Zutaten für ein Universum
Im Standard-Modell haben Teilchenphysiker ihre Erkenntnisse über die Teilchenwelt zusammengetragen. Die rund dreißig Jahre alte Theoriensammlung galt lange als ungeschlagen; aber eines ihrer vorhergesagten Teilchen ist flüchtig: das Higgs.
Das Standard-Modell der Teilchenphysik ist eine Sammlung von Ideen, Konzepten und Theorien, die Physiker heute heranziehen, um das Innerste des Universums zu erklären. Das Grundprinzip ist dabei ganz einfach und teilt die Welt in zwei Teilchensorten: Da gibt es zum einen die Materieteilchen wie Elektronen und Quarks. Sie bilden den Stoff, aus dem das Universum ist. Aus ihnen bestehen Atomkerne und Atome, jede gewöhnliche Materie und auch wir Menschen.
Damit die ganze Sache nicht auseinander fällt, gibt es die zweite Teilchensorte: Kraft- oder Wechselwirkungsteilchen sorgen dafür, dass sich Teilchen abstoßen, anziehen oder ineinander umwandeln. Teilchen tauschen dazu Kraftteilchen aus, von denen es zu jeder der bekannten Wechselwirkungen spezielle Sorten gibt.
Und auch ein Regelwerk existiert, das das Verhalten der Beteiligten aufs Genaueste reglementiert: Theorien mit den zungenbrecherischen Namen Quanten-Flavor-Dynamik und Quanten-Chromo-Dynamik (QCD) schreiben die Regeln vor, an die sich in der Welt des Allerkleinsten alles hält.
Materieteilchen
Das Elektron wurde als erstes der Materieteilchen entdeckt. Sein Wirbeln und Wirken in elektrischen Bohrmaschinen und Fernsehröhren ist aus unserem heutigen Alltag gar nicht mehr wegzudenken. Dennoch: Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde es zum ersten Mal gesichtet; es gilt bis heute als unteilbar.
Erst in den 1960er Jahren kam die Existenz der Quarks ans Licht. Heute weiß man: Protonen und Neutronen, die Teilchen aus denen Atomkerne aufgebaut sind, bestehen selbst wiederum aus zwei unterschiedlichen Quarktypen, den Up-Quarks und Down-Quarks. Zwei Up-Quarks und ein Down-Quark ergeben dabei ein Proton, und ein Up-Quark zusammen mit zwei Down-Quarks ein Neutron. Die elektrische Ladung des Up-Quarks beträgt 2/3, die des Down-Quarks -1/3 der Elementarladung. Neben der elektrischen Ladung verfügen die Quarks über eine weitere Eigenschaft, die sogenannte Farbladung: Sie sind natürlich nicht wirklich farbig, aber zur Unterscheidung ihrer Eigenschaften sagt man, dass sie in den Farben Rot, Grün und Blau auftreten. Quarks wurden noch nie einzeln beobachtet, da sie stets in Grüppchen wie beispielsweise den Protonen vorkommen. Dennoch gibt es viele überzeugende Indizien für ihre Existenz.
Und dann gibt es noch eine dritte Sorte von Materieteilchen, die Elektron-Neutrinos. Viel ist an ihnen nicht dran: Sie wiegen fast nichts, haben keine elektrische Ladung und treten zudem nur äußerst selten mit ihrer Umwelt in Kontakt. Dabei gibt es ungeheuer viele von diesen Teilchen: Pro Sekunde durchdringen jeden menschlichen Kopf alleine 200 Milliarden Neutrinos, die aus dem Kosmos stammen.
Elektronen, die Elektron-Neutrinos und zwei Sorten Quarks – das ist die materielle Essenz des Universums, aber noch längst nicht alles: Zu jedem dieser vier Objekte gibt es zwei weitere Materieteilchen – mit nahezu identischen Eigenschaften, aber weit höheren Massen. Dies macht insgesamt zwölf Materieteilchen, die in drei Teilchenfamilien angeordnet sind. Dabei entstehen die Mitglieder der schweren Familien nur in energiereichen Reaktionen im Kosmos oder in Teilchenbeschleunigern auf der Erde. In der Regel zerfallen sie nach Bruchteilen einer Sekunde in die Teilchen der leichten Familie.
