Quantenmaterie im Orbit

Auf der Internationalen Raumstation haben Wissenschaftler eine Wolke aus Atomen extrem abgekühlt und so einen ganz besonderen Materiezustand erzeugt.

Jan Oliver Löfken

Blick aus dem Inneren der ISS auf ein Modul, das außen befestigt ist; im Hintergrund ist die Erde zu sehen

NASA

Bei Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt können Atome in einen neuartigen Aggregatzustand übergehen: Alle Teilchen befinden sich dabei im selben Quantenzustand und sind nicht mehr voneinander unterscheidbar – sie bilden ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat. Vor 25 Jahren gelang es erstmals, diesen besonderen Materiezustand im Labor zu erzeugen. Nun stellten Wissenschaftler auch auf der Internationalen Raumstation ein Bose-Einstein-Kondensat her. Die ultrakalte Wolke aus Rubidiumatomen zeigte dabei deutliche Unterschiede zu vergleichbaren Experimenten auf der Erde, berichtet das Team in der Zeitschrift „Nature“.

Mehrere Jahre bereiteten David Aveline und seine Kollegen vom California Institute of Technology im amerikanischen Pasadena den Versuch auf der Raumstation vor: Die dafür notwendigen Komponenten – vom Laser bis zur Vakuumpumpe – galt es, auf möglichst engem Raum zu verstauen. Und auch den Strombedarf mussten die Wissenschaftler im Blick behalten, da die Energieressourcen auf der ISS beschränkt sind. Zudem sollte der Aufbau möglichst wartungsfrei funktionieren. Nach erfolgreichen Testläufen auf der Erde wurde das Experiment im Jahr 2018 an Bord der Raumstation installiert.

Atomfalle

Atomfalle

In der Erdumlaufbahn hielten die Forscher einige Tausend Rubidiumatome in einer magnetischen Falle fest und kühlten sie in mehreren Schritten auf nahezu minus 273,15 Grad Celsius ab. Dabei froren die Bewegungen der Atome gewissermaßen ein und es entstand ein Bose-Einstein-Kondensat. Im Vergleich zu Experimenten auf der Erde sehen die Forscher um Aveline in der Mikrogravitation des Weltalls einige Vorteile. So blieb der Materiezustand nach dem Abschalten der magnetischen Falle deutlich länger stabil als unter der Schwerkraft auf der Erde: Während die Atomwolke auf der Erde relativ schnell expandiert und sich verflüchtigt, war sie im Orbit auch nach rund einer Sekunde noch zu beobachten. Diese verlängerte Stabilität erleichtert detaillierte Messungen an dem Bose-Einstein-Kondensat. Zudem reichten auf der ISS bereits schwächere Magnetfelder aus, um die Atome einzufangen.

„Die erfolgreiche Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten im Orbit eröffnet neue Möglichkeiten zur Erforschung von Quantengasen“, kommentiert Maike Lachmann vom Institut für Quantenoptik der Universität Hannover die aktuellen Ergebnisse. Die Forscherin war nicht an der Studie beteiligt und gehört zu dem Team, das 2017 erstmals ein Bose-Einstein-Kondensat in einer Forschungsrakete im Weltall erzeugte. Aveline und seine Kollegen hoffen, mit den Experimenten an Bord der ISS nicht nur quantenphysikalische Effekte besser untersuchen zu können, sondern auch neue Impulse für technische Entwicklungen zu liefern – beispielsweise für neuartige Laser, in denen sich Materiewellen statt Lichtwellen ausbreiten, oder für empfindliche Messverfahren wie die Atominterferometrie.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/nachrichten/2020/quantenmaterie-im-orbit/