„Die Verschmelzung zweier Neutronensterne ist besonders spektakulär“

Dirk Eidemüller

Zwei dunkle Kreise, die sich annähern, umgeben von spiralförmigen Strukturen

N. Fischer/H. Pfeiffer/A. Buonanno/Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik/Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration

Der Nachweis von Gravitationswellen vor einigen Jahren öffnete ein neues Fenster in den Kosmos. Im kürzlich vorgestellten Gravitationswellenkatalog der Observatorien LIGO und Virgo sind nun bereits fünfzig Signale von verschmelzenden Schwarzen Löchern und Neutronensternen verzeichnet. Wir sprachen mit Frank Ohme vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover darüber, welche neuen wissenschaftlichen Entwicklungen sich dabei abzeichnen.

Welt der Physik: Wie oft haben die Detektoren schon Gravitationswellen beobachtet?

Frank Ohme: Insgesamt haben wir in den letzten Jahren fünfzig Gravitationswellenereignisse gesehen. Die große Mehrzahl davon – insgesamt 46 Ereignisse – waren verschmelzende Schwarze Löcher. Das muss nicht heißen, dass andere Ereignisse, wie etwa Verschmelzungen von Neutronensternen, wesentlich seltener sind. Wir registrieren Schwarze Löcher einfach besser, weil sie die schwersten kompakten Objekte sind und deshalb besonders starke Gravitationswellen abstrahlen.

Porträt des Wissenschaftlers Frank Ohme

Frank Ohme

Welche anderen Arten von Ereignissen wurden außerdem beobachtet?

Wir konnten auch schon zwei verschmelzende Neutronensterne beobachten sowie zwei Ereignisse, bei denen vielleicht unterschiedliche Partner beteiligt waren – womöglich jeweils ein Schwarzes Loch und ein Neutronenstern. Die Verschmelzung zweier Neutronensterne ist besonders spektakulär, weil dabei viel heißes Material in die Umgebung ausgestoßen wird, das auch für andere Teleskope sichtbar ist. Eine solche Kollision löste im August 2017 die bislang größte astronomische Suchkampagne aus, die zahlreiche wichtige Erkenntnisse brachte. Um mehr solcher Ereignisse zu beobachten, arbeiten wir deshalb kontinuierlich an einer Verbesserung sowohl des theoretischen Verständnisses als auch der Instrumente. Dazu gehört natürlich auch etwas Glück, denn ein solcher Nachweis fällt leichter, wenn er in unserer kosmischen Nachbarschaft stattfindet.

Sind die Massen der Kollisionspartner jeweils ähnlich?

Nicht in allen Fällen. Wir haben beispielsweise eine besonders aufregende Verschmelzung beobachtet, bei der einer der beiden Partner – ein Schwarzes Loch – deutlich schwerer war als der andere – ein Neutronenstern. Das ist zunächst einmal unerwartet. Denn sowohl Neutronensterne als auch Schwarze Löcher gehen aus schweren Sternen hervor. Und nach bisherigem Verständnis sollten die beiden Partner in einem Doppelsternsystem, die später zu Neutronensternen oder Schwarzen Löchern werden, ungefähr ähnlich schwer sein. Wir sehen leider auch noch nicht scharf genug in den Daten, ob das Schwarze Loch den Neutronenstern bei einem solchen Ereignis durch seine enorme Gravitation „verzerrt“, kurz bevor es ihn verschlingt. In Zukunft sollte das in solchen Fällen aber sichtbar werden und könnte wertvolle Erkenntnisse über den Aufbau von Neutronensternen liefern.

Gab es auch Überraschungen bei verschmelzenden Schwarzen Löchern?

Ja, denn diese Objekte sind offenbar vielfältiger als gedacht. So konnten wir einen Verschmelzungsprozess von einem Schwarzen Loch mit rund achtzig Sonnenmassen mit einem anderen, nur etwas leichteren Objekt beobachten. Solche schweren Schwarzen Löcher entstehen nach heutigem Wissensstand nicht beim Kollaps eines Sterns. Denn Sterne mit Massen, die dafür nötig wären, explodieren eigentlich ohne ein Schwarzes Loch zu hinterlassen. Vermutlich sind derartige Schwarze Löcher also bereits das Ergebnis früherer Verschmelzungsprozesse.

Wie wahrscheinlich ist das?

Dass nun gleich zwei solche Schwergewichte kollidieren, ist sehr ungewöhnlich und deutet darauf hin, dass diese Verschmelzung in einem Gebiet mit außergewöhnlich hoher Sterndichte stattgefunden haben dürfte – vermutlich in einem dicht gepackten Kugelsternhaufen. Offensichtlich gibt es mehr verschiedene Klassen von Binärsystemen, als wir bisher dachten. Allerdings ist bis jetzt erst die erste Hälfte der Daten aus dem letzten Beobachtungslauf fertig ausgewertet. Vielleicht finden sich also noch mehr Überraschungen.

 

Grafik: Eine Skala am linken Bildrand reicht von unten nach oben von 0 bis 160; im oberen Bereich sind blaue, miteinander verbundene Punkte zu sehen; darunter violette, darunter gelbe

Die bisher von LIGO und Virgo entdeckten Verschmelzungen kompakter Objekte

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/gravitationswellen/die-verschmelzung-zweier-neutronensterne-ist-besonders-spektakulaer/