Kräfte
Photonen sind die einzigen Teilchen, die man mit bloßem Auge sehen kann. Denn aus ihnen besteht das Licht. Wir Menschen sind zwar nicht in der Lage, mit unseren Augen einzelne Photonen wahrzunehmen, anders sieht das bei Photo-Detektoren aus. Während wir Menschen irgendwann einfach nichts mehr sehen, wenn die Intensität einer Lichtquelle abnimmt, gibt ein Photo-Detektor noch Signale von sich. Dann nimmt er die einzelnen Photonen wahr, aus denen das Licht besteht.
Photonen leuchten nicht nur das Universum aus, sie haben auch im Mikrokosmos jede Menge zu tun: So stoßen sich zwei elektrisch geladene Elektronen über den Austausch von Photonen ab. Wie zwei Schlittschuhläufer auf einem gefrorenen See, die sich Bälle zuwerfen, nimmt der Abstand der Elektronen dabei zu. Elektronen sind dabei Meister im Weitwurf: Die elektromagnetische Kraft, die über den Austausch von Photonen erfolgt, wirkt über unendlich lange Distanzen.
Aufs Engste mit der Radioaktivität verknüpft ist die Schwache Kraft. Sie ist die Ursache für den radioaktiven Zerfall von Atomkernen und erlaubt es Elementarteilchen, sich ineinander umzuwandeln. Auf diese Weise kann beispielsweise aus einem Elektron ein Neutrino werden, oder aus dem einen Quarktyp ein anderer. Die Umwandlung wird dabei über die Schwachen Kraftteilchen zum Ausdruck gebracht, von denen es drei unterschiedliche Typen gibt: \(W^+\), \(W^-\) und \(Z^0\) (-, + und 0 stehen jeweils für die elektrische Ladung). Diese Teilchen sind extrem schwer und wiegen so viel wie rund 200.000 Elektronen. In dieser Schwere begründet sich auch ihr kurzer Atem: Die Reichweite der Schwachen Kraft beträgt gerade einmal ein Zehntel des Durchmessers eines Protons. Vorhergesagt wurden die Teilchen der Schwachen Kraft in den 1960er Jahren. Dies gelang aber nur im Rahmen einer Theorie, die gleich auch noch die elektromagnetische Wechselwirkung beschrieb, die elektroschwache Theorie oder Quanten-Flavor-Dynamik. Seitdem sprechen Teilchenphysiker von der elektroschwachen Kraft und hoffen, dass sich auch noch die Starke Kraft und die Gravitation ins Boot holen lassen. Für die Theorie der elektroschwachen Kraft gab es schon bald einen Nobelpreis. Für die Entdeckung der Ws und Zs im Jahr 1984 am CERN dann gleich noch einen.
Dafür, dass Quarks im Inneren eines Atomkerns zusammengehalten werden, sorgt die Starke Kraft. Sie erfolgt über den Austausch so genannter Gluonen (engl. to glue: kleben), die 1979 am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg entdeckt wurden. Die Starke Kraft ist zehn- bis hundertmal stärker als die elektromagnetische Kraft, hat aber auch nur die Reichweite eines Atomkerndurchmessers. Und nicht nur in der Kategorie „Stärke“ ist diese Kraft Spitzenreiter, sondern auch bei der Anzahl der Kraftteilchen. Es gibt insgesamt acht unterschiedliche Gluonen.
