„Effizienz und Flugsicherheit optimieren“

Denise Müller-Dum

Grün beleuchtetes Flugzeugmodell, das in der Luft hängt

DLR/J. Agocs

Fliegen soll nachhaltiger werden – dazu muss unter anderem der Treibstoffverbrauch sinken. Gleichzeitig soll aber eine maximale Flugsicherheit gewährleistet sein. Um sowohl für die Effizienz als auch die Sicherheit zukünftig optimale Voraussetzungen zu schaffen, untersuchen Forscherinnen und Forscher das Strömungsverhalten von Flugzeugen in Extremsituationen. Thorsten Lutz von der Universität Stuttgart berichtet im Interview mit Welt der Physik, welche Effekte bei hohen Fluggeschwindigkeiten auftreten können und wie sich diese mithilfe von Experimenten im Windkanal und Computermodellen untersuchen lassen.

Welt der Physik: Was muss an Verkehrsflugzeugen noch verbessert werden?

Porträt des Wissenschaftlers Thorsten Lutz

Thorsten Lutz

Thorsten Lutz: Die Effizienz wird fortwährend verbessert, ohne dabei die Flugsicherheit zu beeinträchtigen. Zum Beispiel versucht man leichtere Flugzeuge zu bauen, um weniger Treibstoff zu verbrauchen. Wenn das Flugzeug allerdings zu leicht konstruiert würde, bekäme man Probleme mit der Stabilität der Struktur. Wir befinden uns in einem permanenten Optimierungsprozess, in den immer die neuesten Erkenntnisse aus der Aerodynamik und der Materialforschung einfließen. Aber auch die Simulation der Strömungsdynamik mit Computermodellen wird ständig verbessert und liefert neue Anhaltspunkte.

Was ist das Ziel Ihrer Forschungsgruppe?

Wir schlagen eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Wir versuchen, bestimmte Effekte mithilfe von Experimenten besser zu verstehen, und verbessern zusätzlich die Berechnungsmethoden, mit denen wir die Strömungssituation am Computer modellieren. Dabei konzentrieren wir uns auf Phänomene, die bei sehr hohen Fluggeschwindigkeiten auftreten – bei über 1000 Kilometern pro Stunde, also höheren Geschwindigkeiten als beim normalen Reiseflug.

Was sind das für Phänomene?

Wenn man eine bestimmte Geschwindigkeitsgrenze überschreitet, können zeitlich variierende Drücke und Kräfte auftreten. Das heißt, die Kräfte, die auf das Flugzeug wirken, können sich sehr stark und auch sehr plötzlich verändern und sind dann beispielsweise nicht mehr linear abhängig vom Anstellwinkel des Flugzeugs. Es kann zum Beispiel zu unerwünschten Vibrationen kommen. Auch wenn man beim normalen Reiseflug einen Sicherheitsabstand zu dem Geschwindigkeitsbereich hält, in dem diese Effekte auftreten, so will man sie doch verstehen, um die Effizienz und Flugsicherheit zu optimieren.

Ihre Forschungsgruppe hat hierzu Experimente am Europäischen transsonischen Windkanal durchgeführt. Was ist das für eine Anlage?

Diese Versuchsanlage befindet sich in Köln und dient internationalen Herstellern dazu, ihre Flugzeuge zu testen, bevor sie wirklich gebaut werden. Aufgrund des hohen finanziellen Aufwandes wurden dort bisher nur wenige Messungen durch Universitäten durchgeführt. Deswegen war es etwas Besonderes für uns, den Windkanal für unsere Experimente nutzen zu können. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, kurz DLR, hat dort für uns sehr spezifische Messungen durchgeführt. Mit diesen Daten haben wir dann unsere Berechnungsverfahren überprüft und sind dabei, sie auf dieser Grundlage zu verbessern.

Grafik: Oberfläche einer Tragfläche, auf der unterschiedliche Druckzonen mit unterschiedlichen Farben markiert sind

Oberflächendruck am Flügel

Wie funktionieren solche Experimente im Windkanal?

