Mit Quantenkontrolle zum Nobelpreis
Maike Pollmann
Für ihre bahnbrechenden Experimente an einzelnen Quantenteilchen erhielten David Wineland und Serge Haroche 2012 den Nobelpreis für Physik. Christian Ospelkaus vom Institut für Quantenoptik an der Universität Hannover und von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig erklärte in unserem Podcast, was die Arbeit der beiden Wissenschaftler so bedeutend macht. Hier finden Sie den Beitrag zum Nachlesen.
Der Doppelspaltversuch zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass Elektronen, Atome und sogar Moleküle neben ihren bekannten Teilchen- auch Welleneigenschaften besitzen. Tatsächlich lässt sich das Verhalten von Quantenteilchen mithilfe von sogenannten Wellenfunktionen mathematisch beschreiben und vorhersagen – von der Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Elektrons bis hin zu sonderbaren Phänomen wie der quantenmechanischen Verschränkung. Um diese, wie Einstein es nannte, spukhafte Fernwirkung oder Interferenzeffekte beobachten zu können, müssen die Quantenteilchen allerdings ungestört sein. Wenn man die Teilchen als Wellen betrachtet, ist dies der Fall, wenn die Wellenberge und -täler relativ zueinander einen festen Abstand aufweisen. Analog zu Lichtwellen wird das als Kohärenz bezeichnet. Da die Quantenteilchen aber mit ihrer Umwelt in Wechselwirkung treten, die voller Störfaktoren ist, geraten die Phasenbeziehungen – also die relativen Abstände der Wellenberge – leicht aus dem Takt. Es kommt zur Dekohärenz und die Quantenphänomene weichen der klassischen Physik.
Christian Ospelkaus: „Das bedeutet, dass man extrem vorsichtig zu Werke gehen muss. Man muss Systeme finden, die man sehr gut von der Umgebung isolieren kann und wo man den Einfluss der Umgebung gegenüber dem Quantensystem minimieren kann. Gleichzeitig muss man natürlich als Experimentator auch mit dem Quantensystem reden, es beeinflussen und messen können, sonst kann man nichts über das System lernen. Man muss also in irgendeiner Weise auf das Quantensystem Einfluss nehmen können und gleichzeitig soll es möglichst unempfindlich sein. In gewissem Sinne ist das eine Krux, die man als Experimentator zu lösen hat. Man muss die geeigneten Knöpfe finden, um an einem solchen Quantensystem zu stellen.“
Je nach Quantensystem, ob Atome, Photonen oder andere Teilchen, haben Physiker dafür unterschiedliche Ansätze entwickelt. Der diesjährige Nobelpreisträger David Wineland und seine Kollegen spezialisierten sich in ihrem Labor in Boulder, im US-Bundesstaat Colorado, zum Beispiel auf Ionen, also elektrisch geladene Atome. Das Team – zu dem übrigens auch Christian Ospelkaus von 2007 bis 2010 gehörte – fing diese Quantenteilchen für ihre Experimente in sogenannten elektromagnetischen Fallen ein.
Mit Lasern gekühlt
„Im Fall von einzelnen gespeicherten Ionen kann man sich das so vorstellen, dass man eine Stahlkammer baut, die man sehr gründlich auspumpt, sodass der Druck im Inneren 15 Größenordnungen unter dem Umgebungsdruck liegt. In solchen Situationen kommt alle paar Sekunden mal ein Atom vorbei. Dann baut man in diese Apparatur eine Kombination von Metallelektroden hinein, an die man Spannungen angelegt. Diese Spannungen können an bestimmten Orten im luftleeren Raum ein Potenzialminimum erzeugen, an dem man ein einzelnes Teilchen lokalisieren kann“
In diesen Potenzialmulden lassen sich die Teilchen für Stunden, Tage oder sogar Monate einfangen. Allerdings liegen die Atome darin nicht ruhig, sondern schwingen selbst nahe dem absoluten Temperaturnullpunkt noch um ihre Ruhelage. Dabei verhält sich auch ihre Bewegung gemäß den Regeln der Quantenmechanik. Die eingesperrten Ionen können an ihrem Platz also nicht beliebig hin- und herschaukeln, sondern nur mit ganz bestimmten Auslenkungen. Um die Teilchen abzubremsen und so in einen Zustand möglichst niedriger Energie zu versetzen, bestrahlten die Forscher um Wineland sie mit Laserlicht.
