Die Erzeugung superschwerer Elemente
Lisa Leander
Mithilfe von Teilchenbeschleunigern stellen Physiker superschwere Elemente her – diese Atome mit mehr als 104 Protonen im Kern kommen nicht natürlich vor und zerfallen meist schon in Bruchteilen von Sekunden. Forscher wie Christoph Düllmann vom Institut für Kernchemie der Universität Mainz hoffen jedoch, ab einer bestimmten Anzahl von Protonen und Neutronen wieder auf langlebigere Elemente – die sogenannte Insel der Stabilität – zu stoßen.
Rund vier Jahre ist es her, dass die Zahl der Elemente im Periodensystem weiter angewachsen ist: Damals wurden die Elemente 114 und 116 offiziell anerkannt und erhielten die Namen Flerovium und Livermorium. Ihre Atome besitzen einen Kern mit 114 beziehungsweise 116 Protonen, sie gehören damit zu den sogenannten superschweren Elementen, die nicht natürlich auf der Erde vorkommen, sondern nur mithilfe von Teilchenbeschleunigern erzeugt werden können – zum Beispiel dem UNILAC am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt. Mit ihm wurde im Mai 2014 auch die Existenz von Element 117 bestätigt, für Element 118 steht der endgültige Nachweis noch aus. Derzeit untersuchen die Forscher die bereits bekannten superschweren Kerne genauer.
Christoph Düllmann: „Uns interessieren ihre fundamentalen Eigenschaften, sei es die Untersuchung, wie man sie am besten herstellen kann, sei es die Untersuchung ihrer nuklearen Eigenschaften. Das heißt, wie lange leben die Isotope dieser Elemente, wie zerfallen sie, und daneben auch ihre chemischen Eigenschaften. Es handelt sich um Elemente, die im Periodensystem der Elemente ihren Platz haben und uns interessiert die Frage, passen sie dorthin, verhalten sie sich so wie ihr nächstes homologes Element, das im Periodensystem direkt darüber steht. Diese Ähnlichkeiten sind schließlich die Grundlage für die Struktur des Periodensystems.“
Mit seinen Kollegen untersucht der Kernchemiker vor allem verschiedene Isotope. Ein chemisches Element wird durch die Zahl seiner Protonen im Kern charakterisiert, die Zahl der Neutronen kann dagegen variieren, in diesem Fall spricht man von einem Isotop. Gewöhnlicher Wasserstoff besitzt beispielsweise nur ein Proton im Kern, es existieren jedoch auch Wasserstoffisotope mit zusätzlich einem oder sogar zwei Neutronen im Kern.
„Wenn man zu schweren Elementen geht, kommt man zu Atomkernen mit immer mehr Protonen. Diese Protonen sind positiv geladen und stoßen sich alle gegenseitig ab. Je mehr Protonen man noch in diese Kerne gibt, umso größer wird natürlich diese Abstoßung. Das führt dazu, dass die Kerne immer instabiler werden, das heißt, deren Halbwertszeiten nehmen immer mehr ab. Bei den schwersten Elementen, die man heute kennt – sie liegen im Bereich von 110 bis 118 – sind die Halbwertszeiten in der Regel schon sehr kurz, das geht in den Bereich von Sekunden und weniger.“
Allerdings wird die Stabilität eines Atomkerns nicht nur von der Anzahl der Protonen beeinflusst. Es gibt weitere Effekte, die hier eine Rolle spielen.
„Der Atomkern kann auch so aufgefasst werden, dass sich in ihm Schalen befinden, die sukzessive aufgefüllt werden. Diese fassen eine gewisse Anzahl an Protonen und Neutronen. Wenn eine solche Schale gefüllt ist, verleiht das dem Atomkern eine zusätzliche Stabilität.“
Bei der Anzahl von Protonen oder Neutronen, die nötig sind, um die Schalen zu vervollständigen, sprechen Wissenschaftler von magischen Zahlen. Magische Zahlen für die Protonenschalen besitzen zum Beispiel Zinn mit 50 und Blei mit 82 Protonen.
„Die nächste magische Zahl ist derzeit offen. Es gibt theoretische Vorhersagen seit den 1940er und 1950er Jahren, die sie im Bereich des Elements 114 verorten. Neuere Berechnungen sagen zum Teil noch immer Element 114, zum Teil Element 120 oder Element 126. Wir wissen es nicht, obschon Elemente bis zu Element 112 anerkannt sind. Sie sind offiziell entdeckt. Dasselbe gilt für Element 114 und 116. Und es gibt Berichte, die ich für sehr glaubhaft halte, dass auch die Elemente 117 und 118 nachgewiesen worden sind, doch der Status der Entdeckung ist noch nicht offiziell.“
Für komplett aufgefüllte Neutronenschalen sagt die Theorie ebenso wie bei den Protonen voraus, dass sie zu einer deutlich höheren Stabilität des jeweiligen Isotops beitragen.
„Das heißt, wir sind sehr stark daran interessiert, noch neutronenreichere Kerne herzustellen, die noch längere Halbwertszeiten haben sollen, um dann neben der nächsten Protonenschale auch den Abschluss der nächsten Protonenschale zu erreichen, die im Moment noch nicht erreicht ist. Die Theorie ist sich hierbei einig, wo dieser Schalenabschluss sein sollte: Zu erwarten ist er im Bereich von Neutronenzahl 184. Mit den neutronenreichsten Kernen, die wir im Moment haben, sind wir noch immer mehre Neutronen davon entfernt.“
Christoph Düllmann und seine Kollegen beschäftigen sich deswegen mit Isotopen des Elements 114, bei denen zumindest die Protonenschale schon abgeschlossen sein könnte. Die Forscher haben bereits verschiedene Isotope von 114 hergestellt und herausgefunden, dass die Halbwertszeit mit wenigen zusätzlichen Neutronen merklich ansteigt: von einer Zehntelsekunde auf zwei Sekunden, also um das Zwanzigfache.