Die Schwerkraft hat einen besonderen Status unter den Kräften. Beschrieben wurde sie von Isaac Newton bereits im 18. Jahrhundert und später von Albert Einstein in dessen Allgemeiner Relativitätstheorie. So sehr sich die Theoretiker bisher aber auch angestrengt haben, ist es ihnen noch nicht gelungen, die Schwerkraft mit den Mitteln des Standard-Modells zu beschreiben. Für die Schwerkraft bedarf es ganz neuer Ideen, beispielsweise die der Superstrings. Doch während es gerade die Schwerkraft ist, die uns Menschen auf der Erde hält, spielt sie im Mikrokosmos keine Rolle. Die Schwerkraft zwischen zwei Elektronen ist mehr als Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden Mal schwächer als die elektromagnetische Abstoßung und kann bei Experimenten in der Teilchenphysik deshalb vernachlässigt werden.
Theorien
Bei den Theorien hinter dem Standard-Modell der Teilchenphysik handelt es sich um sogenannte relativistische Quantenfeldtheorien. Quantenfeldtheorien zählen zu den genauesten Theorien, die sich Menschen jemals ausgedacht haben. So sagt die Quantenfeldtheorie zum Elektromagnetismus den recht krummen Wert des sogenannten magnetischen Moments des Elektrons auf zwölf Nachkommastellen voraus. Das schafft keine andere Theorie.
Zum Standard-Modell zählen zwei Quantenfeldtheorien: Die Quanten-Chromo-Dynamik beschreibt die Starke Kraft zwischen Quarks und Gluonen, die elektroschwache Theorie (oder Quanten-Flavor-Dynamik) beschreibt die Vereinigung aus Schwacher und elektromagnetischer Wechselwirkung zur elektroschwachen Kraft.
Bei einem „Feld“ handelt es sich um eine Form der mathematischen Buchführung. Es ordnet jedem Punkt in Raum und Zeit eine Größe zu. Eine Temperaturkarte bei der Wettervorhersage im Fernsehen ist ein solches Feld. Es sagt, wie warm es morgen an unterschiedlichen Orten ist (oder wie stark und woher der Wind bläst). Aus den Werten der Elektronenfelder können Physiker beispielsweise die Wahrscheinlichkeit berechnen, ein Elektron an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zu finden.
Beiden Quantenfeldtheorien des Standard-Modells liegt eine sogenannte Eichsymmetrie zugrunde. Die Idee dahinter ist grob die folgende: Bei Eichfeldtheorien fordert man, dass bestimmte Eigenschaften der Teilchenfelder (wie zum Beispiel die „Farbe“ der Quarks) an jedem Punkt in Raum und Zeit umbenannt werden können. Bei diesem Vorgang entstehen jedoch mathematische Abfallprodukte. Die könnten von einem anderen Feld geschluckt werden, wenn es existierte und die Eigenschaften des (achtfachen) Gluonenfeldes hätte. Wenn man also von eichsymmetrischen Quarkfeldern ausgeht, bekommt man die Struktur der Gluonenfelder (inklusive der Tatsache, dass es acht Gluonen gibt) als Resultat.
Antimaterie
Jedes der Teilchen im Standard-Modell besitzt ein Antiteilchen. Dieses hat exakt dieselbe Masse und Lebensdauer, seine Ladungen haben jedoch umgekehrte Vorzeichen. So ist das Antiteilchen zum elektrisch negativ geladenen Elektron, das so genannte Positron, positiv geladen. Da liegt die Vermutung nahe, mit der Antimaterie verdoppele sich die Teilchenzahl. Dies ist aber nicht ganz der Fall, da Teilchen wie das Photon ihr eigenes Antiteilchen sind.
Massenerzeugung
Das Standard-Modell der Teilchenphysik sieht noch ein weiteres Teilchen vor: das Higgs-Teilchen. Es ist mit dem so genannten Higgs-Feld verknüpft, das für die unterschiedlichen Massen der Teilchen verantwortlich sein soll und fügt sich so blendend in das sonst vortrefflich bestätigte Standard-Modell der Teilchenphysik ein, dass kaum ein Teilchenphysiker an der Existenz des Higgs-Teilchens zweifelt. Dennoch: Gefunden wurde es bisher noch nicht.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/bausteine/zutaten-fuer-ein-universum/