„Der Effekt basiert darauf, dass so ein Atom, wenn es einem Laserstrahl entgegenläuft, Photonen aus dem Licht aufnehmen kann. Wenn es solch ein Photon aufnimmt, dann muss der Impuls des Lichtes irgendwo hingehen. Der Impuls wird auf das Atom übertragen, und zwar in die entgegengesetzte Richtung, es wird abgebremst. Nun muss das Atom wieder zerfallen, es ist in einem angeregten Zustand. Der Punkt dabei ist, dass es jetzt diese Photonen, die es dabei wieder loswird, in alle Raumrichtungen abgibt – und nur zu einem ganz kleinen Teil in die Richtung, in die ich es abgebremst habe. Das heißt, es verliert Energie in Richtung des Laserstrahls, dem es entgegen läuft.“
David Wineland und seine Kollegen haben diese Technik seit Mitte der 1970er Jahre perfektioniert und erlangten damit eine bisher unvorstellbare Kontrolle über einzelne Ionen: So konnten die Forscher mithilfe maßgeschneiderter Laserpulse die internen Quantenzustände der Atome gezielt manipulieren und detektieren und damit zum Beispiel einzelne Quantensprünge – also Übergänge zwischen verschiedenen Energieniveaus im Atom – nachweisen. Vor allem aber gelang es ihnen, die inneren Zustände und die Bewegungszustände gleichzeitig zu manipulieren. Über diese Kopplung war es ihnen auch möglich, nachzuschauen oder auszulesen, in welchem Bewegungszustand sich das Atom gerade befindet. So waren sie schließlich erstmals in der Lage, die Ionen in den quantenmechanischen Grundzustand der Bewegung zu versetzen. Selbst mit der besten Technik ließe sich die Bewegungsenergie nun nicht weiter reduzieren.
Quantencomputer und Atomuhren
„Der quantenmechanische Grundzustand der Bewegung ist letztlich der Startpunkt für alle möglichen interessanten Zustände, die man dann daraus herstellen kann. Das ist sozusagen die zweite Hälfte der Neunzigerjahre, wo die unterschiedlichsten Schwingungsmoden der Bewegung hergestellt wurden. In ungefähr der gleichen Zeit gab es ein wachsendes Interesse an sogenannten Quantencomputern. Das sind sehr gut kontrollierte und wechselwirkende Quantensysteme wie zum Beispiel Ionen in einer Falle.“
Die eingesperrten Ionen könnten in solchen Rechnern als Quantenbits dienen und Informationen bestimmter Art viel effizienter verarbeiten als die klassischen Gegenstücke. Weltweit forschen Gruppen an diesen Computern der Zukunft, versuchen zum Beispiel die Systeme erweiterbar zu machen oder die Rechenfehler pro Operation zu reduzieren. Die gezielt kontrollierbaren Ionen ermöglichten aber auch den Bau von noch präziseren Atomuhren. Während die heute zur Zeitmessung eingesetzten Cäsiumuhren mit Frequenzen im Mikrowellenbereich arbeiten, nutzen die neuen Modelle Frequenzen im sichtbaren Bereich. Das macht sie mehr als hundertfach genauer, sodass sie künftig die Basis für einen neuen Zeitstandard bilden könnten: Eine von Wineland und seinem Team entwickelte optische Uhr ginge in rund 14 Milliarden Jahren – das entspricht etwa der seit dem Urknall vergangenen Zeit – nur rund fünf Sekunden falsch. Mit dieser Genauigkeit lassen sich unter anderem von Einsteins Relativitätstheorie vorhergesagte Effekte überprüfen. Doch auch an den Grundlagen wird weiter gefeilt.
„Zum einen versuchen wir natürlich mit der Kontrolle der Teilchen immer besser zu werden. Die Laser, die wir benutzen, um mit den Teichen zu reden, müssen immer stabiler werden, immer genauer, immer rauschärmer und immer präziser in ihrer Zeitansteuerung. Zum anderen versuchen wir natürlich auch über unseren Tellerrand herauszuschauen und neue Techniken zu entwickeln, wie wir mit den Atomen reden können. Zum Beispiel habe ich während meiner Zeit in Boulder eine Technik entwickelt, mit der wir solche Quantenlogikgatter mit Mikrowellen machen können anstatt mit Laserfeldern. Ob das nun der Weisheit letzter Schluss ist, muss sich erst noch herausstellen. Aber wir versuchen auch immer wieder neue Techniken zu entwickeln, um diese Quantensysteme zu kontrollieren und vielleicht auf diese Art und Weise besser zu werden.“
Mikrowellen im Resonator
Auch bei der Arbeit von Serge Haroche, der dieses Jahr ebenfalls den Nobelpreis für Physik erhielt, geht es um Quantenkontrolle. An die Stelle von Ionen in elektromagnetischen Fallen treten bei dem französischen Physiker allerdings Lichtquanten in Mikrowellenresonatoren. Letztere bestehen im Wesentlichen aus zwei Spiegeln, zwischen denen Mikrowellenphotonen hin- und herreflektieren. Dabei können nur solche elektromagnetischen Wellen mitmachen, deren halbe Wellenlänge beziehungsweise ein Vielfaches davon gerade dem Abstand der Spiegel entspricht. Bei Raumtemperatur finden sich von Natur aus unzählige Schwingungsquanten im Resonator, nahe am absoluten Nullpunkt dagegen nur noch wenige. Um mit diesen vereinzelten Photonen zu kommunizieren, schickten die Wissenschaftler speziell präparierte Atome durch den Resonator. Die sogenannten Rydbergatome sind rund tausendmal größer als gewöhnliche Atome.
