Kugelblitze aus dem Wasserglas
Ob es die leuchtenden Kugeln überhaupt gibt, ist umstritten. Menschen, die sie beobachtet haben, berichten, sie könnten sich an Stromkabeln entlanghangeln und sogar Fensterscheiben durchdringen. Mit wissenschaftlichen Methoden war Kugelblitzen bislang nicht beizukommen. Nun erzeugt Gerd Fußmann vom Max-Planckinstitut für Plasmaphysik und der Berliner Humboldt-Universität in seinem Labor leuchtende Plasmabälle, die bei der Erklärung des Phänomens helfen könnten.
Mit Kugelblitzen hat es eine merkwürdige Bewandtnis. Viele Menschen wollen sie gesehen haben, darunter auch sehr glaubwürdige, wie die berühmten Physiker Benjamin Franklin, Nikola Tesla, Niels Bohr oder Pjotr Kapitza. In Russland gibt es eine Gesellschaft, die eine Liste mit rund 5000 Sichtungen dieses Phänomens führt. Doch geht man diesen Hinweisen genauer nach, so schwindet das Vertrauen in sie oft ziemlich schnell. „In Bohrs ehemaligem Institut konnten wir keine Bestätigung für dessen Kugelblitzbeobachtung erhalten“, sagt Gerd Fußmann, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) und der Berliner Humboldt-Universität. Dennoch liegen so viele Berichte von glaubwürdigen Menschen vor, dass der IPP-Forscher von der Existenz der leuchtenden Kugeln überzeugt ist. „Sie sind eben nur sehr selten“, sagt er.
Fotos von Kugelblitzen gibt es wenige. Und wenn, überzeugen sie kaum. Fasst man alle Beschreibungen von Kugelblitzen zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Kugelblitze treten fast nur im Zusammenhang mit Gewittern auf, haben Durchmesser von einigen zehn Zentimetern und leuchten in unterschiedlichen Farben, meistens werden sie als rötlich beschrieben. Die Lebensdauer liegt überwiegend zwischen zwei und acht Sekunden. Manchmal löst sich das Phänomen mit einem lauten Knall auf. Die Liste der rund hundert Theorien und Hypothesen enthält allerlei krause Ideen, zu denen das Auftreten von Antimaterie und kleinen schwarzen Löchern gehören.
Bis vor vier Jahren hatte Gerd Fußmann kein besonderes Interesse an Kugelblitzen. Er war damals Leiter der Arbeitsgruppe Plasmaphysik des IPP und der Humboldt-Universität und untersuchte das Strömungsverhalten von Plasmen, die in Fusionsreaktoren, wie dem Stellarator in Greifswald oder dem im Bau befindlichen ITER, eine Rolle spielen. Bis 2004 war er Direktor der Berliner Außenstelle des IPP und „im Nebenberuf“ Professor für experimentelle Plasmaphysik an der Universität, wie er ironisch bemerkt.
Leuchtblasen aus dem Wasserbad
Doch dann hörte er im Jahr 2003 in einem Seminar den Vortrag eines russischen Wissenschaftlers, der von erstaunlichen Experimenten am Institut für Nuklearphysik in St. Petersburg berichtete. Eigentlich wollten die dortigen Forscher eine Methode entwickeln, um mit Starkstromentladungen Wasser zu desinfizieren. Dabei waren sie zufällig auf kugelförmige Leuchterscheinungen gestoßen, die aus dem Wasser aufstiegen. „Mir erschien das sehr interessant, aber nicht glaubwürdig“, erinnert sich Fußmann. Es gab ein paar Fotos, aber keinerlei Messungen.