In solchen Anlagen wird die Strömungssituation nachgestellt, in denen sich ein Flugzeug im Reiseflug oder eben bei noch höheren Geschwindigkeiten befindet. Dazu müssen wir nicht unbedingt Experimente mit der gleichen Flugzeuggröße oder der gleichen Strömungsgeschwindigkeit durchführen. Stattdessen muss die sogenannte Reynoldszahl im Experiment mit der in der realen Situation übereinstimmen. Die Reynoldszahl ergibt sich unter anderem aus der Größe des Flugzeugs, der Strömungsgeschwindigkeit und der Dichte des Mediums. Bei unseren Experimenten im Windkanal haben wir beispielsweise ein Flugzeugmodell mit 1,5 Metern Flügelspannweite genutzt. Zur Umströmung haben wir nicht Luft, sondern minus 160 Grad Celsius kalten Stickstoff verwendet und bei einem Überdruck von bis zu viereinhalb Bar gearbeitet. Dadurch schafft man es an dem verkleinerten Modell, genau die Strömungsverhältnisse herzustellen, die bei einem realen Flug mit einem großen Flugzeug mit 60 oder 70 Metern Spannweite herrschen.

Welche Effekte haben Sie bei dem Experiment untersucht – und wie?

Wir haben die Geschwindigkeitsverläufe um das Flugzeugmodell herum vermessen. Dazu haben wir winzig kleine Eispartikel in den Windkanal gegeben und mit einem Laser eine Lichtebene aufgespannt. Wenn die Partikel dort hindurchfliegen, kann man sie mit einer Hochgeschwindigkeitskamera festhalten und so ihre Bewegung verfolgen. Das liefert uns das Strömungsfeld rund um das Flugzeug. Außerdem haben wir den Druck, der auf das Flugzeug wirkt, vermessen. Dazu haben wir einen druckempfindlichen Lack auf die Tragflächen aufgebracht. Wenn man diesen mit UV-Licht bestrahlt, ändert sich die Intensität der Rückstrahlung abhängig vom Druck, der an der Stelle herrscht. Es entsteht also ein Bild mit unterschiedlicher Farbintensität und das kann man dann in eine Druckverteilung umrechnen.

Welche Erkenntnisse haben Sie daraus gewonnen?

Zunächst mal haben wir einen reichen Schatz an Messdaten für komplizierte Strömungsphänomene gewonnen – sowohl was die Strömungsfelder anbelangt als auch was die Druckverteilung angeht. Das kann wissenschaftlich sicherlich noch die nächsten Jahre und Jahrzehnte genutzt werden, etwa um unsere Simulationen zu überprüfen und weiter zu verbessern. Wir haben auch verschiedene Effekte im Experiment beobachtet, die wir bisher noch nicht in Simulationen gesehen haben: Beispielsweise sind Druckwellen mit einer niedrigen Frequenz aufgetreten, die von den Flügelspitzen in Richtung Rumpf gelaufen sind. Die Ursachen sind noch nicht klar. Das gilt es also jetzt genauer zu untersuchen.

Welche Bedeutung hat Ihre Forschung für die Industrie?

Für die Flugzeugentwicklung ist es essenziell, dass man alle Flugbedingungen zuverlässig modellieren kann. Man muss sich vor Augen führen: Je später Änderungen am Entwurf notwendig werden, umso teurer wird das. Das heißt, es besteht immer ein Interesse daran, möglichst früh zuverlässige Methoden verfügbar zu haben, die auch solche Extremsituationen, wie wir sie betrachten, abdecken. Wir leisten also einen Beitrag zur Verbesserung der Berechnungsverfahren, die von der Industrie eingesetzt werden können. Unsere Partner vom DLR sind beispielsweise an der Entwicklung der Berechnungsverfahren für die europäische Luftfahrtindustrie beteiligt. Die kann dann also direkt von unserer Forschung profitieren.

Foto eines Flugzeugmodells, auf dessen rechter Seite durch verschiedene Farben gekennzeichnet ist, wie sich die Luftströmungen verteilen

Windkanal

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/luftfahrt-effizienz-und-flugsicherheit-optimieren/