Attosekundenspektroskopie
Franziska Konitzer
Thomas Pfeifer vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg nutzt Lichtpulse, die nicht einmal eine billiardstel Sekunde andauern, um Spektroskopie zu betreiben. In unserem Podcast erklärte der Physiker, wie sich solche ultrakurzen Attosekundenpulse erzeugen lassen und welche einzigartigen Einblicke in Atome und Moleküle damit möglich werden. Hier finden Sie den Beitrag zum Nachlesen.
Eine Null, dahinter ein Komma und siebzehn weitere Nullen – erst dann folgt die Eins und eine Attosekunde ist vergangen, das Trillionstel einer Sekunde. In unserer Welt, die sich im Sekundentakt des menschlichen Herzschlages abspielt, ist eine Attosekunde so irrwitzig kurz, dass sie weit über das menschliche Vorstellungsvermögen hinausgeht: Sie verhält sich zu einer Sekunde wie die Sekunde zum Alter des Universums – und das ist schließlich fast vierzehn Milliarden Jahre alt. Doch Physiker wie Thomas Pfeifer vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg arbeiten tagtäglich mit dieser Größenordnung. In seinem Labor betreiben Pfeifer und seine Kollegen Grundlagenforschung mithilfe von Lichtpulsen, die nur wenige Attosekunden andauern. Um diese herzustellen, setzen Forscher ultrakurze Laserpulse ein.
Pfeifer: „Das Hauptgerät ist normalerweise ein ultrakurzgepulster Titan-Saphir-Laser. Dieser ist verstärkt, da Licht einer bestimmten Intensität erforderlich ist, um die Attosekundenpulse zu erzeugen. Das Licht wird auf ein atomares Medium eingestrahlt, um den Prozess der Hohen-Harmonischen-Erzeugung zu treiben, in dem auch die Attosekundenpulse entstehen.“
Das atomare Medium stellt üblicherweise ein Edelgas wie Neon oder Argon dar. Trifft das intensive, rötliche Licht des Titan-Saphir-Lasers auf die Edelgasatome, werden diese angeregt und emittieren ungerade Vielfache der eingestrahlten Laserfrequenz – also Licht mit der drei-, fünf-, siebenfachen Frequenz und so weiter. Ab der fünfzehnten Vielfachen sprechen Wissenschaftler von der Erzeugung der Hohen Harmonischen. 2001 gelang es einem Team um den Physiker Ferenc Krausz auf diese Weise erstmals, einen einzelnen Lichtpuls mit einer Dauer von 650 Attosekunden zu erzeugen. Inzwischen wurde diese Leistung zwar schon mehrfach übertroffen, doch ein Puls mit einer Dauer von lediglich einer einzelnen Attosekunde ist immer noch außer Reichweite.
„Attosekundenpulse haben typischerweise eine Länge von wenigen Hundert Attosekunden. Der Weltrekord liegt im Moment bei etwa fünfzig Attosekunden, was dann auch die Zeitskala der Auflösung ist.“
Neue Einsichten in die Natur
Doch wozu das alles? Um Vorgänge in der Natur beobachten zu können, muss die Zeitauflösung des Beobachtungsinstruments kürzer als die Dauer des Vorgangs sein. Eine historische Variante dieses Problems wurde im Jahr 1872 von dem Engländer Eadweard Muybridge gelöst: Gibt es beim Galopp eines Pferdes einen Zeitpunkt, zu dem das Pferd alle vier Beine in der Luft hat? Nur durch Hinschauen konnte diese Frage nicht beantwortet werden – mit einer Auflösung von höchstens einem Fünfundzwanzigstel einer Sekunde ist das menschliche Auge dieser Aufgabe nicht gewachsen. Muybridge stellte also mehrere Kameras auf, entwickelte ein ausgeklügeltes System, mit dem die Zeitauflösung auf eine fünfhundertstel Sekunde verkürzt wurde – und drückte auf den Auslöser, als ein Rennpferd vorbeigaloppierte. Ergebnis: In der Tat gibt es beim Pferdegalopp einen Zeitpunkt, zu dem das Tier den Boden nicht berührt. Analog dazu erhalten Physiker durch die Attosekundenpulse ebenfalls neue Einsichten in die Natur – wenn auch in sehr viel kleineren Dimensionen. Die Erforschung von Licht und Materie mithilfe der ultrakurzen Pulse nennt man Attosekundenspektroskopie.
