„Ein neuer Rekord an Fusionsleistung“
Dirk Eidemüller
Mit der Fusionsforschungsanlage JET, kurz für Joint European Torus, wurde in England ein neuer Rekord für die erzeugte Energiemenge bei einem Fusionsexperiment aufgestellt. Dafür wurde zunächst ein Plasma erzeugt und auf 100 Millionen Grad Celsius erhitzt, um Fusionsreaktionen zu ermöglichen. Als Brennstoff haben die Forscherinnen und Forscher nun Deuterium und Tritium verwendet. Damit wollten sie den Bedingungen, wie sie in zukünftigen Fusionskraftwerken herrschen werden, möglichst nahekommen. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching, was der neue Rekord für die künftige Fusionsforschung bedeutet.
Welcher Rekord wurde mit JET in England gebrochen?
Hartmut Zohm: Der bisherige Rekord an Fusionsenergie wurde im Jahr 2021 auch mit JET erzielt und lag bei 59 Megajoule. Dieser konnte nun noch einmal ein Stück weit überboten werden und es wurde insgesamt eine Energiemenge von 69 Megajoule erreicht. Das ist die Gesamtenergie, die durch Fusionsprozesse im Plasma erzeugt wurde, und zwar über einen Zeitraum von etwas mehr als fünf Sekunden. Das entspricht einer mittleren Fusionsleistung von rund 13 Megawatt.
In welcher Relation steht die Fusionsleistung zur eingestrahlten Heizleistung?
Um die Fusion einzuleiten, muss das Plasma bereits sehr heiß sein – und zwar rund 100 Millionen Grad Celsius. Diese Heizleistung bringen wir mithilfe von mehreren unterschiedlichen Systemen in das Plasma, unter anderem mit Mikrowellen und Radiofrequenzwellen. Um eine Fusionsleistung von 13 Megawatt zu erzielen, mussten wir insgesamt rund 30 Megawatt Heizleistung einstrahlen. Das war mit enormen Schwierigkeiten verbunden, die das technische Team aber überwinden konnte. Alle Anlagen mussten am Maximum laufen. Wir haben aber keine positive Energiebilanz erreicht, denn wir haben immer noch mehr als das Doppelte an externer Heizleistung im Vergleich zur Fusionsleistung benötigt. Aber JET ist auch eine Forschungsanlage und kann derart hohe Temperaturen nicht über längere Zeit aushalten. Künftige große Fusionsreaktoren – wie die im Bau befindliche Anlage ITER – besitzen supraleitende Magnete und ganz andere Kühlsysteme, um etwa die Reaktorwände vor dem Schmelzen zu bewahren. Dort sollen dann über längere Zeit etwa zehnfach höhere Fusionsleistungen erreicht werden.
Mit welchem Brennstoff haben Sie gearbeitet?
Ich möchte zuerst erwähnen, dass dies die letzte Versuchsreihe von JET gewesen ist. Nach rund vierzig Jahren im Dienst der europäischen Fusionsforschung wird JET nun stillgelegt. Üblicherweise wird an solchen Anlagen mit der Kernfusion von zwei Atomkernen des Wasserstoffisotops Deuterium experimentiert – also mit sogenanntem schwerem Wasserstoff, der neben einem Proton noch ein Neutron im Kern besitzt. Bei kommerziellen Kraftwerken soll in Zukunft aber eine Fusion von Deuterium mit Tritium zu Helium stattfinden, weil das eine bessere Energieausbeute verspricht. Tritium wird auch überschwerer Wasserstoff genannt, da es zwei Neutronen im Atomkern aufweist. Da es aber auch radioaktiv ist, sind Experimente mit Tritium wesentlich aufwendiger. Da JET aber nun abgeschaltet wird, konnten wir am Ende der Laufzeit Fusionsexperimente mit Deuterium und Tritium machen.
Wie viel Tritium haben Sie bei der Fusion verbraucht?
Wir hatten nur eine geringe Menge Tritium in der Kammer, rund 70 Milligramm. Davon sind während der Fusion rund 0,2 Milligramm fusioniert. Um dieselbe Energiemenge mit Kohle zu erzeugen, hätte man etwa zwei Kilogramm Kohle verfeuern müssen. Daran sieht man, welche enormen Energiemengen mit der Fusion verfügbar sein könnten, wenn wir erst einmal ein funktionstüchtiges Fusionskraftwerk haben.
Gab es Probleme bei den Experimenten?
Eine große Schwierigkeit, die die Fusionsforschung seit Jahrzehnten begleitet, sind die komplexen Turbulenzen, die im Plasma auftreten. Es gibt ja riesige Temperaturunterschiede zwischen dem Zentralbereich im Plasma – wo die Fusion stattfindet und wo viele Millionen Grad herrschen – und dem vergleichsweise kühlen Außenbereich. Das führt zu sehr turbulenten Strömungen im Plasma, wobei unterschiedlich große Wirbel die Wärme aus dem Inneren nach außen transportieren.
Wie gut lassen sich die Prozesse im Plasma mittlerweile verstehen?
Mittlerweile sind die Computermodelle, mit denen wir das Plasma beschreiben, zum Glück sehr gut geworden. Noch wichtiger als der Rekord bei der erzielten Gesamtenergie sind deshalb die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die wir aus diesen Versuchen ziehen können: Denn es ist mittlerweile möglich, das Verhalten dieser turbulenten Plasmaströmungen viel besser zu berechnen als früher. Und wie wir bei diesen Versuchen gesehen haben, verhält sich ein Deuterium-Tritium-Gemisch hinsichtlich der Turbulenzen günstiger als ein reines Deuterium-Gemisch. Das macht Mut, dass sich bei künftigen Großanlagen wie ITER die Turbulenzen ebenfalls gut beherrschen lassen.
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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/energie/fusionsenergie/kernfusion-gebiet-technik-energie-fusionsenergie-ein-neuer-rekord-an-fusionsleistung/