Gravitationswellen
Rainer Kayser und Redaktion
Sie bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit durch den Kosmos, stauchen und strecken dabei den durchquerten Raum – Gravitationswellen. Die Suche nach ihnen blieb viele Jahrzehnte erfolglos, bis im Herbst 2015 schließlich der erste direkte Nachweis gelang. Damit öffnete sich ein völlig neuer Zugang zum Universum.
Die Geschichte der Gravitationswellen beginnt bereits in den 1890er-Jahren. Damals spekulierte Oliver Heaviside darüber, dass sich nicht nur elektromagnetische Felder in Form von Wellen ausbreiten, sondern auch die Schwerkraft. Denn die Kraft zwischen zwei Massen und die Kraft zwischen zwei elektrischen Ladungen verhalten sich analog, wenn sich der Abstand der beiden Massen beziehungsweise Ladungen ändert. Mathematisch lassen sich die beiden Grundkräfte daher sehr ähnlich beschreiben. Aufgrund dieser Parallelen folgerte der Physiker, dass neben elektromagnetischen Wellen womöglich auch Gravitationswellen existieren.
Der nächste entscheidende Schritt auf diesem Gebiet gelang Henri Poincaré im Jahr 1905. Grundlage seiner Arbeit bildete ein zentrales Postulat der zeitgleich von Albert Einstein veröffentlichten Speziellen Relativitätstheorie. Demnach kann sich nichts schneller als das Licht fortbewegen – auch nicht die Schwerkraft beziehungsweise Änderungen in einem Gravitationsfeld. Poincaré schlug vor, dass Gravitationswellen von beschleunigten Massen ausgehen und sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Wie auch bei Heaviside dienten ihm elektrische Ladungen als Vorlage: Werden diese beschleunigt, senden sie elektromagnetische Wellen aus.
Raum und Zeit
Die von Albert Einstein im Jahr 1915 veröffentlichte Allgemeine Relativitätstheorie legte schließlich ein solides Fundament zur Vorhersage von Gravitationswellen. Anders als zuvor betrachtet Einstein die Gravitation nicht als eine Kraft, sondern als eine geometrische Eigenschaft des Raumes oder genauer der Raumzeit, die sich aus den drei Raumrichtungen und der Zeit als vierter Dimension zusammensetzt. Jede Masse verformt demnach die Raumzeit und beeinflusst dadurch die Bahnen anderer Körper. In seiner ursprünglichen Abhandlung machte Einstein jedoch keine Aussagen über Gravitationswellen.
In späteren Arbeiten und im Austausch mit anderen Fachleuten setzte sich Einstein dann zwar immer wieder mit dem Thema auseinander, doch blieb er Zeit seines Lebens skeptisch. Die durch Gravitationswellen hervorgerufenen Effekte – winzige Verzerrungen der Raumzeit – seien vermutlich viel zu klein, um sie jemals nachweisen zu können. Tatsächlich zweifelte er sogar daran, dass es Gravitationswellen überhaupt gäbe. Andere theoretische Physikerinnen und Physiker waren zuversichtlicher und suchten weiterhin nach Wegen, die Existenz von Gravitationswellen im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie mathematisch zu beweisen. Ende der 1950er-Jahre hatten sie damit Erfolg. Einstein war da bereits verstorben.
Nachdem das Phänomen mit mathematischen Mitteln dingfest gemacht worden war, begannen auch erste experimentelle Versuche. Zunächst kamen dafür große Metallzylinder zum Einsatz, die – so die Idee – durch Gravitationswellen in Schwingungen versetzt werden. Ein Nachweis gelang mit dieser Methode jedoch nicht. Der erste stichhaltige Beleg für das Phänomen kam stattdessen von zwei Radioastronomen.
