Wenn sich Galaxien zu nahe kommen
Dirk H. Lorenzen
Galaxien begegnen sich häufig und beeinflussen sich dabei mehr oder weniger stark. Tatsächlich gibt es kaum eine große Galaxie, die nicht noch Spuren vom Verschmelzen mit anderen Galaxien zeigt.
Die relative Nähe der Galaxien zueinander ist von enormer Bedeutung. Enge Begegnungen, kleine Zusammenstöße und richtige Kollisionen sind an der Tagesordnung – sofern man bei Vorgängen, die zig Millionen Jahre dauern, von Tagesordnung sprechen kann. Besonders fotogen ist die Begegnung der gewaltigen Balkenspirale NGC 6872 mit ihrer kleinen Begleitgalaxie IC 4970, die „soeben“ durch den linken oberen Spiralarm der Hauptgalaxie gelaufen ist.
Der zerzauste Spiralarm weist viele „blaue Flecken“ auf – meist handelt es sich dabei um Sternentstehungsgebiete. Die Begleitgalaxie hat mit ihrer Schwerkraft bei der Passage viele der Gas- und Staubwolken in NGC 6872 kollabieren lassen – als Folge der Kollision kommt es dort nun zu äußerst aktiver Sternentstehung. Dieses System ist relativ weit entfernt – fast 300 Millionen Lichtjahre. Die lang gezogenen Spiralarme erstrecken sich über 750.000 Lichtjahre und machen NGC 6872 damit zu einer der größten bekannten Balkenspiralgalaxien.
Das gegenseitige Stören oder sogar das Verschmelzen von Galaxien führt fast immer zu einem wahren Boom von Sternentstehung. Fusionen sind zumindest im Kosmos sehr produktiv. Ohnehin ist der Begriff „Kollision“ bei Galaxien unpassend, denn die Sterne in den Galaxien sind äußerst dünn verteilt. Echte Zusammenstöße von Sternen kommen so gut wie nie vor. Bei einer Kollision von Galaxien knallen die Sterne also nicht wie Billardkugeln durcheinander. Vielmehr verschmelzen die Galaxien und lenken mit ihrer gemeinsamen Schwerkraft alle Objekte auf neue Bahnen. Das alles geschieht zudem wie in Superzeitlupe.
Besonders dramatisch ist die Rolle von mehrfachen Galaxienkollisionen bei den sogenannten Ultraleuchtkräftigen Infrarotgalaxien. Diese Objekte sind im sichtbaren Licht recht unscheinbar, gehören aber im Bereich der Infrarotstrahlung zu den hellsten Himmelsobjekten. Mittlerweile hat auch das Hubble-Weltraumteleskop mit seiner Infrarotkamera etliche solcher Galaxien unter die Lupe genommen. Bei erstaunlich vielen zeigten sich Spuren vom Verschmelzen von drei oder mehr Galaxien.
Dabei vermischen sich die Gasmassen der Galaxien – durch die Schockwellen kommt es zum Kollaps von Gaswolken und zur fast explosionsartigen Entstehung neuer Sterne (die Forscher sprechen von „starburst“). Da diese Prozesse hinter dichten Staubwolken ablaufen, bleiben sie „gewöhnlichen“ Teleskopen verborgen. Erst der Infrarotblick zeigt den von vielen jungen Sternen aufgeheizten Staub.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/galaxien-und-galaxienhaufen/kosmische-kollisionen/