EDELWEISS: Dunkle Materie-Teilchen im Kristall
EDELWEISS ist ein französisch-deutsches Experiment zur direkten Suche nach Teilchen der Dunklen Materie. Das Nachweisprinzip besteht darin, dass ein solches Teilchen in einem Germanium-Kristall elastisch gestreut werden kann. Dabei entsteht Wärme, außerdem werden Atome ionisiert. EDELWEISS sucht nach solchen, sehr seltenen Signalen. Mit der neuen Experimentkonfiguration, wie sie im Jahre 2005 aufgebaut wurde, soll die bisherige Empfindlichkeit um das Hundertfache erhöht werden.
Die Teilchen der Dunklen Materie gehen mit der bekannten Materie eine extrem geringe Wechselwirkung ein. Deswegen sind sie unsichtbar, also dunkel. Diese Weakly Interacting Massive Particles (WIMPs) genannten Partikel erfüllen nach heutigem Wissen das Universum nicht homogen. Vielmehr haben sie riesige Wolken gebildet, in denen Galaxien wie unser Milchstraßensystem „schweben“. Demnach sollte sich die Erde in dieser Wolke bewegen und ein irdischer Detektor ständig von einer großen Zahl von WIMPs durchströmt werden. Wegen der verschwindend geringen Wahrscheinlichkeit für eine Wechselwirkung stößt dabei aber nur höchst selten ein WIMP mit einem Atomkern zusammen. Mit Experimenten wie EDELWEISS versuchen Astroteilchenphysiker, solche extrem seltenen Stoßprozesse nachzuweisen.
EDELWEISS im Fréjus-Tunnel
Das EDELWEISS-Experiment (Expérience pour détecter les WIMPs en Site Souterrain) befindet sich im Laboratoire Souterrain de Modane im französisch-italienischen Fréjus-Tunnel. Dort schirmt die 1780 Meter mächtige Gesteinsschicht der Alpen das Experiment gegen störende kosmische Strahlung ab. Als Detektoren dienen Germanium-Halbleiterkristalle mit einer Masse von je 320 Gramm, die bis auf 0,017 Kelvin gekühlt sind. Stößt ein WIMP mit einem Germanium-Atomkern zusammen, so überträgt es auf den Kern einen Rückstoß und deponiert dabei Energie. Dies führt zu zwei Effekten. Zum einen erhöht sich die Temperatur im Kristall geringfügig und zum anderen wird das Kristallmaterial in der Umgebung des Stoßprozesses ionisiert. Das heißt, einige Atome verlieren ihre Elektronen.
Das Temperatursignal wird über einen kleinen Spezialsensor, der auf den Detektor aufgeklebt ist, ausgelesen. Hierbei nutzt man aus, dass eine Temperaturerhöhung zu einem größeren elektrischen Widerstand in diesem Sensor führt. Das Ionisationssignal wird ebenfalls an den Kristalloberflächen ausgelesen. Hierzu dient eine nur hundert Nanometer (Milliardstel Meter) dünne Aluminium-Elektrode, an die eine Spannung von einigen Volt angelegt wird. Für jedes Ereignis nimmt man sowohl den Temperaturanstieg als auch das Ionisations- beziehungsweise Ladungssignal gleichzeitig auf.
Eine Herausforderung besteht darin, Störeinflüsse wie radioaktive Zerfälle, bei denen Elektronen und Gammaphotonen emittiert werden, herauszufiltern. Dies ist möglich, weil die Elektronen und Gammaphotonen bei gleichem Energieeintrag stärker mit den Elektronen im Kristall wechselwirken als die WIMPs oder Neutronen. Dies führt dementsprechend zu deutlich mehr Ionisation als bei den WIMPs und Neutronen, die an den Kernen stoßen. Hingegen ist das Wärmesignal nur von der deponierten Gesamtenergie abhängig. Auf diese Weise lassen sich potenzielle WIMP-Kern-Stöße anhand des Verhältnisses von Ionisation zu Wärme sehr effizient aus der Menge von Untergrundereignissen extrahieren. Eine ähnliche Strategie verfolgen auch andere Experimente wie CRESST und CDMS.
In einem ersten Messzyklus in den Jahren 2000 bis 2003 mit drei Kristallen und einer gesamten effektiven Messzeit von 62 Kilogramm-Tagen wurde kein WIMP-Signal gefunden. Daraus ergeben sich Obergrenzen für die Wechselwirkungsstärke (Wirkungsquerschnitt) und mögliche WIMP-Massen.
In einer zweiten Experimentkonfiguration, deren Aufbau Ende 2005 abgeschlossen wurde, soll die bisherige Empfindlichkeit um etwa zwei Größenordnungen gesteigert werden. Damit gelangt man zu Wirkungsquerschnitten im Bereich von 10-8 Pikobarn (1 pb = 10-36 cm2). Dann werden erstmals große Bereiche theoretischer Erwartungen experimentell zugänglich. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die effektive Messzeit gesteigert werden, was durch erheblich mehr Detektormaterial erreicht wird. EDELWEISS-2 soll bis zu 110 Germanium-Detektoren mit jeweils 320 Gramm Masse enthalten, die in einem neu entwickelten Hundert-Liter-Kryostaten untergebracht werden.
Aufgrund der enormen Empfindlichkeitssteigerung treten allerdings bisher vernachlässigbare Untergrundquellen ins Blickfeld. Wegen der guten Abschirmung durch das Gestein erreichen durchschnittlich zwar nur etwa vier kosmische Myonen pro Quadratmeter und Tag das Experiment (an der Erdoberfläche wären es zehn Millionen). Diese Myonen können aber beim Durchgang durch umgebendes Material hochenergetische Neutronen erzeugen, die im Detektor ebenfalls ein Störsignal auslösen, das tückischerweise einem WIMP sehr viel mehr ähnelt als radioaktiver Untergrund. Deshalb müssen die Detektoren von einem hermetischen Zähler umgeben werden, der alle Myonen in der Experimentumgebung nachweist. Aufgrund der massiven Abschirmung der Detektoren mit Kupfer, zwanzig Zentimeter dickem Blei und fünfzig Zentimeter dickem Polyethylen beträgt die zu überdeckende Fläche des von den deutschen Gruppen gebauten und betriebenen Myonzählers für das EDELWEISS-2 Experiment rund hundert Quadratmeter.
Ausblick
Mit der neuen Generation von Experimenten zur direkten Suche nach Dunkler Materie erzielen wir in den nächsten Jahren eine bisher unerreichte Empfindlichkeit und stoßen erstmalig in große Bereiche vor, in denen supersymmetrische Modelle WIMPs vorhersagen. Tief unter der Erde könnten wir damit einem der großen Rätsel der Kosmologie auf die Spur kommen und die Natur der Dunklen Materie aufdecken.
EDELWEISS ist ein französisch-deutsches Experiment, an dem das Forschungszentrum Karlsruhe und die Technische Universität Karlsruhe beteiligt sind, der Standort lieg in Frankreich im Labor des Frejus-Tunnels.
Kosmische Spurensuche – Astroteilchenphysik in Deutschland (Juli 2006)
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/dunkle-materie/edelweiss/