„Für Quantencomputer sehr wichtig“

Dirk Eidemüller

Lichtstrahl geht von links unten nach rechts oben durch verschiedene abstrakte geometrische Elemente in leuchtenden Blau- und Rottönen.

Andrey Suslov/iStock

In Zukunft sollen Quantencomputer Dinge berechnen, an denen nicht nur herkömmliche Computer, sondern auch Supercomputer scheitern. Doch Quantencomputer bestehen zurzeit noch aus zu wenigen Informationsträgern – Qubits genannt –, um die dafür benötigte Rechenleistung aufzubringen. Ein wichtiger Schritt ist nun Physikerinnen und Physikern bei der Erzeugung von Qubits mit neutralen Atomen gelungen. Im Interview mit Welt der Physik erklärt Gerhard Birkl von der TU Darmstadt, wie er und sein Team erstmals ein Register aus über 1000 Qubits entwickelten.

Welt der Physik: Was sind Qubits und aus wie vielen sollte ein Quantencomputer bestehen?

Porträt des Wissenschaftlers Gerhard Birkl

Gerhard Birkl

Gerhard Birkl: Normale Computer arbeiten nur mit Nullen und Einsen, also binär. Qubits dagegen kodieren auch alle Werte zwischen Null und Eins und sind darüber hinaus miteinander verschränkt. Es gibt spezielle Aufgabestellungen, bei denen ungefähr ab 50 Qubits ein Geschwindigkeitsvorteil für Quantencomputer gegenüber herkömmlichen Computern sichtbar wird. Aber wenn man praxistaugliche Quantenrechner mit 100 oder noch mehr Qubits hat, dann werden damit Berechnungen möglich, die selbst auf Supercomputern unrealistisch viel Zeit brauchen würden. Das liegt daran, dass bei Quantencomputern mit zunehmender Anzahl von Qubits die Rechenleistung rapide anwächst. Nun muss man allerdings sagen, dass es sich bei diesen Zahlen um logische Qubits handelt, während wir deutlich mehr physikalische Qubits in einem Quantencomputer benötigen.

Was ist der Unterschied zwischen logischen und physikalischen Qubits?

Die Anzahl der logischen Qubits gibt vor, mit wie viel Rechenpower ein Quantencomputer arbeiten kann. Je mehr logische Qubits man hat, desto besser. Allerdings braucht man mehrere physikalische Qubits pro logischem Qubit. Das liegt an den notwendigen Fehlerkorrekturen: Da Quantenzustände extrem empfindlich sind und ein einziger Fehler eine Quantenberechnung bereits zunichte machen kann, benötigt man sozusagen Hilfs-Qubits, die eine möglichst solide Berechnung ermöglichen. Ein physikalisches Qubit kann ganz unterschiedlich implementiert sein: etwa als supraleitender Schaltkreis, als elektromagnetisch gefangenes Ion oder wie bei unseren Experimenten als festgehaltenes neutrales Atom. Man schaltet dann mehrere physikalische Qubits zusammen und erhält so ein logisches Qubit.

Wie viele physikalische Qubits braucht man für ein logisches Qubit?

Wie viele es genau sein sollen, hängt ein Stück weit davon ab, welche Art von physikalischen Qubits man einsetzt, wie hoch die Fehlerrate ist und welchen Typ von Quantenfehlerkorrektur man nutzt. Man braucht mindestens fünf physikalische Qubits pro logischem Qubit, besser wären aber sieben oder neun. Ein Quantencomputer, der mehr als 100 logische Qubits aufweisen soll, müsste also bei einem Faktor 9 rund 1000 physikalische Qubits haben. Diese Zahl war für längere Zeit eine wichtige Zielmarke. Unser Team hat es nun als erstes geschafft, diese Marke in einem physikalischen System zu übertreffen – und das gegen einige internationale Konkurrenz, unter anderem von IBM.

Mit welchem System haben Sie das geschafft?

Wir arbeiten wie gesagt mit neutralen Atomen. Die meisten großen Unternehmen – auch IBM und Google – arbeiten mit ultrakalten, supraleitenden Schaltkreisen. Diese funktionieren zwar gut und lassen sich elektronisch gut ansteuern. Aber es macht Probleme, wenn man viele von ihnen auf engem Raum integrieren will, weil sich die Steuerleitungen irgendwann gegenseitig stören. Wir setzen stattdessen aus mehreren Gründen auf neutrale Atome. Erstens sind die Atome eines Elements alle gleich. Unsere Qubits sind also sozusagen per Definition identisch. Das macht vieles einfacher. Und zweitens lassen sich viele von ihnen sehr nahe zusammenpacken. Das System lässt sich also einfach zu einer großen Zahl von Qubits hochskalieren.

Metallene Arbeitsplatte mit optischen Komponenten wie Linsen oder Spiegel sowie elektrische Bauteile, die mit Kabeln untereinander verbunden sind. Im Hintergrund befinden sich weitere Arbeitsplatten mit Experimentaufbauten und Schreibtischen mit Computern.

Experimenteller Aufbau

Wie haben Sie das umgesetzt?

Unser System sah so aus: Wir haben Rubidiumatome in ein sogenanntes Fallenregister gebracht, das aus lauter optischen Pinzetten bestand. Solche Pinzetten sind scharf gebündelte Laserstrahlen. Sie werden auch in der Biologie eingesetzt, um Zellpartikel oder ähnliches festzuhalten. Man kann damit aber auch einzelne Atome fixieren. Mithilfe einiger Laserstrahlen und Mikrolinsen haben wir ein zweidimensionales Raster erzeugt – vom Prinzip wie ein Schachbrett, bei dem jeweils ein Atom in einem Feld sitzen kann. Die Gitterpunkte waren gut fünf Mikrometer auseinander. Das Ganze erfolgte in einer Ultrahochvakuumkammer, in der sich auch die sehr kalten Rubidiumatome befanden. Diese besetzen dann einzeln die Fallenplätze, wobei aber einige Plätze leer bleiben. Mit einer speziellen optischen Pinzette können wir die Atome aber umsortieren und damit alle möglichen gewünschten Geometrien herbeiführen – etwa je drei mal drei physikalische Qubits, die dann wiederum ein logisches Qubit bilden sollen. Insgesamt haben wir in unserem Gitter bis zu 1305 Rubidium-Atome festgehalten, von denen sich jedes einzelne als physikalisches Qubit eignet.

Können Sie damit bereits Quantenkalkulationen anstellen?

Nein, so weit sind wir noch nicht. Bei diesen Versuchen ging es erst einmal darum, ein möglichst großes Register aus Qubits zu erzeugen. Wir konnten nachweisen, dass unsere Technologie eine noch sehr viel größere Anzahl von Qubits zulässt. Diese Skalierbarkeit ist für Quantencomputer sehr wichtig. Um künftig aus all diesen Qubits einen Quantencomputer zu bauen, müssen die Qubits miteinander kontrolliert wechselwirken und sich über sogenannte Gatter-Operationen miteinander verschalten lassen. Wir arbeiten zurzeit daran, dies für eine große Anzahl an Qubits zu demonstrieren. Unser Aufbau lässt aber noch weitere Möglichkeiten zu: So können wir die Atome nicht nur zwischen Gitterplätzen transportieren. Das zweidimensionale Gitter lässt sich auch problemlos zu deutlich mehr Ebenen in der dritten Dimension erweitern. Wir werden sehen, ob und wie wir diese Möglichkeit in Zukunft sinnvoll einsetzen werden.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/quantenmechanik-quantentechnik/quantentechnologien-fuer-quantencomputer-sehr-wichtig/