Unter dem Deckmantel der Raumzeit
Wissenschaftler konnten zeigen, dass es theoretisch möglich ist, Ereignisse unsichtbar zu machen
London (Großbritannien) - In der Optik werden einige theoretische und praktische Experimente mit Licht betrieben. Zum Beispiel wird Licht um Objekte herumgeleitet, so dass diese einem Beobachter unsichtbar erscheinen oder besser gesagt nicht erscheinen. Wissenschaftler aus London erweiterten diese Spielereien nun um eine Dimension: Die Zeit. Sie zeigten, dass es theoretisch möglich ist eine Lücke in der Raumzeit zu schaffen, durch welches sich ein Objekt bewegen kann. Für einem Beobachter würde es dann so aussehen, als würde das Objekt an einem Ort verschwinden und zeitgleich an einem anderen wieder auftauchen.
Der Weg von Lichtstrahlen wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Zum Beispiel können sie beim Übergang von einem Medium in ein anderes abgelenkt werden, so auch wenn sie aus Wasser an die Luft treten. Dies kann man am eigenen Leib erfahren, wenn man versucht, einen Fisch in einem See mit der Hand zu fangen. Wegen des veränderten Lichtweges vermutet man den Ort, an dem sich der Fisch befindet, an anderer Stelle und greift oft daneben. Charakterisiert wird diese Eigenschaft über den Brechungsindex. Er gibt an, wie stark Lichtstrahlen in einem Material abgelenkt werden, wobei unterschiedliche Materialen unterschiedliche Brechungsindizes haben. Kennt man die genauen Eigenschaften eines Materials, so kann man den Weg des Lichts gezielt beeinflussen. Dieses Phänomen machen Forscher sich seit 2006 für die Konstruktion sogenannter Raummäntel zu Nutze. Der Raummantel, ein transparentes Material, hat einen Brechungsindex, der das Licht um einen Gegenstand in seiner Mitte herumlenkt, ähnlich wie Wasser um einen Pfeiler fließt. Für einen außen stehender Beobachter ist das Objekt deshalb unsichtbar.
Wissenschaftler um Martin McCall am Imperial College London haben nun berechnet, dass nicht nur die räumliche Komponente des Lichts durch Materialien verändert werden kann, sondern auch die zeitliche. Basierend auf dieser Theorie haben sie einen sogenannten Raumzeit-Mantel entworfen. Der Raumzeit-Mantel beschleunigt den ersten Abschnitt des ihn durchdringenden Lichtstrahls, während er den zweiten abbremst. Dies könnte durch einen zeitlich veränderlichen Brechungsindex realisiert werden. Das beschleunigte Licht passiert einen Ort, bevor dort ein bestimmtes Ereignis stattfindet, das abgebremste Licht passiert ihn erst, nachdem das Ereignis stattgefunden hat. Das Ereignis könnte zum Beispiel ein Fahrradfahrer sein, der durch den Raumzeit-Mantel fährt. Am Ende des Mantels wird das schnelle Licht wieder gebremst, das langsamere beschleunigt und die Teile vereint. Keine der beiden Lichtkomponenten enthält aber Informationen über die Geschehnisse innerhalb des Mantels. Für eine Beobachter, der sich außerhalb befindet, hat dieses Ereignis also niemals statt gefunden, sondern ist in einer Lücke der Raumzeit versteckt. Es sähe für ihn so aus, als wäre der Fahrradfahrer vom Eingang des Raum-Zeit-Mantels zu dessen Ende gebeamt worden und das ohne, dass zwischen Verschwinden und wieder Auftauchen Zeit verstrichen ist.
Die tatsächliche Realisierung eines solchen Raum-Zeit-Mantels scheint allerdings noch in weiter Ferne. Man bräuchte ein Material, welches den Raumzeit-Mantel wie einen Vorhang öffnet, indem es eine Komponente des Lichtes beschleunigt, während eine andere verlangsamt wird. Im Innern des Raumzeit-Mantels wäre ein Material nötig, welches den Mantel offen hält und am Ausgang eines, welches den Mantel wieder schließt, indem die beiden Lichtkomponenten wieder auf ihre ursprüngliche Geschwindigkeit gebracht werden. Durch äußere elektrische und magnetische Felder müsste der Brechungsindex der Materialien zeitlich kontrollierbar sein. Laut der Forscher ließen sich optische Fasern mit den gewünschten Eigenschaften herstellen. Um allerdings ein Ereignis von nur einer Sekunde verschwinden zu lassen, müsste man aus diesen Fasern einen Raumzeitmantel von über 500.000 Kilometer Länge konstruieren, also etwa zehnmal so lang wie der Umfang der Erde. Um also wirklich die Illusion zu erschaffen, dass ein Gegenstand von einem Ort an den anderen gebeamt wird, ist dieses Material höchst unpraktikabel. Die Forscher sehen allerdings Perspektiven, dass diese optischen Fasern Fortschritte bei der Entwicklung von Quantencomputern bringen können. Außerdem hoffen sie, dass ihr theoretisches Modell andere Wissenschaftler dazu ermutigt, geignetere Materialen für die Konstruktion eines Raumzeit-Mantels zu entwerfen.
Welt der Physik
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/nachrichten/2010/unter-dem-deckmantel-der-raumzeit/