„Ein spannendes Ergebnis“

Dirk Eidemüller

Das Bild zeigt das Innere eines Magneten, der zum Myon g-2-Experiment gehört.

Cindy Arnold/Fermilab

Am Forschungszentrum Fermilab in den USA untersuchen Wissenschaftler die Eigenschaften von bestimmten winzigen Teilchen. Die sogenannten Myonen sind Elementarteilchen und deshalb hervorragende Testobjekte für das Standardmodell der Teilchenphysik, das alle bekannten Bausteine des Universums und ihre Eigenschaften beschreibt. Bereits im April sorgte eines dieser Experimente für großen Aufruhr, da sich dessen Ergebnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit dem Standardmodell vereinen lassen. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Dominik Stöckinger von der TU Dresden, was diese Ergebnisse für die Teilchenphysik bedeuten könnten.

Welt der Physik: Was möchten Sie mit dem Experiment untersuchen?

Porträt des Wissenschaftlers Dominik Stöckinger

Dominik Stöckinger

Dominik Stöckinger: Das Experiment am Fermilab in Chicago wird auch als g-2-Experiment bezeichnet, sprich „g minus zwei“. Das „g“ steht für „gyromagnetischer“ Faktor und beschreibt das magnetische Moment des Myons, das bei diesem Experiment mit extremer Präzision vermessen wird. Die Myonen sind die schweren Geschwister der Elektronen, denn sie sind rund zweihundertmal massereicher. Wie die Elektronen besitzen auch die Myonen einen Eigendrehimpuls, einen sogenannten Spin, der ähnlich wie eine rotierende elektrische Ladung zu einem Magnetfeld führen sollte. In der Physik wird die Stärke des magnetischen Moments, das dieser Spin bewirkt, mit dem sogenannten g-Faktor beschrieben.

Was wissen Wissenschaftler denn schon über diesen g-Faktor?

Allein die theoretische Ermittlung eines möglichst genauen Wertes für den g-Faktor ist eine Wissenschaft für sich. Seit Jahrzehnten arbeiten Theoretiker daran, den g-Faktor möglichst präzise anzugeben. Früher dachte man, er wäre exakt gleich zwei. Aber dann stellte man fest, dass virtuelle Teilchen im Vakuum, die ständig und überall entstehen und sofort wieder vergehen, diesen Wert ein klein bisschen verschieben. Diese Wolke aus virtuellen Teilchen verändert den g-Faktor und lässt ihn um etwa ein Promille größer werden. Mit anderen Worten: Die Abweichung des g-Faktors vom Wert zwei verrät uns etwas über die Struktur des Vakuums und über die Teilchen, die es im Vakuum gibt.

Wie laufen die Messungen?

Man erzeugt zunächst einen hochenergetischen Myonenstrahl. Myonen sind sehr kurzlebig und zerfallen bereits nach Sekundenbruchteilen. Wenn man sie aber auf hohe Geschwindigkeiten bringt, leben sie – nach Einsteins Relativitätstheorie – länger. Dann speist man sie in einen Kreisring mit einem wohldefinierten Magnetfeld ein. Das führt dazu, dass die Myonen wie kleine Stabmagnete zu kreiseln beginnen. Indem man die Umlaufzeit in dem Ringbeschleuniger und die Kreiselfrequenz der Spins exakt aufeinander abstimmt, lässt sich der „g-2-Wert“ extrem genau bestimmen.

Was lässt sich aus diesem Wert herauslesen?

Bei Kollisionsexperimenten mit noch wesentlich höheren Energien, wie etwa am Large Hadron Collider am Forschungszentrum CERN, wird direkt nach neu erzeugten Teilchen gesucht. Dabei hofft man natürlich auf eine Überraschung, etwa auf ein bislang unbekanntes Teilchen. Bei Versuchen wie dem g-2-Experiment hingegen sucht man nicht direkt nach einzelnen neuen Teilchen. Stattdessen untersucht man den kollektiven Einfluss aller bekannten und unbekannten Teilchen insgesamt, die mit dem magnetischen Moment des Myons in Wechselwirkung treten. Dadurch erhalten wir einen kombinierten Wert, den wir mit den theoretischen Vorhersagen vergleichen können. Das Schöne an solchen Versuchen wie dem g-2-Experiment ist, dass sich damit auch der Einfluss von Teilchen nachweisen lässt, die so schwer sind, dass sie etwa mit dem Large Hadron Collider gar nicht erzeugt werden können, oder die nur so schwach wechselwirken, dass sie für dessen Detektoren quasi unsichtbar sind.

Große maschinelle Anlage in Form eines Rings

Das Myon-Experiment am Forschungszentrum Fermilab

Wie gut stimmen Theorie und Experiment überein?

Wir sehen eine überraschend hohe Diskrepanz von experimentellem Ergebnis und theoretischen Vorhersagen – wir sprechen von 4,2 Sigma. Das ist ein spannendes Ergebnis. Unter allen Messungen, die das Standardmodell der Teilchenphysik testen, zeigen diese am eindeutigsten eine Abweichung von den Vorhersagen des Standardmodells. Von einer Entdeckung spricht man in der Teilchenphysik üblicherweise ab einer Diskrepanz von 5 Sigma. Unsere Abweichung ist noch ein Stück weit weg und verlangt weitere Messungen. Aber voraussichtlich ist es mit diesem Experiment machbar, diesen Schritt noch zu gehen. Einschränkend muss ich aber sagen, dass auch beim Theoriewert das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Gibt es andere Bestätigungen dieser Ergebnisse?

Es gab vor rund 15 Jahren bereits Versuche mit einem Vorgängerexperiment in Brookhaven, bei denen ebenfalls der nun gemessene Wert ermittelt wurde – allerdings mit einem größeren Fehler. Der Myonen-Speicherring aus Brookhaven wurde übrigens vor einigen Jahren per Schwertransport ans Fermilab gebracht und ist nun Teil des Experiments. Aber die gesamte sonstige Technik ist neu, insbesondere die Messtechnik. Dass die älteren Ergebnisse bestätigt werden konnten, ist ein sehr gutes Zeichen und weist darauf hin, dass alle Fehlerquellen verstanden und berücksichtigt wurden. Der Myonenstrahl läuft extrem stabil und hat kaum Verunreinigungen. Es ist auch ein weiteres Experiment in Japan geplant, das eine unabhängige Messung des myonischen g-Faktors liefern soll.

Welches Fazit ziehen Sie aus diesen Messungen?

Ich habe hohes Vertrauen in den experimentellen Wert. Nun sind wir Theoretiker gefragt, die wirklich komplexen Berechnungen zum g-Faktor noch einmal aus allen Richtungen in Augenschein zu nehmen. Nach der etablierten Berechnungsmethode sehen wir eine Diskrepanz von 4,2 Sigma. Das deutet auf die mögliche Existenz von bislang hypothetischen Teilchen hin – vielleicht von sogenannte WIMPs, also schwach wechselwirkende, sehr massereiche Teilchen, welche zugleich die dunkle Materie im Universum bilden könnten. Es gibt aber auch neue Berechnungsverfahren mithilfe von Supercomputern, die auf einen etwas anderen theoretischen Wert des g-Faktors des Standardmodells kommen. Diese werden momentan intensiv überprüft, und bei Bestätigung würde die Diskrepanz von 4,2 Sigma ein Stück weit schrumpfen. Die kommenden Konferenzen der Teilchentheorie werden mit Sicherheit sehr spannend werden.


Myon g-2: Kleines Teilchen mit großer Wirkung

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/bausteine/ein-spannendes-ergebnis/