Nachweis von Gravitationswellen
Russell Alan Hulse und Joseph Taylor entdeckten 1974 zwei sich umkreisende Neutronensterne. Die beiden Überreste von einst massereichen Sternen nähern sich auf ihren Bahnen langsam einander an, wodurch das Doppelsystem kontinuierlich Energie verliert. Der von den beiden Forschern ermittelte Energieverlust stimmte genau mit jener Energie überein, die ein solches System gemäß der Relativitätstheorie in Form von Gravitationswellen abstrahlen müsste. Für die Entdeckung und die Interpretation des Doppelsystems erhielten Hulse und Taylor im Jahr 1993 den Physiknobelpreis.
Der erste direkte Nachweis von Gravitationswellen gelang erst Jahrzehnte später – am 14. September 2015. An diesem Tag empfingen die beiden Advanced-LIGO-Detektoren in den USA ein verdächtiges Signal aus den Weiten des Weltalls. Wie sich wenig später herausstellte, stammte es aus einem rund 1,3 Milliarden Lichtjahre von uns entfernten Doppelsystem. Darin umkreisten sich zwei Schwarze Löcher mit 29 beziehungsweise 36 Sonnenmassen auf immer enger werdenden Umlaufbahnen und verschmolzen schließlich zu einem noch massereicheren Schwarzen Loch. Bei diesem Ereignis setzte das System starke Gravitationswellen frei, die sich seither mit Lichtgeschwindigkeit durch den Kosmos bewegen und auf ihrer Reise auch die LIGO-Detektoren auf der Erde durchquerten.
Die beiden Anlagen bestehen aus zwei senkrecht zueinander verlaufenden Armen, durch die jeweils ein Laserstrahl läuft. Spiegel am Ende der beiden Röhren werfen das Licht wieder zurück, um die beiden Strahlen schließlich zu überlagern. Eine vorbeiziehende Gravitationswelle streckt einen Arm, während sie den anderen staucht. Dadurch verlängern beziehungsweise verkürzen sich die von den Laserstrahlen durchquerten Strecken – und die beiden Lichtwellen schwingen nicht mehr im Takt, was ein charakteristisches Signal erzeugt.
„Für ihre entscheidenden Beiträge zum LIGO-Detektor und die Beobachtung von Gravitationswellen“ erhielten Kip Thorne, Rainer Weiss und Barry Barish im Jahr 2017 den Nobelpreis für Physik. Heute gibt es mehrere Gravitationswellendetektoren, die nach demselben Prinzip arbeiten wie LIGO. Mit Armlängen von vier Kilometern bleibt LIGO allerdings das bislang größte sogenannte Laserinterferometer. Die Anlagen von Advanced Virgo in Italien und KAGRA in Japan besitzen Armlängen von jeweils drei Kilometern. Am 24. Mai 2023 startete die LIGO-Virgo-KAGRA-Kollaboration ihren vierten gemeinsamen Beobachtungslauf – mit nochmals verbesserten Instrumenten. Daran beteiligt ist auch ein Gravitationswellendetektor in Deutschland: GEO600 in der Nähe von Hannover hat eine Basislänge von 600 Metern.
Künftig würden Forscherinnen und Forscher auch gerne direkt im Weltraum nach Gravitationswellen suchen. Dafür planen sie derzeit die Mission „Laser Interferometer-Space Antenna“ oder kurz LISA: Drei Satelliten sollen im All ein gleichseitiges Dreieck aufspannen und Laserstrahlen zwischen sich hin- und herschicken. Auf diese Weise lässt sich ein Laserinterferometer mit einer Armlänge von rund 2,5 Millionen Kilometern realisieren. Das entspricht etwa der sechseinhalbfachen Strecke zwischen Mond und Erde. Durch die enorme Armlänge ließen sich sehr viel längere Wellenlängen beziehungsweise niedrigere Frequenzen messen. Das würde beispielsweise Einblicke in Doppelsysteme aus Neutronensternen oder sogar Schwarzen Löchern ermöglichen, schon Jahre bevor diese miteinander verschmelzen. Der Start ist momentan für 2037 vorgesehen.