„Bei diesen Rydbergatomen handelt es sich einfach um sehr hoch angeregte Atome und deren Übergangsfrequenz wurde gerade so gewählt, dass sie ganz nah an der Frequenz liegt, mit der dieser Resonator arbeitet. Jetzt können die Atome mit dem Feld dieses Resonators wechselwirken und der Resonator kann den Atomen ein Feld aufprägen. Das heißt, wenn die Atome durch diesen Resonator fliegen, wird ihre Phase relativ zu einem ruhenden Atom leicht geändert. Diese Phasenänderungen kann man experimentell messen. Und durch die Phasenverschiebungen, die die Atome beim Durchgang durch den Resonator erfahren, kann man dann Rückschlüsse auf die Felder ziehen, die im Resonator herrschen.“
Durch die Wechselwirkung mit den Rydbergatomen lassen sich auch Zustände des Mikrowellenfeldes im Resonator herstellen, die von Natur aus nicht vorkommen würden. Etwa, dass sich nur ein einziges Photon im Resonator befindet. Indem die Forscher einen Strahl von mehreren hundert Rydbergatomen pro Sekunde durch die Kammer schossen, ließ sich die Entwicklung eines einzelnen Photons sogar über einen längeren Zeitraum verfolgen, ohne es dabei zu stören. Solche Experimente waren vor einigen Jahrzehnten noch undenkbar – auch wenn es damals solche Resonatoren bereits gab.
„Eine große Kunst dieser Experimente liegt darin, dass man die Mikrowellenresonatoren so bauen muss, dass die Photonen auf der nützlichen experimentellen Zeitskala nicht sofort wieder verloren gehen. Man muss extrem gut polierte Metalloberflächen herstellen, damit diese Felder in solchen Resonatoren eine Lebensdauer von mehr als ein paar Millisekunden haben. Und man muss ja mindestens mehrere Durchflugszeiten der Atome durch einen solchen Resonator erreichen können, ohne dass die Quantenzustände des Strahlungsfeldes verloren gehen.“
Bahnbrechende Methoden
Tatsächlich konnte ein einzelnes Lichtteilchen in Haroches Experimenten rund 40.000 Kilometer zurücklegen – das entspricht etwa einer Reise um die Erde – und sich nahezu eine Zehntelsekunde lang im Resonator aufhalten, bevor es entkam oder absorbiert wurde. Auf der Grundlage dieser und verwandter Versuche mit optischen Photonen und Atomen lassen sich in Zukunft womöglich Techniken entwickeln, um Quanteninformationen zwischen Atomen und Lichtquanten auszutauschen. In stationären Quantenbits gespeicherte Informationen könnten so per Photon über weite Strecken übermittelt werden. Die Experimente beider Nobelpreisträger haben eines gemein:
„In beiden Gruppen haben wir es mit atomaren Energieniveaus zu tun, die an eine Schwingungsmode angekoppelt sind – entweder an die elektromagnetische Schwingungsmode im Resonator oder an die Bewegungen des Ions in seiner Falle. Diese Kopplung ist ganz wichtig. Über die Bewegungsmode eines Ions könnte ich ohne die Kopplung an die internen Zustände des Atoms wenig Aussagen machen; ich könnte kaum Messungen daran vornehmen. Genauso ist es mit der Schwingungsmode der elektrischen Felder im Resonator: Ich kann darüber im Grunde auf dem Quantenniveau keine Aussagen machen, außer dass ich ein anderes Quantensystem zur Hand habe, in dem Fall die Rydbergatome, mit dem ich die Felder vermessen kann. Diese Wechselwirkung ist ganz wichtig – ansonsten leben die beiden Quantensysteme einfach nebeneinander her und wissen nichts voneinander.“
Für diese „bahnbrechenden experimentellen Methoden, die das Messen und Manipulieren einzelner Quantensysteme ermöglichen“, wie es die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften formulierte, erhielten David Wineland und Serge Haroche am 10. Dezember 2012 den Nobelpreis für Physik.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/quantenmechanik-quantentechnik/quantenkontrolle/