„Eine neue Art, Licht zu leiten“

Forscher haben eine neuartige Glasfaser entwickelt – sie leitet Licht allein aufgrund ihrer Verdrehung und bringt es so auf spiralförmige Bahnen.

Franziska Konitzer

In Glasfasern wird Licht normalerweise durch einen Kern hindurch geleitet, während ein Mantel dafür sorgt, dass es nicht nach außen entweicht. Wissenschaftler haben nun eine neue Methode gefunden, um Licht in Glasfasern zu leiten. Indem sie photonische Kristallfasern während der Produktion verdrillen, durchquert Licht sie anschließend auf spiralförmigen Bahnen: Somit ist es möglich, Licht ganz ohne den Kern zu leiten. Über diesen Effekt berichten die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“. Welt der Physik sprach darüber mit dem beteiligten Wissenschaftler Philip Russell vom Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen.

Welt der Physik: Wie wird Licht üblicherweise durch Glasfasern geleitet?

Philip Russell vom Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts (rechts) hat zusammen mit Gordon Wong und Ramin Beravat die Studie zur neuartigen Lichtwellenleitung durchgeführt.

Philip Russell und Kollegen

Philip Russell: In den herkömmlichen Lichtwellenleitern gibt es einen Kern, in dem das Licht gefangen ist. Konventionelle optische Fasern leiten Licht, weil die Dichte des Glases im Kern – das was Wissenschaftler den Brechungsindex nennen – höher ist als außen im Mantel. Wenn die Lichtstrahlen die Grenze zwischen Kern und Mantel treffen, werden sie zurück in den Kern reflektiert – auch totale interne Reflexion genannt. Eine andere Art von herkömmlichen Lichtleitern stellen photonische Kristallfasern dar, die wir entwickelt haben. Wenn man sich einen Querschnitt dieser Fasern anschaut, sieht man ein regelmäßiges Gitter aus hexagonal angeordneten hohlen Kanälen im Mantel, die symmetrisch um den Kern in der Mitte angeordnet sind. Die periodische Anordnung der Kanäle im Mantel kann Licht auf eine ähnliche Art und Weise reflektieren, wie Röntgenstrahlen in Kristallen reflektiert werden. Das Licht wird von diesem periodischen Gitter sehr effizient eingefangen. Beiden Methoden ist aber gemeinsam, dass es einen Kern gibt.

Wie sieht der Querschnitt Ihrer neuen photonischen Kristallfasern aus?

Man sieht, dass es keinen Kern gibt. Es besteht also kein Unterschied zwischen dem Mittelpunkt der Faser und ihren Außenbereichen. Sie sieht wie eine perfekt regelmäßige Struktur aus. Die Fasern an sich bestehen aus Quarzglas, das ist kein besonderes Material. Es gibt eine hexagonale Anordnung von hohlen Kanälen, die den gesamten Querschnitt der Faser bedecken. In der Mitte ist aber kein Kern, in dem das Licht gefangen ist.

Wie haben Sie die Fasern hergestellt?

Die Fasern werden aus einer Preform hergestellt, das ist ein Glasstab mit rund einem Zentimeter Durchmesser. Die Glasfasern werden nach unten aus der Preform durch Aufschmelzen herausgezogen. Indem wir die Preform während dieses Vorgangs drehen, verdrehen sich auch die Fasern. Die hohlen Kanäle im Inneren der Faser werden so spiralförmig wie eine Helix verdreht. Das ähnelt der DNA mit ihrer Doppelhelix, aber in unserem Fall gibt es nicht nur zwei solcher Stränge, sondern Dutzende von ineinander verdrehten hohlen Kanälen.

Computergrafik, die den Aufbau des neuartigen Lichtleiters zeigt

Verdrillter Lichtleiter

Was passiert mit dem Licht, wenn es die verdrillte Kristallfaser durchquert?

Das Licht ist zwischen den hohlen Kanälen gefangen. Die Kanäle sind wie Schranken, die das Licht reflektieren, es kann sie nicht passieren. Sobald das Licht in die Faser eintritt, wird es auf spiralförmige Bahnen gebracht. Die sogenannte optische Pfadlänge ist erhöht, da das Licht nicht geradlinig von Punkt A zu Punkt B innerhalb der Faser gelangen kann, sondern diesen spiralförmigen Bahnen folgen muss. Indem wir den Raum verdrehen, erzeugen wir Kräfte, die man durchaus mit dem Effekt der Schwerkraft auf das Licht in der gebogenen Raumzeit vergleichen kann. Das hat schon Einstein erkannt: Wenn Licht die gekrümmte Raumzeit durchquert, reist es nicht geradlinig, sondern folgt ebenfalls einer gekrümmten Bahn. Das machen wir hier auch, aber wir krümmen den Raum nicht, sondern verdrehen ihn vielmehr. Und je enger die Verdrehungen der Faser sind, desto mehr ist das Licht eingesperrt.

Wo könnte man diese neuen Kristallfasern verwenden?

Wir haben einige Ideen, was Anwendungen betrifft, aber wir betreiben eigentlich Grundlagenforschung. Für mich ist das zunächst ein sehr unerwarteter Effekt – allein die Tatsache, dass man Licht ohne Kern leiten kann, ist schon ungewöhnlich. Es ist eine neue Art, Licht zu leiten, die noch nie zuvor beobachtet worden ist.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/nachrichten/2016/interview-russell/