„Wir wissen nicht, ob sich dieser Trend linear fortsetzt oder ob er sich noch ausprägt, wenn man zur Schale kommt. Auf jeden Fall gibt uns das deutliche Hinweise darauf, dass längerlebige Isotope zu erwarten sind, doch bleibt letztlich die Frage, wie man diese erzeugen kann.“
Die Isotope von superschweren Elementen werden aus leichteren Elementen erzeugt, indem man deren Atomkerne miteinander verschmelzen lässt.
„Man überlegt sich, was man miteinander fusionieren lassen muss. Es ist klar, dass die Summe der Protonen der Ausgangskerne 114 ergeben muss. In der Praxis bringt man die eine Atomkernsorte auf eine dünne Folie auf, man erstellt also ein Target. Die andere Atomkernsorte muss man beschleunigt auf diese Folie schießen, weil sich die Atomkerne, die beide positiv geladen sind, erstmal abstoßen. Diese Coulomb-Abstoßung muss man überwinden. Deswegen brauchen wir die Beschleunigeranlage hier an der GSI: Wir machen aus der einen Sorte einen Strahl und schießen auf das Target aus der anderen Sorte.“
Für Element 114 wird ein Target aus neutronenreichen Plutoniumisotopen mit einem Strahl aus Kalziumisotopen beschossen. Im Durchschnitt erhalten die Forscher auf diese Weise pro Tag nur ein einziges Atom des Elements 114, weil die Verschmelzung der Kerne nur selten gelingt. Dennoch reicht die geringe Erzeugungsrate, um wesentliche Eigenschaften der neuen Elemente zu untersuchen.
„In diesen Experimenten messen wir im Wesentlichen die Lebensdauer, das gibt uns ein Maß für die Halbwertszeit. Wir messen welche Zerfallsart das Element oder das Isotop dominiert, und mit welcher Wahrscheinlichkeit die Synthese gelingt. Das nennen wir den Wirkungsquerschnitt. In einem ersten Experiment dieser Art ist das so ziemlich alles, was Sie an Informationen bekommen.“
Fügt man eine spezielle Apparatur hinzu, kann zusätzlich die Atommasse bestimmt werden. Diese hängt nicht allein von den einzelnen Bausteinen, also Protonen, Neutronen und Elektronen, ab. Ein Teil der Gesamtmasse wird in Bindungsenergie umgewandelt, die den Kern zusammenhält. Ist ein Atom deutlich leichter als die Summe seiner Bausteine, so ist die Bindungsenergie sehr groß und das Isotop entsprechend stabil.
„So kann man durch das Wiegen der Atomkerne sehr direkt auch etwas über die Stabilität lernen. Auch wenn wir das bei Element 114 bisher nicht gemacht haben, weil wir die notwendige Empfindlichkeit noch nicht haben, so sind unseren Kollegen in den letzten Jahren diese Messungen mit Atomkernen der Elemente 102 und 103 gelungen. Damit haben sie zum ersten Mal solche direkten Massenmessungen durchgeführt, jenseits des Urans, was bisher das schwerste Element war, für das diese direkten Messungen gemacht worden sind.“
Das Team um Christoph Düllmann geht zudem der Frage nach, ob Element 114 zur Gruppe der Schwermetalle gehört – so wie Blei, das im Periodensystem darüber steht. Möglicherweise treffen aber auch andere Berechnungen zu, nach denen es sich bei Element 114 um ein Edelgas handelt, ähnlich wie Radon. Die Lösung liegt in seiner Chemie, also den Reaktionen, die Element 114 mit anderen Elementen eingeht. Deswegen leiten die Forscher die Isotope des Elements 114 in einen goldbeschichteten Kanal. Handelt es sich um ein Schwermetall, sollten die Atome bereits am Anfang des Detektors an die Goldatome binden und zerfallen. Wenn Elements 114 dagegen ein Edelgas ist, könnten Düllmann und seine Kollegen auch das nachweisen.
„Dazu kühlt man das Ende des Goldkanals einfach auf ganz tiefe Temperaturen ab, sodass schon ganz geringe Bindungskräfte, wie Van-der-Waals-Bindungen, die Edelgase eben eingehen, ausreichen, um das Radon oder ein edelgasförmiges Element 114 sich auf dieser Goldoberfläche abscheiden zu lassen. Dann würde man den Zerfall von Element 114 einfach ganz am Ende dieses goldbeschichteten Kanals nachweisen.“
Die Experimente im Goldkanal laufen momentan noch, im Herbst 2015 hoffen Christoph Düllmann und seine Kollegen auf erste Ergebnisse. Neben Element 114 werden am GSI auch etwas leichtere Atomkerne erzeugt und untersucht. Erst kürzlich vermeldete ein Forscherteam die Entdeckung vier neuer Isotope, jeweils eines von den Elementen Berkelium und Neptunium sowie zwei von Americium. Die Protonenzahlen dieser Elemente liegen zwischen 93 und 97. Die Eigenschaften der neuen Isotope sind wichtig für die Weiterentwicklung der theoretischen Modelle, die die Strukturen im Inneren der Atomkerne beschreiben. Von den Elementen bis 114 sind bisher rund 3000 verschiedene Isotope bekannt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass noch über 4000 weitere existieren und bisher unentdeckt sind.
Welt der Physik CC by-sa
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/hadronen-und-kernphysik/elemententstehung-und-erzeugung/die-erzeugung-superschwerer-elemente/