Rekord-Neutrino im Mittelmeer
Anne-Dorette Ziems

Paschal Coyle/CNRS/KM3NeT
Eins der größten Teleskope weltweit befindet sich nicht etwa im Weltraum oder an Land, sondern am Grund des Mittelmeers. Dort liegt ein Neutrino-Observatorium, mit dem Forschende jetzt ein Neutrino mit Rekord-Energie entdeckt haben. Wie sie im Fachmagazin „Nature“ berichten, deutet alles darauf hin, dass dieses Neutrino von außerhalb der Milchstraße stammt.
Neutrinos sind Elementarteilchen, die extrem selten mit anderer Materie interagieren. Deshalb sind sie nur schwer zu messen. Dabei kommen sie keinesfalls selten vor: Pro Sekunde schießen 100 Billionen Neutrinos durch unsere Körper, ohne dass wir es merken. Mit einem Menschen-großen Detektor würde es allerdings Jahrzehnte dauern, eine Neutrino-Interaktion zu beobachten. Neutrino-Teleskope sind groß und zudem an besonderen Orten zu finden.
So auch das Neutrino-Teleskop ARCA, einem Teil des Neutrino-Observatoriums KM3NeT im Mittelmeer. ARCA detektiert Neutrinos nicht direkt, sondern indirekt. Das Teleskop besteht aus mehreren sogenannten Detection Units: Das sind in senkrechten 700 Meter langen Linien angeordnete Lichtsensoren, die Tscherenkow-Strahlung detektieren. Die bläuliche Tscherenkow-Strahlung tritt auf, wenn sich geladene Teilchen in einem Medium wie Wasser schneller bewegen, als das Licht es in diesem Medium tut. Kosmische Neutrinos können solche schnellen geladenen Teilchen erzeugen: Sie entstehen, wenn die Neutrinos innerhalb oder nahe dem Teleskop mit Molekülen im Wasser interagieren.
30 Mal energiereicher als zuvor
Auf diese Weise haben die Forschenden der KM3NeT-Kollaboration am 13. Februar 2023 ein sehr energiereiches Myon entdeckt. Dadurch, dass die Lichtsensoren von ARCA in einem großen Volumen verteilt sind, konnten die Forschenden das Myon auf seinem Weg durch das Neutrino-Teleskop verfolgen und daraus Rückschlüsse auf das ursprüngliche Neutrino schließen. Das Myon hat sich fast horizontal durch das Teleskop bewegt. Das macht es unwahrscheinlich, dass das geladene Teilchen bereits in der Erdatmosphäre entstanden ist. Die Menge an festem Gestein, die es hätte durchqueren müssen, ist ein wirksamer Schutzschild für solche Teilchen. Stattdessen deute der Winkel des Myons auf ein kosmisches Neutrino hin, das in der Nähe von ARCA mit den Wassermolekülen interagierte und dabei das Myon erzeugte, so die KM3NeT-Kollaboration.
Das von ARCA detektierte Myon hatte eine Energie von 120 Petaelektronenvolt. Die Energie des Neutrinos, welches das Myon erzeugt hat, beträgt etwa 220 Petaelektronenvolt. Das ist 30 Mal so viel wie die Energie bisher entdeckter Neutrinos.
Nun spekulieren die Forschenden der KM3NeT-Kollaboration, wo das Neutrino seinen Ursprung hat. Sie identifizierten zwölf aktive Galaxienkerne, die zu der Richtung passen, aus der das Neutrino gekommen ist. Allerdings können sie keinen der Galaxienkerne klar als Ursprung ausmachen.
Aktuell sind erst 33 der geplanten 230 Detection Units von ARCA in Betrieb. Doch bis Ende des Jahrzehnts soll das Teleskop vollständig aufgebaut sein. In Zukunft soll sich ARCA über etwa einen Kubikkilometer im Mittelmeer erstrecken und so noch häufiger Neutrinos detektieren und Neutrino-Entdeckungen wie diese detaillierter vermessen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/nachrichten/2025/km3net-rekord-neutrino-im-mittelmeer/