Herausforderung Supraleitung

Ilka Flegel

HERA-Kälteanlage

Die Entscheidung für HERA war für DESY in vielerlei Hinsicht ein Aufbruch zu neuen Ufern. Nicht nur, dass man sich bisher auf die Physik mit Elektronen und Positronen konzentriert hatte und mit Protonenbeschleunigern somit keine Erfahrung besaß. Zwei so unterschiedliche Teilchensorten wie Elektronen und Protonen im Flug frontal aufeinander zu schießen, hatte bisher noch niemand versucht.

Foto eines Mannes, der an einer metallischen Röhre arbeitet. Diese enthält vier kleinere Röhren und zahlreiche verkabelte technische Komponenten.

Der „Kopf“ eines supraleitenden HERA-Magneten

Da Teilchen und Antiteilchen sich in ihren Eigenschaften im Wesentlichen nur durch die entgegengesetzte Ladung unterscheiden, lassen sie sich hervorragend gleichzeitig in einem einzigen Ringbeschleuniger speichern und zum Zusammenstoß bringen. Bei Elektronen und Protonen müssen dagegen zwei getrennte, völlig unterschiedliche Beschleuniger her, die dann in einer ausgeklügelten Strahlführung an den Kollisionspunkten der Teilchen zusammengeführt werden.

Mit Elektronenbeschleunigern arbeitete man bei DESY schon lange. Obwohl auch hier wesentliche technische Neuentwicklungen anstanden, sollte der Elektronenring von HERA daher nicht das größte Problem darstellen. Anders sah es bei den schweren Protonen aus. Damit diese bei den hohen Energien von HERA im Beschleunigerring tatsächlich die Kurve kriegen, sind sehr starke Magnetfelder nötig, etwa dreimal höhere Felder, als herkömmliche Elektromagnete mit Eisenpolschuhen sie erzeugen können.

Mit einem Fischaugenobjektiv aufgenommenes Foto einer großen Halle, in der eine Kälteanlage mit verschiedenen zylinderförmigen Behältern und einer Vielzahl von Rohrleitungen aufgebaut ist.

Die Kältehalle von HERA

Solche Felder lassen sich nur sinnvoll mit Hilfe der Supraleitung erreichen – also der Eigenschaft bestimmter Materialien, Strom bei sehr tiefen Temperaturen verlustfrei zu leiten. Durch supraleitende Drähte können sehr hohe elektrische Ströme fließen, ohne dass sie warm werden, etwa 10.000-mal höhere Ströme als durch einen Kupferdraht des gleichen Querschnitts. Deshalb lassen sich mit supraleitenden Spulen sehr hohe Magnetfelder erzeugen. Hier musste DESY sich weit in technisches Neuland vorwagen, denn als HERA geplant wurde, gab es noch keinen supraleitenden Großbeschleuniger, und auch die Magnete für den im Bau befindlichen Proton-Antiproton-Speicherring Tevatron beim Forschungszentrum Fermilab in Chicago hatten noch Mängel.

Es galt also nicht nur, für die Protonen von der Teilchenquelle über die Vorbeschleuniger bis hin zum supraleitenden HERA-Ring ein komplett neues Beschleunigersystem aufzubauen – die erforderliche Technologie musste überhaupt erst entwickelt werden. Hier konnten die Beschleunigerbauer bei DESY an die Pionierarbeit ihrer amerikanischen Kollegen anknüpfen: Die HERA-Magnete entstanden aus einer konsequenten Weiterentwicklung der Magnete für das Tevatron. Mit diesen Entwicklungsarbeiten übernahm DESY selbst wieder eine Vorreiterrolle – in zweierlei Hinsicht.

Blick entlang einer langen Reihe von Ventilen und den zugehörigen Rohrleitungen.