„Generell werden damit elektronische Prozesse auf sehr kleinen Längenskalen in Atomen und Molekülen gemessen, weil diese Prozesse eben auch sehr schnell ablaufen, während viele elektronische Prozesse im Festkörper hingegen langsamer ablaufen. In Atomen und Molekülen sind die Anregungsenergien meist höher und damit auch die Zeitskalen kürzer, denn diese verhalten sich invers zu den Energieabständen und befinden sich dann im Attosekundenbereich.“
Mithilfe der Attosekundenspektroskopie können die Forscher inzwischen sogar sichtbarem Licht beim Schwingen zusehen – denn das schwingt auf Zeitskalen von Femtosekunden, also einigen Tausend Attosekunden. Indem Physiker die Bewegungen von Elektronen verfolgen, ist es ihnen gelungen, Vorgänge in Atomen genau zu untersuchen. Zum Beispiel, wie lange es dauert, bis ein einmal angeregtes Elektron wieder in seinen Grundzustand zurückkehrt. Die Attosekundenspektroskopie gewährt aber auch gänzlich neue Einblicke.
„Wir haben jetzt die Möglichkeit, Prozesse anzuschauen, die man vorher nicht auf diese Weise anschauen konnte. Bei uns im Labor war das der Fanoprozess in einem Heliumatom, der wurde bislang nicht im Zeitbereich vermessen. Und durch das Studium dieses eben doch recht fundamentalen Prozesses im Zeitbereich ergab sich ein neues Verständnis der Physik, die dahinter steckt.“
Wenn ein Material oder ein Gas mit Licht bestrahlt wird, senden die Atome darin unter bestimmten Umständen selbst wieder Licht aus. Diese emittierte Strahlung lässt sich in die einzelnen Wellenlängen zerlegen, wodurch Forscher ein charakteristisches Spektrum der Probe erhalten. Die Intensität des Lichts bei den verschiedenen Wellenlängen liefert ihnen dann wichtige Informationen, wie etwa über die chemische Zusammensetzung oder die physikalischen Eigenschaften der Probe. Der Fanoprozess in Helium hinterlässt ein ganz besonderes Signal im Spektrum eines Heliumatoms: Er erzeugt zwei entgegengesetzte Spitzen. Diese sogenannte Fanoresonanz ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt und hat einen quantenmechanischen Hintergrund. Pfeifer und seinem Team gelang es nun nicht nur, diesen Prozess zeitlich aufzulösen, sie veränderten mit Attosekundenpulsen darüber hinaus das Linienspektrum von Helium. Beispielsweise brachten sie das Edelgas dazu, bei Bestrahlung nicht nur Licht zu absorbieren, sondern selbst laserartiges Licht zu emittieren. Das könnte durchaus auch für andere Forschungsbereiche relevant sein.
„Indem man diesen Prozess weiter kontrolliert, könnte man Licht eigentlich beliebig formen. Egal, bei welcher Frequenz – indem man in diesen Prozess eingreift, könnte man Pulse beliebiger Frequenz zeitlich formen. Und das hat natürlich Potenzial für interessante Anwendungen.“
Von Laserpulsen kontrolliert
Thomas Pfeifer hat auch schon eine Idee, wie dieses formbare Licht möglicherweise einmal eingesetzt werden könnte. Laser zeichnen sich dadurch aus, dass sie hochintensives, wohldefiniertes Licht aussenden. Während die Erzeugung eines solchen Lichts im niederfrequenten Bereich des optischen Spektrums kein Problem darstellt, wird es umso schwieriger, je höher die Frequenz sein soll. Ein von kurzen Laserpulsen kontrolliertes System könnte da gerade recht kommen.
„Die Verbesserung: Man könnte solches laserartiges, kohärentes Licht jetzt auch bei sehr hohen Frequenzen, sogar im Röntgen- oder im Gammabereich, herstellen. Im Röntgenbereich gibt es natürlich jetzt schon Freie-Elektronen-Laser, die es erlauben, solches Licht herzustellen, aber darüber hinaus ist es im Moment noch sehr schwierig. Mit unserem Mechanismus wäre es jetzt möglich, solches kohärentes Licht auch bei sehr hohen Frequenzen bis hin zu Gammaphotonenenergien in einem geeigneten System zu erzeugen. Was dann natürlich schon neue Möglichkeiten eröffnet.“
So lassen sich durch Attosekundenpulse Elektronen nicht nur beobachten, sondern auch gezielt bewegen. Es gibt sogar schon Überlegungen, auf diese Weise Elektronen in winzigen Schaltkreisen zu steuern und so der derzeitigen Elektronik einen ordentlichen Geschwindigkeitsschub zu verpassen. Es ist also durchaus möglich, dass die ultrakurzen Lichtpulse eines Tages auch Einzug in den trillionenfach länger getakteten menschlichen Alltag halten.
Welt der Physik gemäß den Bedingungen der Quelle
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/atome-und-molekuele/atome-und-quantenphysik/attosekundenspektroskopie/