„Das übersteigt meine kühnsten Erwartungen“
Jana Harlos
Neutrinos sind nahezu masselose Elementarteilchen, die kaum mit Materie in Wechselwirkung treten. Aufgrund dieser Eigenschaft sind riesige Detektoren vonnöten, um Neutrinos nachzuweisen. Der bisher größte und leistungsfähigste Detektor für diese Teilchen ist IceCube. Obwohl man mit dem Observatorium am Südpol bereits etliche Neutrinos aus den Tiefen des Weltalls aufspürte, blieb deren Ursprung bislang rätselhaft. Im Fachblatt „Science“ berichten Wissenschaftler nun, dass eines dieser Teilchen vermutlich aus dem Zentrum einer entfernten Galaxie stammt. Wie die Forscher das herausgefunden haben, erzählt Klaus Helbing von der Universität Wuppertal im Interview.
Welt der Physik: Was ist das Ziel von IceCube?
Klaus Helbing: Mit IceCube sind wir auf der Suche nach hochenergetischen Neutrinos aus den Tiefen des Weltalls. 2013 ist uns der Durchbruch gelungen: Wir konnten erstmals solche astrophysikalischen Neutrinos aufspüren, die also nicht etwa aus der Erdatmosphäre stammen oder aus der Sonne. Als Quelle dieser Elementarteilchen kommen eine ganze Menge astronomischer Objekte und astrophysikalischer Prozesse infrage – etwa weit entfernte Sternexplosionen oder aktive Galaxienkerne. Doch wo und wie die hochenergetischen Neutrinos genau entstehen, war bislang unklar. Tatsächlich waren wir gar nicht so optimistisch, dass wir mit IceCube überhaupt eine Quelle identifizieren können.
Und nun konnten Sie eine solche Quelle mit IceCube aufspüren?
Nicht alleine mit IceCube: In den vergangenen zwei Jahren beobachteten wir mit IceCube insgesamt zehn hochenergetische Neutrinos aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen – die Quelle war jeweils unbekannt. Im September 2017 haben wir dann ein weiteres hochenergetisches Neutrino nachgewiesen. Daraufhin haben Kollegen die entsprechende Himmelsregion mit dem Gammateleskop MAGIC und dem Weltraumteleskop Fermi abgesucht. Dabei sind sie auf Gammastrahlung gestoßen, die aus der gleichen Richtung wie das Neutrino stammt und von der Galaxie Txs0506+06 – einem sogenannten Blazar – ausgeht.
Was ist ein Blazar?
Ein Blazar ist ein aktiver Galaxienkern – also ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie, auf das Materie einfällt. Auch im Zentrum unserer Galaxie befindet sich ein supermassereiches Schwarzes Loch. Es lässt sich allerdings nur indirekt beobachten, indem man die Bewegung der benachbarten Sterne analysiert. Ein Blazar ist dagegen gut sichtbar: Die Materie sammelt sich in einer sogenannten Akkretionsscheibe um das zentrale Schwarze Loch und heizt sich extrem auf, wodurch sie hell aufleuchtet. Zudem entweichen senkrecht zur Scheibe gebündelte Materiestrahlen, sogenannte Jets. Bei einem Blazar zeigt einer dieser Jets in unsere Richtung.
Und aus diesem Materiestrahl kommt das beobachtete Teilchen?
Vermutlich ja. Die koinzidente Messung hat eine hohe statistische Signifikanz: Beobachtet man 5000-mal das gleiche Ereignis – in diesem Fall die gleichzeitige Messung des Neutrinos und der Gammaphotonen –, hat nur eines der Ereignisse durch Zufall stattgefunden. Das klingt nach einer sicheren Sache. Doch Physiker sprechen dabei noch nicht von einer Entdeckung, sondern von einem Beleg. Dennoch übersteigt das meine kühnsten Erwartungen. Die neue Studie zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Forschungsinfrastrukturen ist.
Könnten auch einige der anderen mit IceCube nachgewiesenen Neutrinos aus dieser Quelle stammen?
Wir konnten zeigen, dass es bereits vor etwas mehr als drei Jahren eine erhöhte Emission von Neutrinos mit niedrigeren Energien aus der Richtung dieses Blazars gab. Das ist auch plausibel, denn die Materie um das zentrale Schwarze Loch sollte nicht völlig homogen verteilt sein. Dadurch schwankt die Aktivität eines Blazars – er ist also keine kontinuierliche Quelle von Neutrinos. Neben den Blazaren gibt es vermutlich noch weitere Neutrinoquellen im All. Welche das sind, wissen wir aber noch nicht.
Wie lassen sich die neuen Erkenntnisse künftig nutzen?
Wir werden uns die Daten von IceCube noch einmal vornehmen und schauen, ob vielleicht noch andere Blazare als Quelle infrage kommen. Außerdem werden wir die Himmelsrichtungen der von uns gefundenen Neutrinos weiterhin an andere Teleskope melden – und wären begeistert, wenn nochmals eine koinzidente Messung gelingt. Dann arbeiten wir an einer Erweiterung von IceCube. Mit einem größeren Detektorvolumen hoffen wir, weitere astrophysikalische Neutrinos zu beobachten und so mehr über die physikalischen Mechanismen in den Blazaren zu erfahren.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/nachrichten/2018/moegliche-neutrinoquelle-aufgespuert/