„Eine Größenordnung genauer als die besten Atomuhren“

Der Atomkern des Elements Thorium-229 soll zukünftig als Taktgeber für einen neuartigen Typ von Atomuhren dienen.

Dirk Eidemüller

Im Lauf von Milliarden Jahren gehen die derzeit besten Atomuhren nur eine einzige Sekunde falsch. Doch mit sogenannten Kernuhren wollen Physiker die Zeit künftig noch genauer vermessen. Anders als bei gewöhnlichen Atomuhren dienen nicht die Schwingungen von Elektronen – die um einen Atomkern kreisen – als Taktgeber, sondern ein Anregungszustand im Atomkern selbst. Der bislang beste Kandidat für einen solchen Zustand findet sich in Atomkernen des Elements Thorium. Wissenschaftlern ist es nun gelungen, diesen für Kernuhren geeigneten Zustand erstmals genau zu charakterisieren. Welt der Physik sprach mit Ekkehard Peik von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig über die neuen Experimente und die möglichen Einsatzgebiete von Kernuhren.

Welt der Physik: Warum sind Atomkerne als Taktgeber für Uhren interessant?

Ekkehard Peik: Im Atomkern herrschen sehr viel größere Kräfte als in der Atomhülle. Neben der elektromagnetischen Kraft hat man es hier mit der sogenannten starken Kernkraft zu tun, die um viele Größenordnungen stärker ist. Aus diesem Grund lassen sich die Vorgänge im Atomkern sehr viel weniger durch äußere Einflüsse stören. Eine Kernuhr sollte gut eine Größenordnung genauer laufen als die besten Atomuhren.

Dieses Bild zeigt einen Wissenschaftler mit Laserschutzbrille, der an einem Tisch mit vielen optischen Elementen steht.

Laseraufbau

Warum gibt es solche Kernuhren nicht bereits?

Das Problem liegt darin, dass Kernübergänge aufgrund der enormen Kräfte im Atomkern normalerweise bei sehr viel höheren Energien stattfinden als in der Elektronenhülle – die Energien sind tausendfach bis millionenfach höher. Um Übergänge im Atomkern anzuregen, benötigt man üblicherweise Gammastrahlung. Hier kommt nun aber eine hochinteressante Entdeckung ins Spiel, die vor einigen Jahren gemacht wurde: Der Atomkern des Isotops Thorium-229 – ein relativ schwerer Atomkern – besitzt einen ganz ungewöhnlich niederenergetischen Anregungszustand. Der Übergang zwischen dem Grundzustand des Atomkerns und diesem angeregten Zustand lässt sich schon mit UV-Strahlung anregen, die wir mit Lasern erzeugen können. Noch ist leider nicht exakt bekannt, wie hoch die Anregungsenergie ist.

Gibt es auch andere Kandidaten als Thorium-229 für eine Kernuhr?

Nein, das ist das einzige Isotop, für das eine derart niederenergetische Anregung bekannt ist. Vielleicht werden sich in Zukunft noch andere Isotope finden. Aber gegenwärtig konzentrieren sich alle Hoffnungen auf dieses Isotop. Es ist allerdings nicht stabil: Thorium-229 ist radioaktiv und zerfällt mit einer Halbwertszeit von rund 8000 Jahren. Das ist aber langlebig genug, um damit eine Kernuhr betreiben zu können.

Was konnten sie nun über diesen Übergang herausfinden?

Es ist uns gelungen, den angeregten Zustand – Thorium-229m genannt – genau zu untersuchen und viele Eigenschaften des Atomkerns in diesem Zustand zu bestimmen. Wir haben dazu elektrisch geladene Thoriumatome in eine Ionenfalle gesperrt und anschließend spektroskopisch mit hoher Präzision untersucht. Dadurch konnten wir die elektrischen und magnetischen Momente des Atomkerns sowie seinen Ladungsradius vermessen. Das erlaubt uns Rückschlüsse auf die Struktur des Atomkerns und darauf, wie er sich bei diesem ungewöhnlichen Übergang verändert. Es ist aber noch einiges an weiterer Forschungsarbeit nötig, bevor wir wirklich eine Thorium-Kernuhr bauen können.

Das Bild zeigt die Kammer, in der die Experimente mit dem Isotop Thorium-229 durchgeführt worden.

Vakuumkammer

Was wären mögliche Einsatzgebiete für diese ultrapräzisen Uhren?

Für den Alltagsgebrauch und auch für normale wissenschaftliche Zwecke benötigt man eine solche komplizierte Uhr natürlich nicht. Es gibt aber in der Grundlagenforschung eine ganze Reihe von Fragestellungen, die sich nur mithilfe extrem genauer Zeitmessungen beantworten lassen. So geht man üblicherweise davon aus, dass die Naturkonstanten über die gesamte Geschichte des Universums immer gleich geblieben sind. Jedenfalls ändern sie sich heute scheinbar nicht. Nach einigen Theorien könnten sie aber in der Frühzeit des Universums stark geschwankt haben und sich vielleicht heute immer noch – wenn auch nur minimal – ändern. Um eine solche „Drift“ der Naturkonstanten nachweisen zu können, benötigt man extrem präzise Frequenzvergleiche zwischen unterschiedlichen Uhren. Der vermutete Effekt wäre zwar minimal, würde unsere Vorstellungen von den Naturgesetzen aber radikal verändern und Hinweise auf neuartige physikalische Gesetze liefern.

Wie ließe sich ein solcher Test umsetzen?

Nach Einsteins Relativitätstheorie ist die Geschwindigkeit, mit der physikalische Prozesse ablaufen, unter anderem von der Stärke des Gravitationsfeldes abhängig. Im Schwerefeld der Erde etwa laufen Prozesse minimal langsamer ab als im Weltraum. Von Atomuhren wissen wir bereits, dass ihr Verhalten perfekt mit der Relativitätstheorie übereinstimmt. Wenn man nun in unterschiedlichen Höhen – also in unterschiedlich starkem Gravitationsfeld – den Gang einer Kernuhr mit dem einer Atomuhr vergleicht, lässt sich feststellen, ob auch die starke Wechselwirkung den Vorgaben der Relativitätstheorie genügt. Würden wir da eine Abweichung bemerken, wäre das ebenfalls eine Sensation und würde die Tür zu neuer Physik öffnen. Denn dies würde eines der grundlegenden Postulate der Relativitätstheorie infrage stellen. Ein solcher Vergleich wäre überhaupt erst mit einer hochpräzisen Kernuhr möglich und ist einer der Gründe, warum sich weltweit Physiker für diese Art von Uhr interessieren.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/nachrichten/2018/eine-groessenordnung-genauer-als-die-besten-atomuhren/