Ein Ventilsystem verteilt das flüssige Helium

Zum einen erfolgte die Entwicklung und Produktion der supraleitenden Magnete erstmalig in enger Zusammenarbeit mit Industriefirmen und staatlichen Instituten mehrerer Länder, was insbesondere für die europäische Industrie eine einmalige Chance darstellte. Denn die Unternehmen bekamen erstmals die Gelegenheit, großtechnische Erfahrungen auf den Gebieten der Supraleitung und der Tieftemperatur-Technik zu sammeln. Für HERA wurden zum ersten Mal alle Magnete in vollem Umfang von der Industrie gebaut. Zum anderen erwies sich das Konzept dieser Magnete als so überzeugend, dass es sich inzwischen weltweit durchgesetzt hat. Auch die Magnete für den nächsten großen Protonenbeschleuniger, den LHC in Genf, beruhen auf dem Prinzip der HERA-Magnete.

Ein HERA-Magnet ist auf den ersten Blick kaum als solcher zu erkennen. Er ist neun Meter lang, wiegt zehn Tonnen und sieht im Wesentlichen aus wie ein dickes gelbes Rohr. Die Form des Magnetfelds wird nicht mehr durch das sonst übliche Eisenjoch bestimmt, sondern durch die supraleitenden Spulen, die das Vakuumrohr, in dem der Teilchenstrahl verläuft, unmittelbar umgeben. Bei supraleitenden Magneten ist der Aufwand für die Kühlung der Spulen ganz erheblich: Die Betriebstemperatur der HERA-Magnete liegt bei minus 269 Grad Celsius, das sind nur vier Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt. Die Magnete werden deshalb ständig mit flüssigem Helium gekühlt, und die supraleitenden Spulen stecken – umgeben von Isoliervakuum mit Wärmeschutzschilden und ausgerüstet mit Sicherheitssystemen für den Fall, dass die Supraleitung zusammenbricht – in einem Kryostaten, der den Magneten ihre äußere Form gibt. Um die Magnetspulen über die 6,3 Kilometer des HERA-Beschleunigers in ihrem kalten – und damit supraleitenden – Zustand zu halten, wurde bei DESY 1986 die damals größte Kälteanlage Europas gebaut, in der Heliumgas verflüssigt und anschließend über ein ausgeklügeltes Verteilersystem in den HERA-Ring geleitet wird.

 

2500 Quadratmeter groß ist die Halle, in der HERAs zentrale Kälteanlage aufgebaut ist. Seit 1987 ist diese bis dato größte Kälteanlage in Europa in Betrieb und kühlte die supraleitenden Magnete im HERA-Ring zuverlässig mit flüssigem Helium. Sie besteht aus insgesamt drei „Straßen“ mit Kompressoren, Kältemaschinen und Gasreinigungsanlagen, von denen für den laufenden Betrieb allerdings nur zwei erforderlich sind. Beim Ausfall einer Kältestraße übernimmt die dritte Straße die Kühlung.

Im Prinzip arbeitet die Anlage wie ein Kühlschrank oder das Kälteaggregat einer Klimaanlage – nur mit Helium als Kältemittel. Das Gas wird zunächst verdichtet, gereinigt und anschließend in Wärmetauschern und Turbinen expandiert, gekühlt und verflüssigt. Über zwei speziell isolierte Transferleitungen gelangt das flüssige Helium schließlich in die nördliche und die südliche Hälfte des HERA-Rings.

Im warmen Zustand wird das Helium in 18 Tanks an der Seite der Halle gespeichert. Zehn von ihnen sind im normalen Betriebszustand allerdings nicht gefüllt, sie dienen als Sammelbehälter für den Fall, dass die Supraleitung im Beschleunigerring zusammenbrechen und das kalte Helium schlagartig verdampfen sollte, sowie in Stillstandsperioden der Anlage. Insgesamt benötigt HERA 15 Tonnen Helium, das entspricht etwa einer Welttagesproduktion.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/experimente/teilchenbeschleuniger/hera/supraleitungs-technologie/