„Die Apparaturen sind absolute Hochpräzisionsoptiken“
Dirk Eidemüller
In etwas über zehn Jahren wird ein neuer Detektor nach Gravitationswellen suchen – und das erstmals im Weltall. Dafür besteht LISA, kurz für „Laser Interferometer-Space Antenna“, aus drei Satelliten, die in einem Abstand von 2,5 Millionen Kilometern durch den Weltraum schweben werden und so ein gleichseitiges Dreieck aufspannen. Um Gravitationswellen mit diesem Interferometer aufzuspüren, werden mithilfe von Laserstrahlen die Abstände zwischen den Satelliten miteinander verglichen. Denn wenn Gravitationswellen das Interferometer durchlaufen, verändern sich die Abstände minimal zueinander. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Jens Reiche vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover, wie LISA funktioniert und welche Quellen von Gravitationswellen sich damit möglicherweise aufspüren lassen.
Welt der Physik: Was möchten Astronominnen und Astronomen zukünftig mit LISA untersuchen?
Jens Reiche: Wir wollen mit LISA niederfrequente Gravitationswellen im Bereich von 0,1 Millihertz und 1 Hertz nachweisen. Es ist ja vor ein paar Jahren überhaupt erstmals geglückt, Gravitationswellen nachzuweisen. Diese Erschütterungen der Raumzeit werden ausgesendet, wenn große Massen stark beschleunigt werden. Beispiele hierfür sind Supernovae, zwei umeinanderkreisende, extrem massereiche Schwarze Löcher oder verschmelzende Schwarze Löcher. Auch wenn bei solchen astronomischen Ereignissen riesige Kräfte wirken, sind die Veränderungen, also die Kräuselungen der Raumzeit, aufgrund der Steifigkeit des Raums sehr klein.
Wie lassen sich die Gravitationswellen denn überhaupt nachweisen?
Wir messen letztendlich die winzigen Abstandsänderungen, die durch die Kräuselungen der Raumzeit hervorgerufenen werden. Die Größenordnung der Längenänderung im Vergleich zum eigentlichen Abstand liegt bei einem Tausendstel Milliardstel Milliardstel. Damit entspricht der messbare Effekt bei den typischen Entfernungen von vielen Millionen bis einigen Milliarden Lichtjahren zum Ursprung der Gravitationswellen in einem Observatorium auf der Erde kaum einem Tausendstel des Durchmessers eines Protons. Erdgebundene Gravitationswellenobservatorien wie LIGO, Virgo und KAGRA können das aber in der Tat messen.
Wozu braucht man dann ein Observatorium im Weltraum?
Die Detektoren auf der Erde sind in ihrer Länge begrenzt. Heute untersucht man Gravitationswellen typischerweise mit einigen Kilometer langen Laserinterferometern. Mit diesen Apparaten lassen sich die Abstandsänderungen extrem genau bestimmen, sodass man eine hindurchlaufende Gravitationswelle als winzige, periodische Ab- und Zunahme der Strecke erkennen kann. Mit diesen Laserinterferometern kann man aber nur in einem bestimmten Frequenzbereich – rund 10 Hertz bis einige Kilohertz – nachweisen. Möchte man aber niedrigere Frequenzen messen, ist das ein bisschen wie in der Funktechnik: Für niedrige Frequenzen und damit hohe Wellenlängen braucht man entsprechend große Antennen. Bei uns ist das ebenso. Darüber hinaus können niedrige Frequenzen auf der Erde nicht gemessen werden, weil die Störungen durch Gebäudeschwingungen, Verkehr etc. in diesem Bereich viel zu groß sind. Zudem stören seismische Schwingungen auf der Erde und erlauben uns nicht, bei tieferen Frequenzen zu messen.
Wie funktioniert LISA?
Es handelt sich um ein Satellitentrio, das in einiger Entfernung von der Erde um die Sonne kreisen soll. Die drei Satelliten bilden ein gleichseitiges Dreieck mit rund 2,5 Millionen Kilometer Kantenlänge. Das ist rund das 6,5-fache der Distanz zwischen Erde und Mond. Jeder Satellit hat nun ein besonderes Lasersystem an Bord, ein sogenanntes Laserinterferometer, mit dem es kontinuierlich Laserstrahlen zu den anderen beiden Satelliten sendet. An der Entwicklung dieses Lasersystems waren auch mein Team und ich beteiligt. Damit lassen sich die Abstände zwischen den Satelliten und ihre Änderungen extrem präzise messen. Jeder Satellit hat außerdem zwei Testmassen an Bord.
