Experimente mit Antiwasserstoff
1995 gelang es am CERN in Genf erstmals, Atome aus Antimaterie zu beobachten. Antiwasserstoffatome sind ideale Forschungsobjekte, um die Unterschiede zwischen Materie und Antimaterie aufzuspüren.
Drei Viertel der bekannten Materie des Universums bestehen aus Wasserstoff, dem einfachsten Element im Periodensystem: Wasserstoffatome sind aus einem Proton aufgebaut, das von einem Elektron umgeben ist (siehe Abbildung, linker Teil).
Untersuchungen an diesem einfachsten System der Elemente haben in den Naturwissenschaften zu grundlegenden Erkenntnissen geführt, wie beispielsweise zur Entwicklung des Bohrschen Atommodells mit all seinen intellektuellen und technischen Folgen.
Im Jahr 1995 gelang es einer deutsch-italienischen Arbeitsgruppe unter der Leitung des Autors, eines Physikers vom Forschungszentrum Jülich, am CERN in Genf erstmals Antiwasserstoffatome zu beobachten. Dieses zum Wasserstoff spiegelsymmetrische System entsteht, indem sowohl das Proton durch ein Antiproton als auch das Elektron durch ein Antielektron (Positron) ausgetauscht wird. Arbeitsgruppen an verschiedenen Experimenten versuchen seitdem, die Eigenschaften von Antiwasserstoffatomen genau zu bestimmen – in der Hoffnung, dabei ähnlich grundlegende Erkenntnisse zu erzielen, wie sie die Untersuchung von Wasserstoff geliefert hatte.
Erste Erzeugung von Antiwasserstoff
Das Vorgehen für die Herstellung von Antiwasserstoff ist im Grundsatz klar; man nehme Antiprotonen und Positronen, lasse beide miteinander reagieren und erzeuge auf diese Weise Antiwasserstoff. Da bei solchen Reaktionen aber Energie- und Impulserhaltung gleichzeitig erfüllt sein müssen, ist dafür ein dritter Reaktionspartner nötig, der die überschüssige Energie aufnimmt. Dieser Reaktionspartner kann beispielsweise ein Photon oder ein zusätzliches Elektron oder Positron sein (siehe Abbildungen).
Beim Experiment PS210 am CERN, das erstmals Antiwasserstoffatome beobachtete, wurde allerdings ein anderer Weg gegangen (siehe Abbildung).
Dabei erzeugt das an einem schweren Kern streuende Antiproton sein Positron in der elektromagnetischen Wechselwirkung selbst. Mit einer kleinen, aber endlichen Wahrscheinlichkeit sind Antiproton und Positron nach dem Streuprozess im Impuls- und Ortsraum so dicht beieinander, dass sie eine Bindung zu einem Antiwasserstoffatom eingehen können.
Den im Speicherring LEAR (Low Energy Antiproton Ring) am CERN kreisenden Antiprotonen wurden dazu Xenon-Atome in den Weg gestellt.
Findet keine Reaktion zwischen Antiproton und Xenon statt, so setzt das Antiproton seine Bahn im Ring fort, den es etwa eine Millionen Mal pro Sekunde umkreist. Findet eine andere, für die Herstellung von Antiwasserstoff uninteressante Reaktion statt – welchen Typs auch immer –, ist das Antiproton verloren. Wird aber ein neutrales Antiwasserstoffatom gebildet, so fliegt dieses in der nachfolgenden Kurve geradeaus aus dem Ring heraus. An dieser Stelle waren Detektoren aufgestellt, anhand derer die Antiwasserstoffatome nachgewiesen wurden.
Diese erste Beobachtung von Antiwasserstoffatomen erregte zwar weltweites öffentliches Interesse, war aber wissenschaftlich über den Nachweis der Existenz dieser seltenen Objekte hinaus nicht von ausnehmendem Gewicht, da die erzeugten Antimaterieatome zu schnell waren, als dass ihre Eigenschaften präzise untersucht werden konnten.
