„Man könnte Elektroautos kontaktfrei aufladen“
Kai Dürfeld
Bereits heute lassen sich Mobiltelefone oder elektrische Zahnbürsten kontaktlos laden. Doch um etwa die Batterie eines Elektroautos oder einen Busses zu laden, sind große und schwere Spulen nötig, sowohl in der Ladestation als auch im Fahrzeug. Dass das auch kompakter geht, haben Rudolf Gross von der Technischen Universität München und Christoph Utschick von Würth Elektronik eiSos demonstriert. In einer handlichen Styroporverpackung steckt ihr Versuchsaufbau, den sie zusätzlich auf etwa minus 190 Grad Celsius abkühlen müssen. Im Interview berichten die beiden Physiker, wie man elektrische Energie ganz ohne Kabel überträgt und weshalb sie dafür solche tiefen Temperaturen benötigen.
Elektrische Energie ohne Kabel zu übertragen, ist für viele attraktiv. Doch wie funktioniert das?
Rudolf Gross: Man nutzt dafür die sogenannte elektromagnetische Induktion. Denn wenn elektrischer Strom durch eine Spule fließt, entsteht ein elektromagnetisches Feld. Dieses Feld breitet sich dann im Raum aus. In einer zweiten Spule, dem Empfänger, wird dadurch wiederum ein elektrischer Strom induziert. Das ist letztlich das gleiche Prinzip wie beim Sendevorgang des Rundfunks, bei dem sich elektromagnetische Wellen von der Sendeantenne über hunderte von Kilometern bis zum Empfänger ausbreiten.
Was ist das Neue beim kabellosen Energietransfer?
Die entscheidenden Unterschiede zum Rundfunk sind, dass man große Energiemengen übertragen will und die ganze hineingesteckte Energie wieder zurückgewinnen möchte – und darin besteht die Schwierigkeit. Denn beispielsweise kommt bei einem Radioempfänger oftmals nur etwa ein Milliardstel der ursprünglichen Leistung an – das System taugt also nicht, um Energie effektiv zu übertragen.
Wie weit können Sender und Empfänger voneinander entfernt sein, um dennoch große Leistungen ohne Verluste zu übertragen?
Christoph Utschick: Die Entfernung hängt sehr davon ab, wie groß die Spule oder die Antenne ist. Je größer sie ist, desto weitere Strecken lassen sich überbrücken. In unserem Experiment haben wir Strom über eine Strecke von bis zu elf Zentimetern übertragen – das entspricht gleichzeitig ungefähr dem Radius unserer Spule – und die Verluste waren dabei kleiner als fünf Prozent.
Und welche Leistung haben Sie so übertragen?
Unter optimalen Bedingungen haben wir fünf Kilowatt übertragen. Dabei ist die reine Leistung nicht unbedingt die Schwierigkeit. Es gibt durchaus Systeme, die hundert Kilowatt übertragen und einen ganzen elektrischen Bus aufladen können. Allerdings sind diese Systeme sehr groß und schwer. Wir haben uns hingegen gefragt, wie weit man diese Spulen verkleinern und damit auch ihr Gewicht reduzieren kann, ohne dass sie ineffizient werden. Doch üblicherweise enthalten Spulen sehr viel Kupfer. Wenn nun hohe Leistungen übertragen werden sollen, fließt auch viel Strom durch die Spulen und sie erwärmen sich stark. Kleiner und gleichzeitig leistungsfähiger zu bauen, ist daher mit Kupfer schwierig.
Haben Sie eine Lösung dafür gefunden?
Ja, wir verwenden anstatt Kupfer ein supraleitendes Material. Wird dieses Material auf etwa minus 190 Grad Celsius gekühlt, wird dem elektrischen Strom keinerlei Widerstand entgegensetzt. Und nicht nur, dass ein Supraleiter den Strom extrem gut leitet, er beansprucht dabei auch noch kaum Platz. Denn genau genommen haben wir eine supraleitende Schicht verwendet, die auf einen nur 0,1 Millimeter dünnen Träger aufgebracht ist. Ein solches Band lässt sich fast beliebig oft wickeln, ohne dass es viel Platz verbraucht. Und da der Strom verlustfrei in dem Band fließt, erwärmt sich die Spule praktisch nicht.
Hat das noch niemand vor Ihnen versucht?
Das haben durchaus schon andere probiert, allerdings ohne Erfolg, da das Konzept große mechanische und technische Schwierigkeiten mit sich bringt. Eines davon hat mit der Supraleitung als solcher zu tun: Strom wird nur verlustfrei transportiert, solange er in ein und dieselbe Richtung fließt. Unser Experiment nutzt jedoch Wechselstrom. Das heißt, der Strom ändert seine Fließrichtung in schneller Abfolge. Das führt dann leider doch zu Verlusten. Andere Forscher berichten, dass deshalb die Supraleitung schon bei wenigen hundert Watt zusammenbrach.
Wie gelang es Ihnen nun, diese Schwierigkeit zu überwinden?
Rudolf Gross: Unsere Weiterentwicklung setzt bei der Konstruktion der Spulen an. Üblicherweise werden sie sehr eng gewickelt. Doch wir haben uns gefragt: Wie müssen wir die Bänder wickeln, damit die Verluste möglichst gering sind? Das konnten wir mithilfe von Simulationsrechnungen beantworten. Daraus ergab sich genau der Abstand, den die bandförmigen Supraleiter benötigen, um den Strom möglichst effektiv zu übertragen. Anhand dieser Ergebnisse haben wir dann die Spulen konstruiert und damit erfolgreich fünf Kilowatt übertragen.
Lässt sich diese Leistung schon zum kontaktlosen Laden nutzen?
Das genügt bereits, um etwa elektrische Autos über Nacht oder auch für ein paar Stunden auf einem Parkplatz zu laden. Allerdings ist die aufwendige Kühlung der supraleitenden Elemente ein sehr großes Hindernis für den Einsatz in privaten Fahrzeugen. Aktuell ist unser Konzept also für viele Anwendungen noch zu teuer. Es kommt jedoch für spezielle Einsatzzwecke in Frage, bei denen extrem wenig Platz vorhanden ist und die trotzdem eine zuverlässige Energieversorgung benötigen – etwa komplizierte Industrielösungen oder Anwendungen aus der Medizintechnik. Wenn sich unser Konzept auch auf größere Leistungen von rund fünfhundert Kilowatt übertragen ließe, würde es auch für große Maschinen und Lkw interessant. In der Zukunft wäre es damit beispielsweise möglich, schon bei kurzen Standzeiten – etwa an einer Ampel – Elektroautos ein bisschen aufzuladen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/verkehr/man-koennte-elektroautos-kontaktfrei-aufladen/