Jetzt hatte ihn das Kugelblitzfieber gepackt. Er wollte diesem Phänomen nachgehen und baute mit seinem Kollegen Burkhardt Jüttner in Berlin ein eigenes Experiment auf. Und das ist im Prinzip ganz einfach: Man nehme einen etwa fünfundzwanzig Zentimeter großen Behälter, fülle ihn mit gewöhnlichem Leitungswasser und bringe am Boden eine ringförmige Elektrode an. Die zweite Elektrode, ein Kupferdraht, steckt in einem Tonröhrchen mit einem Zentimeter Durchmesser. Der Hohlraum zwischen Röhrchen und Draht ist fast gänzlich von einem Isolator ausgefüllt, nur das Ende des Kupferdrahts steht frei darin. Draht und Tonröhrchen führen die Wissenschaftler so von unten an die Wasseroberfläche, dass sie knapp aus dem Wasser herausragen. Gerade so weit, dass sich um das frei stehende Stück Kupferdraht ein Wassertropfen platzieren lässt.
Eine Kondensatorbank baut dann eine Spannung von 5000 Volt auf, die schlagartig über die beiden Elektroden entladen wird. In diesem Moment verdampft der Tropfen auf der oberen Elektrode und wird zu einem leuchtenden Ball von etwa zwanzig Zentimeter Durchmesser, der einen halben Meter hoch aufsteigt. Schon nach weniger als einer halben Sekunde ist der Spuk vorbei, und die leuchtende Kugel löst sich auf. „Trotz der kurzen Lebensdauer kann man den Plasmaball sehr gut erkennen“, sagt Fußmann.
Bei den ersten Experimenten hatten Fußmann und Kollegen den aufsteigenden Bällen Papier in den Weg gehalten. Da es sich bei der Berührung nicht entzündete, vermuteten die Wissenschaftler, dass die Kugeln relativ kühl sind. Das erwies sich als Irrtum. In den vergangenen zwei Jahren sind die zwei Professoren zusammen mit zwei Diplomanden dem Phänomen nach allen Regeln der physikalischen Messkunst auf den Leib gerückt – und haben allerhand Erstaunliches herausgefunden.
Kugeln, so heiß wie die Sonne
So zeigen Hochgeschwindigkeitskameras, wie sich kurz nach der Spannungsentladung innerhalb von wenigen tausendstel Sekunden um die obere Elektrode herum ein spinnenartiges, leuchtendes Netz auf der Wasseroberfläche ausbreitet. Ursache hierfür ist die hohe Spannung zwischen der unteren Elektrode und der Wasseroberfläche, auf der sich elektrische Ladungsträger sammeln. Dadurch entsteht auch ein hohes Feld zwischen der Oberfläche und der oberen Elektrode, zu der die Ladungsträger aus allen Richtungen hinströmen. Dieser Strom erhitzt den Wassertropfen an der oberen Elektrode so stark, dass er verdampft und teilweise in ein Plasma, also ein ionisiertes Gas, überführt wird.
Der Durchmesser der mit etwa einem Meter pro Sekunde aufsteigenden Kugel vergrößert sich dabei von etwa acht bis auf zwanzig Zentimeter. Dann verformt sich die Kugel zu einem reifenförmigen Gebilde und verlöscht. Die Plasmablase enthält nur etwa ein bis drei Zehntelgramm Gas.
Erste Erkenntnisse über die Temperatur erbrachten Experimente mit Thermoelementen. Das sind in diesem Falle zwei extrem dünne Drähte aus unterschiedlichen Metallen, die an beiden Enden miteinander verschweißt werden. Tritt zwischen den Enden eine Temperaturdifferenz auf, so fließt ein Strom, der sich leicht messen lässt. Die Stärke des Stroms liefert ein Maß für die Temperatur an dem Ende des Thermoelements, das mit dem Messobjekt Kontakt hat. Bei diesen Versuchen hielten es die Physiker in die Plasmabälle. Etwa 1300 Grad Celsius maßen sie – dann schmolz der Draht. Nur berührungslose Messungen konnten ihnen weiterhelfen.
