„Das Beobachtete ist nicht objektiv“
Mit der Quantenmechanik beschreiben Physiker winzige Objekte wie beispielsweise Elektronen. Denn sehr kleine Objekte verhalten sich vollkommen anders, als wir es aus unserem Alltag gewohnt sind. Überträgt man die Gesetze der Quantenphysik auf unsere alltägliche, sogenannte makroskopische Welt, erscheinen sie uns zunächst einmal absurd. Das wollte auch der Physiker Erwin Schrödinger im Jahr 1935 mit seinem berühmten Gedankenexperiment, das unter dem Namen Schrödingers Katze bekannt wurde, verdeutlichen. Noch heute erforschen Wissenschaftler die Konsequenzen dieser Gedankenexperimente. So auch Caslav Brukner vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Wien. Wie er und seine Kollegen nun ein weiteres Gedankenexperiment erforscht haben, berichtet der Quantenphysiker im Interview mit Welt der Physik.
Welt der Physik: Das Gedankenexperiment Schrödingers Katze taucht mittlerweile nicht nur in der Fachliteratur, sondern etwa auch im Unterhaltungsfernsehen auf. Doch worum handelt es sich dabei genau?
Caslav Brukner: Der Ausdruck „Schrödingers Katze“ beschreibt ein Gedankenexperiment, das Erwin Schrödinger – einer der Begründer der Quantenmechanik – im Jahr 1935 veröffentlichte. In diesem Gedankenexperiment befindet sich eine Katze zusammen mit einem instabilen Atomkern in einem geschlossenen Kasten. Der radioaktive Atomkern zerfällt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit innerhalb einer bestimmten Zeit und setzt dabei ein giftiges Gas frei, das dann die Katze tötet.
Und wo kommt nun die Quantenphysik ins Spiel?
Der Atomkern – der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zerfällt – ist so klein, dass er den Gesetzen der Quantenphysik unterliegt. Und die Theorie besagt, dass sich der Atomkern dann in einer Überlagerung seiner beiden möglichen Zustände befindet – zerfallen und noch nicht zerfallen. Diesen Überlagerungszustand nennt man auch Superposition. Der Atomkern ist also gewissermaßen gleichzeitig zerfallen und nicht zerfallen. Erst wenn man den Zustand des Atomkerns beobachtet, bricht die Überlagerung zusammen und der Zustand des Atomkerns wird eindeutig auf einen der beiden festgelegt. Und obwohl uns dieses Verhalten merkwürdig erscheint, lässt es sich in Experimenten wie etwa dem Doppelspaltexperiment mit Quantenobjekten eindeutig bestätigen.
Welche Rolle spielt die Katze in dem Experiment?
Erwin Schrödinger hat die Katze in sein Gedankenexperiment aufgenommen, um zu zeigen, wie absurd das Superpositionsprinzip wird, wenn man es auf makroskopische Objekte wie etwa eine Katze überträgt. Denn wenn sich der Atomkern in einem Überlagerungszustand befindet, müsste dies auch für die Katze gelten: Solange die Kiste geschlossen ist, kann ein außenstehender Beobachter nicht wissen, ob der Atomkern zerfallen ist und damit die Katze getötet hat. Schrödingers Katze wäre demnach gewissermaßen tot und lebendig zugleich. Erst wenn der Beobachter die Kiste öffnet, wird der Zustand der Katze eindeutig festgelegt. Erwin Schrödinger argumentierte daher, dass man die Prinzipien der Quantenmechanik lediglich auf kleinste Objekte wie etwa Atomkerne anwenden könne. Wenn man sie jedoch auf makroskopische Objekte erweitert, entstünden paradox erscheinende Szenarien – wie etwa eine Katze, die gleichzeitig tot und lebendig ist.
Ließe sich so ein Experiment tatsächlich durchführen?
Seitdem Schrödinger sein Gedankenexperiment veröffentlichte, hat sich viel getan. Wissenschaftler können Quanteneffekte heutzutage bei immer größeren Objekten wie Molekülen oder Nanopartikeln beobachten. Doch eine Katze in einen quantenphysikalischen Überlagerungszustand zu bringen, ist bislang selbstverständlich noch niemandem gelungen. In der Frage, ob so ein Experiment theoretisch möglich wäre, sind sich Forscher uneins. Doch gerade in solchen Szenarien, die man bislang experimentell noch nicht überprüfen kann, können uns Gedankenexperimente weiterbringen.
In Ihrer Forschung haben Sie sich nun mit einer Erweiterung von Schrödingers Gedankenexperiment befasst. Worum geht es in diesem Gedankenexperiment?