Stand der Forschung
Die bereits aktiven Gravitationswellendetektoren auf der Erde haben inzwischen fast hundert verschiedene Ereignisse registriert. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Zusammenstöße von zwei Schwarzen Löchern, aber auch Kollisionen von Schwarzen Löchern mit Neutronensternen oder von zwei Neutronensternen ließen sich bereits beobachten. Ein Beispiel ist das Signal vom 17. August 2017, ausgelöst durch das Verschmelzen von zwei Neutronensternen in der 130 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie NGC 4993. Dieses Ereignis war auch aus einem weiteren Grund bemerkenswert: Erstmals ließen sich von einer Quelle zeitgleich Gravitationswellen und elektromagnetische Strahlung empfangen. Die aufgezeichneten Daten liefern ein detailliertes Bild des Geschehens – von drei Minuten vor der Verschmelzung bis zu mehreren Wochen danach.
Auch wenn sich die bisher aufgespürten Ereignisse unterscheiden, ähneln sich die Wellenlängen beziehungsweise Frequenzen der bisher empfangenen Gravitationswellensignale. Kein Wunder – schließlich sind die bisherigen Detektoren für einen bestimmten Frequenzbereich, von wenigen Hertz bis zu einigen Kilohertz, ausgelegt. Künftige Weltraumdetektoren könnten in deutlich niedrigere Frequenzbereiche vorstoßen. LISA wäre etwa für Gravitationswellen bis hinab zu einem Zehntel Millihertz empfindlich. Einen Zugang zu noch tieferen Frequenzen bietet eine Methode namens „Pulsar Timing Arrays“.
Pulsare sind Neutronensterne, also ultradichte Sternenüberreste, die stark gebündelte Radiostrahlen aussenden. Durch die schnelle Rotation der Sterne streifen diese Strahlen, ähnlich wie bei einem Leuchtturm, durchs All. Liegt die Erde zufällig im Weg, registrieren Astronominnen und Astronomen regelmäßig kurze Radiopulse. Besonders interessant sind Pulsare, deren Rotationsdauer im Millisekundenbereich liegt. Denn die Pulse dieser Objekte treffen in einem so regelmäßigen Takt auf die Erde, dass selbst einige Atomuhren in puncto Ganggenauigkeit nicht mithalten können.
Dennoch erreichen die Pulse unseren Planeten manchmal minimal zu früh oder zu spät. Als Ursache kommen verschiedene Effekte infrage – darunter auch Gravitationswellen, die den Raum zwischen Pulsar und Erde verzerren und die Laufzeit der Radiowellen so beeinflussen. Mehrere internationale Projekte überwachen deshalb das Ticken der kosmischen Uhren und suchen gezielt nach Unregelmäßigkeiten. Ob tatsächlich eine extrem niederfrequente Gravitationswelle hinter einem Fund steckt, prüfen die Teams, indem sie Messdaten von zahlreichen Pulsaren an verschiedenen Himmelspositionen abgleichen.
Im Juni 2023 veröffentlichten gleich fünf Gruppen unabhängig voneinander Beobachtungen, die auf die gesuchten Gravitationswellen im Nanohertzbereich hindeuten – die Wellenlängen liegen hier im Bereich von Lichtjahren. Mögliche Quellen sind beispielsweise die Zentren ferner Galaxien, in denen sich zwei supermassereiche Schwarze Löcher auf engen Bahnen umkreisen. Noch allerdings ist ein wenig Vorsicht geboten. Denn in der Physik wird erst von einer Entdeckung gesprochen, wenn das Ergebnis eines Experiments mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als eins zu einer Million zufällig auftritt.
Die von den internationalen Kollaborationen vorgelegten Daten erfüllen dieses Kriterium noch nicht: Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Befunde zufälliger Natur sind, liegt noch zwischen 1 zu 300 und 1 zu 10 000. In den kommenden Jahren wollen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Datensätze erweitern und sind optimistisch, den „Goldstandard“ schließlich zu erreichen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/gravitationswellen/