Kühlender Mantel
Durch eine Strahlungskühlung wird verhindert, dass das 10 Millionen Grad heiße Plasma die Wände des Fusionsreaktors beschädigt.
Anfang der 1990er Jahre haben Jülicher Wissenschaftler als erste die sogenannte Strahlungskühlung verwirklicht, mit der die Glut des Fusionsplasmas am Rand auf eine Temperatur gebracht werden kann, der irdische Materialien standhalten. Inzwischen setzen die Experten weltweit große Hoffnungen auf die Methode und arbeiten ständig daran, sie zu verbessern. Im Zentrum der internationalen Zusammenarbeit stehen dabei nach wie vor die Fusionsforscher aus Jülich.
Wenn eifrige Fernsehzuschauer und Kinogänger die Steuerzentrale der Fusionsanlage TEXTOR-94 betreten, fühlen sich manche von ihnen in das „Raumschiff Enterprise“ versetzt: Da gibt es ein riesiges Kontrollpult, jede Menge Computer und Tastaturen sowie übergroße Bildschirme, auf denen einige Sekunden lang geheimnisvoll eine Art Gang aufleuchtet (Bild 1). Überall sitzen oder stehen Menschen, die oftmals gemeinsam auf ein Gerät oder einen Monitor starren. Bruchstücke mehrerer Sprachen erreichen das Ohr des Besuchers.
Blick ins Innere des Plasmas
„Die Bildschirme vorne rechts zeigen, was Videokameras während der etwa zehn Sekunden dauernden Plasma-Entladung im Inneren von TEXTOR-94 sehen“, erklärt Dr. Bernhard Unterberg vom Institut für Plasmaphysik (IPP). Die Ergebnisse solch eines kurzen Fusionsexperiments stehen detailliert manchmal erst nach Monaten harter Arbeit fest, wenn die Wissenschaftler die Daten aller Messinstrumente ausgewertet und theoretisch nachvollzogen haben. Doch mit Hilfe der Videobilder können die Forscher sofort erkennen, ob während der Plasma-Entladung etwas Unerwartetes passiert.
Kaum ist der Bildschirm dunkel, interessiert sich Unterberg für ein Gerät, das mit Hilfe eines Stifts lange Linien auf Endlospapier aufgezeichnet hat. Ein Zacken im Diagramm gibt ihm den ersten Hinweis, dass die „Strahlungskühlung“ funktioniert hat. „Ohne Strahlungskühlung wäre es gegenwärtig wohl nicht realistisch zu glauben, dass einmal ein Fusionsreaktor Strom produziert“, sagt er. Denn die Wandbereiche, die das Plasma seitlich begrenzen – Limiter oder Divertoren – würden wegschmelzen und verdampfen.
Kalter Mantel
Um das zu verhindern, lassen die Fusionsforscher das Edelgas Neon in den Randbereich des Plasmas ein. Bei den dort herrschenden Temperaturen behalten Neonatome einige ihrer Elektronen. Treffen die freien Elektronen des Plasmas mit hoher Geschwindigkeit auf das Neon – genauer: auf die Elektronen in der Atomhülle – so werden sie abgebremst, verlieren also Energie – der Brennstoff kühlt ab.
Neon nimmt beim Zusammenstoß dagegen Energie auf. Doch die Edelgas-Teilchen werden dadurch nicht schneller, sondern ihre Elektronen werden in ein höheres Energieniveau angehoben – in der Fachsprache heißen die Neon- Teilchen dann „angeregt“. Die Elektronen fallen anschließend wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück, indem sie Licht aussenden. Ein vergleichsweise kalter, strahlender Mantel umhüllt so das mehr als 10 Millionen Grad heiße TEXTOR-Plasma.
Mit der Strahlungskühlung haben die Wissenschaftler einen Ausweg aus einem Dilemma gefunden. Denn bei der Fusion entstehen Heliumkerne, die das Plasma ersticken, wenn sie nicht schnell genug aus dessen magnetischen Käfig verschwinden. Wissenschaftler haben die Fusionsanlagen weltweit deshalb so konstruiert, dass die Helium- und Brennstoffteilchen konzentriert auf bestimmte Bereiche der Kammerwand gelenkt werden. Von dort können sie beispielsweise mit Hilfe von Pumpen entfernt werden. Weil die Plasmateilchen auf Grund ihrer Geschwindigkeit viel Energie mit sich führen, überhitzen die Wandbereiche, an denen sie auftreffen: Mit dem Fluss der Teilchen ist immer auch ein Wärmefluss verbunden. Durch den strahlenden Mantel jedoch gelingt es den Wissenschaftlern, den Wärmefluss besser auf die gesamte Wand der Fusionskammer zu verteilen und auf ein erträgliches Maß zu reduzieren (Bild 2).
Verbesserte Isolation
Ursprünglich hatten die meisten Experten angenommen, dass das zugeführte Neon nicht nur den Rand des Plasmas, sondern auch sein Zentrum abkühlen würde. Das Edelgas würde dort, so vermuteten sie, den Brennstoff verunreinigen und das Plasma instabiler machen. „Überraschenderweise ist genau das Gegenteil der Fall“, sagt IPP-Wissenschaftler Unterberg. „Inzwischen hat sich während vieler Experimentiertage und tausender Entladungen bestätigt, dass mit Strahlungskühlung die Energie im Plasma sogar besser eingeschlossen werden kann als ohne.“
Das klingt ein wenig, als ob die Fusionsforscher den Stein der Weisen gefunden hätten. Doch tatsächlich bleibt für sie noch viel zu tun. Zwar haben zum Beispiel die Jülicher Wissenschaftler den strahlenden Mantel von TEXTOR-94 bereits gut im Griff. Doch für die Planung anderer experimenteller Fusionskammern oder gar eines stromliefernden Fusionsreaktors müssen sie die Kühlung auf andere Baukonzepte und Größenverhältnisse übertragen können.
So experimentiert etwa Unterberg, Koordinator in der Arbeitsgruppe „Strahlungskühlung und verbesserter Energieeinschluss“, zeitweilig auch an Fusionsanlagen im amerikanischen San Diego, in Südfrankreich oder in England am JET (Joint European Torus). Ausländische Wissenschaftler wiederum halten sich oft in Jülich auf.
Das Sprachgewirr in der TEXTOR-Steuerzentrale entpuppt sich als eine Mischung von Englisch, Niederländisch und Deutsch. Die Quelle sind zwei Forscher des TEC (Trilateral Euregio Cluster) aus Belgien und Holland, die mit ihren deutschen Kollegen die letzten Plasma-Entladungen diskutieren. Mit den gemeinsamen Experimenten überprüfen die Wissenschaftler ihre theoretischen Modelle, mit denen sie die Vorgänge im Plasmazentrum und im kühlenden Mantel zuvor simuliert haben.
Forschen in Jülich, Nr. 2/99
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/energie/fusionsenergie/mantel/