Vergleich von Wasserstoff und Antiwasserstoff
Zur genaueren Untersuchung der Eigenschaften von Antimaterieatomen wurden am AD-Teilchenbeschleuniger (dem Antiproton Decelerator) des CERN die Experimente ATHENA und ATRAP installiert. Die erste Hürde zur Vorbereitung dieser Experimente, die Synthese von Antiwasserstoffatomen, wurde bereits erfolgreich genommen. Die ATHENA-Kollaboration hat sich jedoch mittlerweile aufgelöst, ein Teil von ihr bildet nun die Arbeitsgruppe ALPHA. ALPHA und ATRAP haben sich die Spektroskopie von gespeicherten Antiwasserstoffatomen als Ziel gesetzt. Weitere Experimente am AD-Beschleuniger bei CERN betreiben die unter japanischer Leitung stehende Gruppe ASACUSA, die Spektroskopie an einem Strom von fliegenden Antiwasserstoffatomen verfolgen möchte, und die neue Kollaboration AEGIS, welche die Gravitationswirkung des Erdfeldes auf Atome aus Antimaterie untersuchen will.
Die Herausforderung der zu bewältigenden Aufgaben für all diese Experimente ist gewaltig und erfordert stetiges Entwickeln neuer Techniken, um die Erzeugung von Antimaterieatome bei derartig geringen Temperaturen zu erreichen, dass sie über ihr kleines magnetisches Moment in einer entsprechenden Falle langfristig gehalten werden können.
Zur Herstellung von Antiwasserstoffatomen werden Antiprotonen aus dem AD-Beschleuniger eingefangen und mit Positronen zu Antiwasserstoffatomen rekombiniert (siehe Abbildung).
An erfolgreichen Tagen werden heute am CERN auf diese Art und Weise einige hunderttausend Antiwasserstoffatome produziert, die jedoch leider immer noch zu schnell fliegen, als dass man sie in einer magnetischen Falle einfangen könnte. Dies ist allerdings Voraussetzung, um ihre Eigenschaften genau zu vermessen. Wissenschaftler verschiedener Nationen arbeiten deshalb derzeit daran, die Antiwasserstoffatome noch „kälter“, also mit noch geringeren Energien, herzustellen, um sie dann als physikalische Messobjekte zur Verfügung zu haben.
Große Anstrengungen werden zur Zeit unternommen, um Form, Dichte und Temperatur der Wolken aus Positronen und Antiprotonen, aus denen die Antiwasserstoffatome erzeugt werden sollen, zu kontrollieren und Parameter an der Hand zu haben, die diese Eigenschaften gezielt steuern. Während die 1995 erstmals erzeugten Antiwasserstoffatome einige Millionen Grad an Temperatur besaßen, konnte für die ersten am AD hergestellten Antiwasserstoffatome schon Temperaturen von „nur“ einigen tausend Grad gemessen werden. Mittlerweile erreichen die gespeicherten Wolken von Positronen und Antiprotonen schon Temperaturen bis hinunter zu etwa zehn Kelvin (minus 263 Grad Celsius) – wobei es wünschenswert wäre, die Temperatur um noch eine Größenordnung weiter zu senken. Die Hoffnung ist aber, wenn diese mittlere Temperatur der gebildeten Antiwasserstoffatome einer Boltzmann-Verteilung entspricht und die Anzahl dieser exotischen Atome groß genug ist, dass es hinlänglich viele erzeugte Antiwasserstoffatome gibt, die kalt genug sind, um eingefangen zu werden. Erste Hinweise auf einen derartigen Erfolg gibt es schon.
Von besonderem Interesse ist bei den geplanten Untersuchungen die Frage, ob das Spektrum der Übergangsfrequenzen zwischen den einzelnen Energieniveaus von Antiwasserstoff dem Spektrum von Wasserstoff entspricht, oder auch, ob die von Materie auf Antiwasserstoff ausgeübte Gravitationskraft genauso stark ist wie auf Wasserstoff, ob also die Gravitation auf Antimaterie genauso wirkt wie auf Materie. In jedem Fall geht die Antimaterieforschung mit diesen Experimenten in eine spannende Phase.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/antimaterie/antimaterie-experimente/