Auch der theoretische Physiker und spätere Nobelpreisträger Eugene Wigner erforschte die Konsequenzen der Quantenphysik und entwickelte im Jahr 1961 Schrödingers Gedankenexperiment weiter: Anstelle der Katze befindet sich nun ein menschlicher Beobachter – Wigners Freund – in einem geschlossenen Labor. Wigners Freund wird jedoch, anders als Schrödingers Katze, keinem tödlichen Gift ausgesetzt, sondern führt stattdessen ein Experiment durch: Er misst die Ausrichtung des Eigendrehimpulses – den sogenannten Spin – eines Quantenteilchens. Der Spin eines Teilchens zeigt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nach oben beziehungsweise nach unten. Der Effekt ist dann der gleiche: Gemäß der Quantenphysik befindet sich das Teilchen in einem Überlagerungszustand zwischen den beiden möglichen Ausrichtungen des Spins. Erst wenn Wigners Freund diesen Zustand misst, wird der Spin auf eine der beiden Ausrichtungen festgelegt.
Und worin besteht nun der Unterschied zu Schrödingers Katze?
Wigner führt nun einen weiteren Beobachter ein: Wigner selbst, der sich außerhalb des Labors befindet und von dort das Experiment sowie seinen Freund beobachtet. Dieser zweite Beobachter wirft nun neue Fragen auf. Denn je nachdem, aus welcher Perspektive man die Situation betrachtet, ergeben sich unterschiedliche Szenarien. Wigners Freund misst den Spin des Quantenteilchens und erhält ein eindeutiges Ergebnis. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich das Teilchen für ihn also in keinem Überlagerungszustand mehr. Doch Wigner, der sich außerhalb des Labors befindet, hat keinerlei Informationen über den Ausgang des Experiments. Aus seiner Sicht befindet sich das Teilchen daher immer noch – ähnlich wie bei Schrödingers Katze – in einem Überlagerungszustand. Und da Wigners Freund diesen Zustand misst, befindet er sich aus Wigners Sicht auch in einem Überlagerungszustand aus den zwei Möglichkeiten, die eine oder die andere Ausrichtung des Spins beobachtet zu haben. Der Unterschied besteht also darin, dass es in diesem Gedankenexperiment zwei Betrachter gibt, die durch ihre Beobachtung das Experiment unterschiedlich beeinflussen können. Die Frage ist nun: Welche der beiden Sichtweisen ist die richtige? Oder sind doch beide richtig? Zu diesen Überlegungen haben wir nun geforscht.
Wie lassen sich solche Gedankenexperiment denn überhaupt erforschen?
Mathematisch können wir den Überlagerungszustand eines Quantenobjekts durch eine sogenannte Wellenfunktion beschreiben. Ausgehend von einigen wenigen Grundannahmen der Quantenphysik haben wir berechnet, was in dem Gedankenexperiment passiert. Denn jede Messung durch einen der Beobachter beeinflusst die Wellenfunktion. Im Fall von Schrödingers Katze bedeutet das etwa: Schaut der Beobachter nach, ob die Katze noch lebt oder bereits durch das Gift getötet wurde, wird ihr Zustand eindeutig festgelegt. Wir haben nun Wigners Gedankenexperiment einmal aus der Sicht von Wigners Freund mathematisch beschrieben und einmal aus der Sicht von Wigner. Dabei haben wir herausgefunden, dass die beiden Beschreibungen zusammengenommen zu mathematischen Widersprüchen führen. Die beiden Wellenfunktionen sind also nicht miteinander vereinbar.
Was bedeutet dieses Ergebnis?
Das ist eigentlich eine philosophische Frage. Meiner Meinung nach zeigt es, dass es Objektivität im Sinne der klassischen Physik in der Quantenphysik nicht mehr gibt. Mit Objektivität meine ich, dass das Beobachtete unabhängig von der Perspektive des Beobachters ist. Wir haben in unserer Arbeit aber gezeigt, dass das für das Gedankenexperiment Wigners Freund nicht zutrifft. Das ist – wie so vieles in der Quantenphysik – zunächst einmal schwer zu begreifen. Doch unsere Rechnungen sind eindeutig. Und es geht noch weiter: Denn in einer zweiten Arbeit haben wir gezeigt, dass die Objektivität nicht einmal für einen einzigen Beobachter gilt. Unter bestimmten Bedingungen kann das, was Wigners Freund in der Vergangenheit beobachtet hat, nicht mit dem Beobachteten in der Gegenwart koexistieren, ohne zu mathematischen Widersprüchen zu führen.
Wie kann man sich das vorstellen?
Es ist natürlich immer schwierig, sich eine Vorstellung von der mikroskopischen Welt der Quantenphysik zu machen – denn ihre Gesetze widersprechen all unseren alltäglichen Erfahrungen. Ich erkläre mir das Ergebnis unserer Arbeiten aber so: Durch das geschlossene Labor können Wigner und sein Freund keinerlei Informationen über den Ausgang des Experiments austauschen. Daher existiert das Messergebnis, das Wigners Freund beobachtet, in Wigners Welt nicht. Dasselbe gilt für Informationen aus der Vergangenheit: Wenn sie gelöscht und nirgendwo dokumentiert werden, sind sie gewissermaßen nicht mehr vorhanden und können nicht mit Informationen aus späteren Messungen kombiniert werden.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/quanteneffekte/das-beobachtete-ist-nicht-objektiv/