OPERA: Spuren der Neutrino-Oszillation
Im Juni 2010 konnten Forscher am OPERA-Experiment zum ersten Mal direkt beobachten, wie Neutrinos sich von einer Art in eine andere umwandeln. Fünf Jahre später hatten sie genug Daten gesammelt, um ihre Ergebnisse zu bestätigen. Die Entdeckung ist ein Beleg dafür, dass die Teilchen tatsächlich eine Masse besitzen, was einen Widerspruch zum Standardmodell darstellt.
Im Standardmodell werden die Neutrinos als masselos behandelt, die Natur scheint hier jedoch der Theorie einen Strich durch die Rechnung zu machen. Für die direkte Messung einer Neutrinomasse kann bisher zwar nur eine Obergrenze angegeben werden, indirekt haben sich die Neutrinos jedoch schon recht eindeutig verraten: Die drei Neutrinoarten wandeln sich ineinander um, und das geht nur, wenn zwischen ihnen eine Massendifferenz besteht – also müssen Neutrinos auch eine Masse haben.
Bereits 1968 lieferte das Homestake-Experiment in den USA zum Nachweis von Elektron-Neutrinos aus der Sonne einen ersten Hinweis auf Neutrinooszillationen, denn man registrierte weniger Neutrinos als erwartet: Hatte sich ein Teil von ihnen unterwegs umgewandelt? Endgültig akzeptiert wurden die Neutrinooszillationen aber erst 1998 durch die Ergebnisse des japanischen Superkamiokande-Detektors, der auch messen konnte, aus welcher Richtung die Neutrinos stammen, und nachwies, dass tatsächlich gut die Hälfte der Elektron Neutrinos auf dem Weg von der Sonne zur Erde verschwindet.
Was aber auch Superkamiokande nicht zeigte, war das Auftauchen einer anderen Neutrinosorte anstelle der verschwundenen Elektron-Neutrinos. Dieser Aufgabe hat sich OPERA gewidmet, eines der wichtigsten aktuellen Neutrinoexperimente. Die Neutrinos stammen hier nicht aus der Sonne oder der Erdatmosphäre, sondern werden vom CERN geliefert und sind fast ausschließlich Myon-Neutrinos – die winzigen Beimischungen der anderen Neutrinosorten sind jedoch bekannt. Dieser Neutrinostrahl trifft, ohne unterwegs gestört zu werden, auf den etwa 730 Kilometer entfernten Neutrinodetektor, dem Herzstück des Experiments, im italienischen Gran Sasso-Untergrundlabor. Wenn Neutrinos oszillieren, dann sollte der Strahl auch Tau-Neutrinos enthalten, und genau die konnte OPERA nun zum ersten Mal nachweisen. OPERA ist im Gegensatz zu den oben genannten Experimenten kein Defizitexperiment, das nachschaut, wie viele Neutrinos einer Generation fehlen, sondern ein „Appearence“-Experiment: Es beobachtet, ob Tau-Neutrinos auftauchen.
Der Nachweis des Tau-Neutrinos läuft über das Tau-Lepton (dem „Elektron der dritten Elementarteilchen-Generation“), das von ihm im Detektor erzeugt wird. Das kommt allerdings nur 600 Mikrometer weit, bevor es in ein Myon zerfällt. Man muss im Endeffekt nach ganz speziellen Myon spuren suchen, nämlich nach jenen, die einen kleinen Knick in der Nähe des Zerfallsortes haben – das sind die richtigen. Entsprechend genau, in Submillimeter-Granularität, muss der Detektor die Myonspuren räumlich auflösen können – und das bei einem Volumen von 2000 Kubikmetern. Möglich machen das Photoplatten, die zwischen ein Millimeter dicken Bleiplatten angeordnet sind. Aus 56 solcher Photo-Bleiplatten-Kombinationen besteht ein Sensormodul; 155.000 solcher Sensormodule bilden das Ziel für die Neutrinos aus Genf, das Target des OPERA-Detektors. Gleichzeitig enthält der Detektor elektronische Spurdetektoren, die den Zerfallsort in Echtzeit sehr genau ermitteln. Abschließend entnimmt ein Roboter vollautomatisch die betroffenen Sensormodule des Targets, etwa dreißig pro Tag, deren Photoplatten dann entwickelt und zur mikroskopischen Auswertung an eine ganze Reihe von Instituten verschickt werden. Hinter dem Target folgt noch ein Myon Spektrometer, das aus 15.000 Driftröhren besteht und unter anderem die Ladung der Myonen misst.
Im Juni 2015 war es soweit: Die Forscher hatten mit dem OPERA-Experiment mittlerweile fünf Tau-Neutrinos registriert. "Der Nachweis des fünften Tau-Neutrinos ist extrem wichtig: Die direkte Beobachtung der Umwandlung von Myon- in Tau-Neutrino hat nun zum ersten Mal die statistische Präzision von fünf Sigma erreicht, die reguläre Grenze in der Elementarteilchenphysik für eine Entdeckung", erklärt Giovanni de Lellis vom Labor in Gran Sasso. "Wir können damit definitiv die Entdeckung von Tau-Neutrinos in einem Strahl von Myon-Neutrinos vermelden."
Zwei deutsche Universitäten sind im Rahmen der Verbundforschung am Aufbau und Betrieb des OPERA Experimentes sowie der Suche nach den umgewandelten Tau-Neutrinos beteiligt. An der Universität Hamburg wurde das Myon-Spektrometer gebaut, während sich die Universität Münster verantwortlich um die Herstellung und Qualitätskontrolle der über zehn Millionen Bleiplatten in einem deutschen Industriebtrieb kümmerte.
BMBF-Broschüre „Stark im Verbund“
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/bausteine/neutrinos/experimente/opera/