„Die nächste Generation von Atomuhren“

Eine hochgenaue Atomuhr, die in einen Anhänger passt – mit dieser Neuentwicklung können Forscher nun die Erde vermessen.

Dirk Eidemüller

Raum voller elektronischer Geräte mit umfangreicher Verkabelung

PTB

Optische Atomuhren unterteilen eine Sekunde nochmals in viel kleinere Einheiten als gängige Atomuhren, die mit Mikrowellen arbeiten. Ein internationales Forscherteam hat nun eine optische Atomuhr entwickelt, die nicht nur unter den geschützten Bedingungen im Labor funktioniert, sondern auch in einem Anhänger auf Reisen gehen kann. Zu Testzwecken fuhren die Wissenschaftler in die französischen Alpen, wie sie in der Fachzeitschrift „Nature Physics“ berichten. Im Interview mit Welt der Physik spricht Christian Lisdat von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig über diese neue Atomuhr – die Zeit so präzise messen kann, dass sich damit sogar winzige Effekte der Einsteinschen Relativitätstheorie nachweisen lassen.

Welt der Physik: Wie groß und schwer sind gängige Atomuhren?

Porträt des Wissenschaftlers Christian Lisdat

Christian Lisdat

Christian Lisdat: Generell gilt: je genauer, desto größer und schwerer. Kommerzielle Cäsium-Atomuhren schaffen eine Genauigkeit von 5×10-13 und eine Stabilität von 3×10-14, wenn man ihre Frequenz über einen Tag mittelt. Sie wiegen rund dreißig Kilogramm. Primäre Cäsium-Fontänen-Uhren – wie sie beispielsweise in der PTB betrieben werden – füllen einen Tisch von der Größe einer Tischtennisplatte. Diese Platte wiegt fast eine halbe Tonne. Darauf befindet sich ein Vakuumaufbau mit einer Grundfläche von einem Quadratmeter und einer Höhe von zwei Metern. Die Genauigkeit liegt bei 2×10-16 und nach einem Tag erreicht diese Uhr eine ähnliche Stabilität wie die kommerzielle Atomuhr. Optische Atomuhren nehmen ähnlich viel Raum ein wie die primären Cäsium-Uhren.

Sie haben nun eine transportable Atomuhr entwickelt, die auf einen größeren Anhänger passt. Was waren die größten Schwierigkeiten beim Bau dieser Atomuhr?

Wichtig ist generell, dass sich die Frequenz nicht ändert, die Uhr also stabil läuft. Besonders die hochpräzisen optischen Atomuhren sind sehr empfindliche Geräte, denn sie benötigen eine Reihe von unterschiedlichen Lasern zur Kühlung, Präparation und Abfrage der Atome – in unserem Fall sind es insgesamt sechs Laser. Es ist ziemlich schwierig, die optischen Aufbauten so stabil und kompakt umzusetzen, dass ein Transport denkbar ist. Dies gilt speziell für Laser, die sich bezüglich einiger Eigenschaften bereits an der Grenze des heute im Labor Machbaren befinden. Das bedeutet, dass wir für transportable Aufbauten neue technologische Lösungen finden mussten und den Laboraufbau nicht eins zu eins kopieren konnten.

Wozu lassen sich solche transportablen Atomuhren nutzen?

Wir können diese Uhr mit hochgenauen Uhren anderer Institute vergleichen und auf diese Weise das Vertrauen in die nächste Generation von Atomuhren, die optischen Uhren, weiter stärken. Außerdem können wir die Frequenz der transportablen Uhr über eine Glasfaser mit Referenzuhren vergleichen und aus der beobachteten Differenz auf den Höhenunterschied – genauer gesagt, auf den Potenzialunterschied – zwischen beiden Uhren schließen.

Das Schwerefeld der Erde variiert ja von Ort zu Ort. Das könnte Höhenmessungen verfälschen, die allein mit Atomuhren vorgenommen werden. Wie gehen Sie damit um?

Das ist in der Tat sehr schwierig. Mithilfe von Atomuhren lässt sich nur die Stärke des Gravitationspotenzials der Erde bestimmen, nicht aber der Abstand zum Erdmittelpunkt. Diese rein geometrische Höhe ist für Geodäten auch nicht besonders relevant. Stattdessen interessieren sie sich für sogenannte Äquipotenzialebenen. Gleiche Höhe bedeutet dann, dass Wasser nirgendwo hinfließt und man sich senkrecht zum lokalen Schwerefeldvektor bewegt. Im Indischen Ozean gibt es zum Beispiel südlich von Sri Lanka eine Region mit ungewöhnlich schwacher Gravitation, weil dort weniger dichte Gesteinsschichten im Untergrund sind. Der Wasserpegel liegt deshalb rein geometrisch rund hundert Meter tiefer als in den anderen Weltmeeren. Wenn wir mit unserer Atomuhr mit einem Schiff auf dem Indischen Ozean herumschippern, würden wir aber nirgends einen Unterschied feststellen, denn das Gravitationspotenzial ist überall gleich. Die Wasseroberfläche passt sich diesem Potenzial – abgesehen von den Störungen durch die Gezeiten – nämlich an.

Autoanhänger steht vor einem Haus

Anhänger mit Atomuhr

Gibt es neben der Geodäsie weitere Anwendungen?

Wir könnten einen Beitrag für die Metrologie leisten – zu einer zukünftigen Neudefinition der Sekunde basierend auf optischen Uhren. Und die Entwicklung kompakter Uhren kann auch für Anwendungen in der Raumfahrt relevant werden. Dieser Schritt ist allerdings größer, trotzdem arbeiten wir bereits mit vielen Kollegen an diesem Ziel.

In welche Richtung geht die Entwicklung derzeit: noch stärkere Miniaturisierung oder eher höhere Genauigkeit?

Bei diesem Projekt zielen wir eher auf die Genauigkeit der Uhr, da diese für Metrologie und Geodäsie wichtiger als die Größe ist. Bei raumfahrtorientierten Projekten sieht das natürlich anders aus.

Ganz klein ist auch die neue Atomuhr nicht – wie viel kleiner könnte sie noch werden?

Würde man nur die Einbauten kompakter bauen – was allerdings mit erheblichem Aufwand verbunden ist – sollte man auf die Größe von ein oder zwei Kühl-Gefrier-Kombinationen kommen können.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/nachrichten/2018/die-naechste-generation-von-atomuhren/