Welche Funktion erfüllen die Testmassen?
Durch den Vergleich der Laser-Entfernungsmessung zwischen den Satelliten mit der Position der Testmassen können wir dann die Fluktuationen bestimmen, die von Gravitationswellen hervorgerufen werden. Die Testmasse muss sich dabei im freien Fall befinden. Die Position dieser Massen wird ständig vermessen und jeder Satellit mit speziellen Triebwerken so gesteuert, dass diese Testmassen kontaktfrei in ihrem Gehäuse schweben und dadurch als perfekte Referenz dienen. Und sie müssen von diversen äußeren Einflüssen abgeschirmt werden – wie etwa dem Sonnenwind oder elektromagnetischen Feldern. Denn die Satelliten selbst unterliegen äußeren Kräften wie dem Sonnenwind, was die Messungen erschwert. Mit LISA können wir dann Gravitationswellen messen, die deutlich langsamer schwingen als einmal pro Sekunde.
Durch welche Quellen entstehen solche langsamen Gravitationswellen?
Zu den Quellen von Gravitationswellen mit niedrigen Frequenzen zählen langsame Prozesse von massereichen Körpern – insbesondere Doppelsysteme aus schweren Sternen, Neutronensternen oder sogar Schwarzen Löchern. LISA könnte solche Systeme schon Jahre vor ihrem tatsächlichen Verschmelzen nachweisen, wenn sie sich nämlich noch langsamer umrunden. Irdische Observatorien „sehen“ das erst Augenblicke nach dem Verschmelzen, weil erst bei den letzten Umrundungen die Umlauffrequenz hoch genug wird, damit sie von den Interferometern detektiert werden können. Spannend wäre es natürlich auch, unerwartete Quellenarten zu entdecken oder sogar Quellen aus Dunkler Materie.
Welche besonderen Schwierigkeiten bringt eine solche Weltraummission mit sich?
Die Apparaturen sind absolute Hochpräzisionsoptiken. Es ist schon eine große Leistung, sie im Labor aufzubauen. Wenn man so etwas in einem Satelliten einsetzen will, muss man nicht nur berücksichtigen, dass im Weltall extreme Temperaturbelastungen herrschen. Auch der Raketenstart mitsamt der heftigen Vibrationen ist einem Präzisionsexperiment nicht unbedingt zuträglich. Deshalb durchläuft LISA ein aufwendiges, mehrstufiges Qualifikationsverfahren, bei dem alle Komponenten von Grund auf für diese Bedingungen entwickelt und getestet werden. Der Technologiedemonstrator LISA Pathfinder hat vor ein paar Jahren die neuen Technologien schon im All erprobt und sehr gute Ergebnisse geliefert. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass auch LISA ein Erfolg werden wird.
Lassen sich solche Laserinterferometer auch anderweitig einsetzen?
In Zukunft werden sie eine wichtige Rolle bei der Erdbeobachtung spielen. Schon heute umkreist das Satellitenduo „Grace Follow-On“ die Erde. Diese beiden Satelliten fliegen kurz hintereinander über die Erde. Je nachdem, wie hoch die irdische Schwerkraft an bestimmten Stellen ist, wird erst der eine und dann der andere etwas stärker oder schwächer auf seiner Bahn beschleunigt, hierdurch ändern sich die Abstände zwischen beiden Satelliten. Damit lassen sich „Gravitationskarten“ der Erde erstellen, anhand derer man etwa das Abschmelzen der Gletscher in Grönland durch den resultierenden Masseverlust, veränderte Niederschlagsmuster und viele andere wichtige Parameter ablesen kann. Als Hauptinstrument nutzt Grace Follow-On derzeit noch Mikrowellenstrahlung, hat aber zu Testzwecken auch ein Laserinterferometer an Bord. Nun hat sich gezeigt, dass letzteres sehr viel bessere Daten liefert als der Mikrowellen-Abstandsmesser. Die Nachfolgemission von Grace Follow-On wird deshalb ein Laserinterferometer als Hauptinstrument nutzen. Das wird die Genauigkeit der Messungen deutlich erhöhen und damit Karten liefern, die von großem Wert für die Hydrologie und die Klimaforschung sein werden. Das ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich die Technologieentwicklung aus der reinen Grundlagenforschung – hier die Laserinterferometer für die Gravitationswellenbeobachtung – auch in gesellschaftlich relevante Anwendungen überführen lässt.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/gravitationswellen/die-apparaturen-sind-absolute-hochpraezisionsoptiken/