Als Mittel der Wahl gilt in solchen Fällen immer Spektroskopie. Die Diplomanden Alex Versteegh von der Technischen Universität Eindhoven und Stefan Noack von der Uni Leipzig, die von Fußmanns Experimenten gehört hatten und unbedingt mit daran forschen wollten, unternahmen diese Experimente. Sie mussten in kurzen Zeitabständen das Licht der Plasmakugel mit einem Spektrographen analysieren. Bei ihren Untersuchungen wiesen die Forscher charakteristische Strahlungslinien von Kalziumhydroxid und anderen Molekülen sowie von Atomen und Ionen nach. Hieraus schließen die Physiker, dass in den Kugeln anfänglich eine Temperatur um 5000 Grad herrscht, die dann innerhalb der ersten Zehntelsekunde auf etwa die Hälfte sinkt. Das ist schon ein recht heißes Plasma, in dem Elektronen und positive Ionen etwa von Natrium, Kalzium oder Kupfer existieren. Während die ersten beiden Stoffe in Form von Salzen im Leitungswasser enthalten sind, stammt das Kupfer aus der Elektrode.
In einer Plasmakugel laufen aber auch eine ganze Reihe chemischer Reaktionen ab. Und die sind nach den neusten Ergebnissen für den größten Teil des Leuchtens verantwortlich. So entstehen aus dem Wasser bei den hohen Temperaturen Hydroxid-Radikale, die wiederum mit Kalzium zu Kalziumhydroxid weiterreagieren. Diese Reaktion tritt auch in Flammen auf und führt zu einer Leuchterscheinung, die man Chemolumineszenz nennt.
Auch wenn Gerd Fußmann und seine Mitarbeiter das Plasmaglühen weitgehend aufgeklärt haben, bleibt doch eine wesentliche Frage offen: Auch die Natrium- und Kalzium-Atome senden Licht in charakteristischen Farben aus; Natrium leuchtet gelb, Kalzium orangerot. Das können sie allerdings nur, wenn sie ständig von heißen und schnellen Elektronen angestoßen werden. Eigentlich sollten die Elektronen in einem Plasma ziemlich rasch abkühlen, sodass auch das Licht der Plasmakugel schnell erlischt. Schneller jedenfalls, als es die Berliner Gruppe beobachtet. Das heißt, die Elektronen müssen so lange nachgeheizt werden, wie die Kugel leuchtet. Die Wissenschaftler vermuten, dass die hierfür nötige Energie in den Molekülen gespeichert und auf eine noch unbekannte Weise an die Elektronen abgegeben wird – ein rätselhafter Vorgang, dem die Wissenschaftler weiter nachgehen.
Salze bringen Farbe ins Spiel
Das Gelb des Natriums und Orangerot des Kalziums sind dabei nicht die einzigen Farben, in denen die Plasmakugel leuchten kann. Je nachdem, welche Salze die Forscher im Wasser lösen, nimmt der Plasmaball auch andere Farben an. Kupfersalze etwa lassen ihn in Grün erstrahlen. Außerdem steigern Salze die Helligkeit der Bälle. Das erhöht deren elektrische Leitfähigkeit, sodass mehr elektrische Energie in die Leuchterscheinung umgesetzt wird. Insgesamt fließt aus der Hochspannung eine Energie von etwa acht Kilojoule in die Entladung, und davon etwa drei direkt in den Wassertropfen hinein. Davon zehren das Verdampfen der Flüssigkeit und das Aufheizen des Wasserdampfes rund die Hälfte auf. Von den restlichen 50 Prozent gehen etwa 30 in die Dissoziation der Moleküle und die Ionisation der Atome und rund 20 Prozent in die Leuchterscheinung.
Unterm Strich werden also nur einige Prozent der gesamten elektrischen Energie in Strahlung umgewandelt. Der Anteil ließe sich erhöhen, indem man als Leiter ein Material mit geringem elektrischem Widerstand verwendet, das deshalb nicht so viel Energie schluckt. Diesen Effekt haben neben einem höheren Salzgehalt im Wasser auch gänzlich andere, dielektrische Materialien. „Wir denken gerade darüber nach, womit wir unsere Experimente fortführen könnten“, sagt Fußmann.
