenheit möglich war. Die Simulationen am Computer sahen sehr gut aus. Jetzt wollen wir das auch mit unseren Experimenten zeigen.
Was haben die ersten Messungen zwischen Dezember 2015 und März 2016 ergeben?
Ein ganz wesentliches Ergebnis unserer bisherigen Versuche ist, dass die Maschine technisch einwandfrei läuft. Wir haben die Anlage sehr präzise montiert und tatsächlich die geplante Magnetfeldform erreicht. Außerdem haben wir gezeigt, dass dieses optimierte Magnetfeld das Plasma deutlich besser isoliert als in vorherigen Stellaratoren. Die Energieeinschlusszeit unserer Anlage – ein Maß dafür, wie schnell das Plasma seine Energie wieder verliert – war mit weit mehr als einer zehntel Sekunde bereits in der ersten Experimentierphase weltweite Spitzenklasse.
Nach dem Ende dieser ersten Experimentierphase wurde die Anlage weiter ausgebaut. Was haben Sie verändert?
Um die Anlage dauerhaft zu betreiben, müssen wir den Kontakt zwischen dem Plasma und der Wand des Plasmagefäßes besser kontrollieren können. Denn auch wenn das Plasma optimal eingeschlossen ist, kommen Teilchen aus dem Plasma irgendwann in Kontakt mit der Wand. Die Wand muss deshalb viel Wärme aushalten. Außerdem können sich Atome aus der Wand lösen und das Plasma verunreinigen. Deswegen haben wir das Plasmagefäß nach den ersten Experimenten optimiert: Im Wesentlichen haben wir die Wand mit Graphit ausgekleidet und zehn sogenannte Divertormodule eingebaut, die ebenfalls aus Graphit bestehen. Die Divertormodule nehmen Wärme aus dem Plasma auf und führen diese gezielt ab. Wir haben Graphit verwendet, weil es die Wärme schnell leitet und wir die Chemie von Graphit gut verstehen. Das ist wichtig, denn im Kontakt mit einem Wasserstoffplasma finden auch chemische Reaktionen statt.
Was haben Sie durch diesen Ausbau erreicht?
In der zweiten Messphase konnten wir das Plasma erheblich stärker aufheizen und haben damit im Frühjahr 2018 einen weiteren Rekord aufgestellt: Wir haben das bisher größte Fusionsprodukt mit einem Stellarator erzeugt. Das Fusionsprodukt setzt sich aus der Temperatur der Wasserstoffionen, der Teilchendichte im Plasma und der Energieeinschlusszeit zusammen. Der Wert gibt an, wie nah man der Kernfusion kommt. Der Rekordwert zeigt auch, dass unser Stellarator mit dem alternativen Konzept, dem Tokamak, konkurrieren kann. Um Plasma in einem Tokamak einzuschließen, wird neben einem kreisförmigen Magnetfeld ein zusätzlicher Stromfluss im Plasma genutzt. Derzeit erreichen Tokamaks noch höhere Fusionsprodukte als Wendelstein 7-X – der Abstand ist jetzt aber nicht mehr so groß.
Die zweite Messphase läuft noch, was erwarten Sie von den aktuellen Experimenten?
Wir wollen in dieser Messphase lernen, wie wir die Bedingungen im Plasma noch besser kontrollieren können. Das nächste Ziel ist dann, die Leistung weiter zu steigern: Wir wollen höhere Plasmatemperaturen und höhere Plasmadichten erreichen, ohne dabei die Einschlusszeit zu beeinträchtigen. Langfristig wollen wir die Plasmen mit Wendelstein 7-X über einen Zeitraum von einer halben Stunde aufrechterhalten. Damit wollen wir zeigen, dass ein Stellarator dauerhaft betrieben werden kann – das wäre ein entscheidender Vorteil gegenüber dem Tokamak. Derzeit lassen sich für die Fusion relevante Plasmen nur einige Dutzend Sekunden lang erzeugen. Die bisher längste Zeit liegt bei etwas über hundert Sekunden. Momentan kann ein Plasma bei uns etwa dreißig Sekunden lang brennen, danach heizen sich die Graphitbauelemente im Plasmagefäß zu sehr auf.
Wie wollen Sie das Aufheizen zukünftig verhindern?
Ab Oktober bauen wir ein neues System in das Plasmagefäß ein. Es kühlt alle Bauteile, die Wärmekontakt mit dem Plasma haben, aktiv mit Wasser. Dieser Umbau wird etwa zwei Jahre dauern. Anschließend wollen wir uns Schritt für Schritt der halben Stunde nähern. Wenn wir ein Plasma für eine halbe Stunde einschließen können, dann haben wir auch die Physik und die Technik unter Kontrolle – dann schafft man auch eine Stunde, 24 Stunden oder 365 Tage im Jahr. Daran tasten wir uns aber erst langsam heran. Wir müssen uns noch viele physikalische Grundlagen erarbeiten.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/energie/fusionsenergie/die-maschine-ist-technisch-einwandfrei/