„Ein Ankerpunkt für kosmologische Modelle“
Denise Müller-Dum
Als kosmische Dämmerung wird in der Astronomie die Phase nach dem Urknall bezeichnet, in der die allerersten Sterne und Galaxien entstanden. Während dieser Epoche bestand der Raum zwischen den ersten Himmelsobjekten noch aus einem undurchsichtigen Gas aus neutralen Atomen. Doch die energiereiche Strahlung der ersten Sterne ionisierte die Atome zwischen den Galaxien und das Universum wurde langsam transparent. Nachdem die Dauer dieses Prozesses lange Zeit unbekannt war, haben Forscherinnen und Forscher nun herausgefunden, dass die kosmische Dämmerung 1,1 Milliarden Jahre nach dem Urknall endete. Im Interview mit Welt der Physik erklärt Sarah Bosman vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wie sie und ihr Team diesen Zeitpunkt mithilfe von Messungen an weit entfernten Galaxienkernen bestimmt haben.
Welt der Physik: Wie hat sich das Universum in seiner frühen Phase entwickelt?
Sarah Bosman: Alles begann vor 13,8 Milliarden Jahren mit dem Urknall, als Materie, Raum und Zeit entstanden. Zunächst war das Universum von einem diffusen, ionisierten Gas erfüllt. Als sich dieses Gas nach ein paar hunderttausend Jahren abkühlte, fügten sich die geladenen Teilchen zu neutralen Atomen zusammen. Die Atome setzten sich daraufhin wie Legosteine zu immer komplizierteren Strukturen zusammen, die wiederum durch Filamente verbunden sind – das bezeichnen wir als kosmisches Netz. Nach einigen weiteren hundert Millionen Jahren kollabierten die ersten großen Gaskugeln unter ihrer eigenen Schwerkraft und formten die ersten Sterne und Galaxien. Diese Phase nach dem Urknall bezeichnen wir als Epoche der kosmischen Dämmerung.
Wie sah das Universum während der kosmischen Dämmerung aus?
Ausgehend von unseren Theorien vermuten wir, dass die Sterne viel größer und heißer waren als im modernen Universum. Wir glauben auch, dass sie eine viel kürzere Lebensdauer hatten. Und die ersten Galaxien, die diese Sterne bildeten, waren keine schönen, großen Spiralgalaxien, wie wir sie kennen, sondern einfach nur große Klumpen von ein paar Tausend bis zu vielleicht einer Million Sterne. Außerdem war der Bereich zwischen den Galaxien nicht wie heute durchsichtig. Stattdessen waren große Teile des Universums aufgrund des neutralen Gases zwischen den Galaxien undurchsichtig wie Nebel. Erst das energiereiche Licht der Sterne zerstörte dieses Gas: Es ionisierte die Atome erneut, und so wurde das Universum allmählich transparent. Wir nennen diese Phase daher auch Reionisierungsepoche.
Was wollten Sie über diese Epoche herausfinden?
Unser Ziel war es herauszufinden, wann genau diese Epoche zu Ende ging – also wann das gesamte intergalaktische Gas ionisiert war. Dazu mussten wir sehr weit in die Vergangenheit schauen. Das ist möglich, indem man sich sehr weit entfernte Objekte anschaut. Denn bis das Licht von solchen Himmelskörpern die Erde erreicht, vergeht viel Zeit – wir blicken also weit in die Vergangenheit. Verglichen mit der Größe des Universums bewegt sich Licht nämlich sehr langsam!
Welche Objekte haben Sie in den Blick genommen?
Aufgrund der großen Entfernung brauchten wir sehr helle Objekte. Die hellsten Objekte im Universum sind Quasare, also aktive Galaxienkerne. Diese supermassereichen Schwarzen Löcher sind von einer schnell rotierenden Wolke aus Gas und Staub umgeben, in der sich die Materie aufheizt und dadurch hell strahlt. Das macht es relativ einfach, Quasare zu entdecken und zu untersuchen, selbst aus den frühesten Zeiten des Universums.
Wie haben Sie die Quasare aufgespürt?
Wir haben 67 Quasare in großer Entfernung mit dem Very Large Telescope in Chile beobachtet, einem der größten Teleskope der Welt. Wir hatten im Rahmen unserer XQR-30-Kollaboration insgesamt etwa 250 Stunden Beobachtungszeit, währenddessen wir detaillierte Spektren der Quasare aufgenommen haben. Wir haben also untersucht, aus welchen Wellenlängen sich das Licht zusammensetzt, das von den Quasaren auf der Erde ankommt. Das gibt uns einen sehr detaillierten Eindruck von all den Dingen, die sich zwischen uns und den Quasaren befinden.
Was lässt sich mithilfe der Spektren über die Reionisierungsphase herausfinden?
Die formale Definition des Endes der kosmischen Dämmerung ist, dass es kein neutrales Gas mehr in der Leere des Raums gibt. Um diesen Zeitpunkt zu bestimmen, haben wir also untersucht, wo wir neutrales Gas finden und wo nicht mehr. Dazu haben wir in den Spektren der Quasare nach den Absorptionslinien von Wasserstoff geschaut, denn nach der Reioniserungsphase gab es auch keine Wasserstoffwolken mehr im Universum. Normalerweise liegt die Absorptionslinie bei einer Wellenlänge von 121,6 Nanometern – also im UV-Bereich. Weil sich das Universum aber ausdehnt und die Quasare sich somit von uns wegbewegen, verschiebt sich diese Linie zu längeren Wellenlängen hin. Diese Rotverschiebung wird stärker, je länger das Licht unterwegs war. Man kann also aus den unterschiedlichen Rotverschiebungen eine zeitliche Abfolge ableiten. Allerdings reicht es nicht aus, nur einen Quasar zu betrachten – dann weiß man nur, wann sein Licht zum letzten Mal eine Wasserstoffwolke durchquert hat. Das Ende der kosmischen Dämmerung ergibt sich aber erst aus dem Vergleich von verschiedenen Spektren. Nur so lässt sich ein Zeitpunkt festmachen, ab dem sich die Wasserstoffabsorptionen nicht mehr unterscheiden. Diesen konnten wir mithilfe von physikalischen Modellen bestätigen und so genau bestimmen, wann das Gas komplett ionisiert war.
Was war das Ergebnis der Analyse?
Die Epoche der ersten Sterne und der ersten Galaxien endete vor 1,1 Milliarden Jahren. Das war vorher nicht klar gewesen. Wir haben also eine wichtige Markierung in der Geschichte des Universums gesetzt. Das liefert nun eine wichtige Randbedingung für alle Modelle des frühen Universums. Ich hoffe, dass unser Messergebnis damit ein wichtiger Ankerpunkt für die kosmologischen Modelle zur Entstehung der Sterne und Galaxien wird.
Was möchten Sie als nächstes untersuchen?
Ich denke, die Frage nach dem Ende der kosmischen Dämmerung ist vorerst geklärt – vor allem weil das nächste Instrument, das noch genauere Ergebnisse liefern könnte, in weiter Ferne liegt. Die einzige Möglichkeit, unsere Messungen zu verbessern, besteht nämlich darin, auf das Extremely Large Telescope zu warten. Und das wird erst in einigen Jahren in Betrieb gehen. Wissenschaftlich interessieren mich noch frühere Zeiten in der Geschichte des Universums. Als nächstes möchte ich mir anschauen, wie der Prozess der Reionisierung im Detail abgelaufen ist. Dazu müssen wir Quasare finden, die noch weiter entfernt sind – das wird also herausfordernd.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/ein-ankerpunkt-fuer-kosmologische-modelle/