Mittlerweile wissen die Forscher auch, warum sie anfangs davon überzeugt waren, die Kugeln seien relativ kühl. Sie haben nämlich herausgefunden, dass die Bälle außen eine dünne, relativ kühle Randschicht besitzen. Diese deutet sich bereits auf den Fotos der Hochgeschwindigkeitskamera an. Genauer erkennt man sie jedoch mit Laserstrahlen. Einer der Studenten hat 20 Laserpointer so arrangiert, dass die Lichtstrahlen die aufsteigenden Blasen im Fünfhundertstel-Sekunden-Takt durchleuchten und auf der anderen Seite auf eine fünf Meter entfernte Wand treffen.
Von Berliner Bällen zum Kugelblitz
Wenn diese Strahlen die äußeren Schichten und turbulenten Innenbereiche durchqueren, werden sie wegen des sich ändernden Brechungsindexes stark abgelenkt. Daher tanzten die Lichtpunkte auf der rückwärtigen Wand mehrere Zentimeter hin und her. „Die Bewegung war einfach zu messen“, sagt Fußmann. „Das Komplizierte war die Auswertung und korrekte Umsetzung dieser Messung in ein inneres Modell der Kugeln.“ Das vorläufige, noch recht grobe Ergebnis: Die äußere, noch relativ kalte Schale besitzt nur 40 Prozent der Dichte von Luft. Eine zweite Schale mit erheblich geringerer Dichte und Temperaturen von 2000 Grad Celsius oder darüber schließt sich innen an. Die äußere Hülle umschließt also das heiße innere Plasma und verleiht dem Gasball seine Stabilität.
Die entscheidende Frage aber lautet natürlich: Lassen sich Kugelblitze – so es sie denn wirklich gibt – auf diese Weise erklären? Ein bedeutender Unterschied zwischen den Naturbeobachtungen und den Experimenten ist die Lebensdauer. Die Berliner Bälle sind zu kurzlebig. Doch in der Natur muss das nicht so sein. Ein Blitz enthält rund tausend Mal mehr Energie als die Hochspannungsentladung. Damit müssten Plasmakugeln mit bis zu einem Meter Durchmesser entstehen können. Ob sich damit auch die Lebensdauer wesentlich verlängern würde, ist jedoch völlig ungewiss. Das ließe sich nur mit Experimenten in einem Blitzlabor herausfinden, wie es beispielsweise das Deutsche Museum besitzt. Eines ist jedoch klar: Wenn ein Blitz zum Beispiel in einen Teich einschlägt, wird sich keine Plasmakugel entwickeln, weil sich die Energie in der großen Wassermenge verliert. Es müsste schon ein kleines Gefäß sein, ein Wasserglas etwa oder eine kleine Pfütze, in die der Blitz fährt. Dass solche Bedingungen eintreten, ist eher unwahrscheinlich. Aber Kugelblitze sind ja auch sehr seltene Erscheinungen.
Es gibt noch eine Reihe anderer Erklärungsversuche für Kugelblitze. So haben zwei Physiker an der Universidade Federal de Pernambuco in Brasilien mit Hochspannungsentladungen Silizium verdampft. Dabei entstanden leuchtende Plasmakugeln von der Größe eines Tischtennisballs, die über Tische und über den Boden rollten. Sie leben zwar bis zu acht Sekunden lang, können aber nicht schweben.
Die Theorie von Pjotr Kapitza aufgreifend haben japanische Wissenschaftler Plasmakugeln in (stehenden) Mikrowellen erzeugt, die sogar Glas durchqueren konnten. Allerdings werden hier die leuchtenden Bälle gewissermaßen ständig in den Leistungsbäuchen der Mikrowellen neu erzeugt. Da Mikrowellen Glas durchqueren können, taten dies die Plasmabälle scheinbar auch. In Wirklichkeit zerfi elen sie vor der Scheibe und entstanden dahinter wieder neu. Mit Kugelblitzen haben sie aber sicher nichts zu tun, weil Mikrowellenfelder dieser Art und Stärke in der Natur nicht auftreten.
Max Planck Forschung 1/2008 gemäß den Bedingungen der Quelle
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/atome-und-molekuele/atome-und-quantenphysik/kugelblitze/