„Wir suchen das Rauschen im Rauschen“
Jan Hattenbach

NASA's Goddard Space Flight Center/Scott Noble; simulation data, d'Ascoli et al. 2018
Frau Grunthal, auch Sie suchen nach dem sogenannten „kosmischen Summen“, einem Hintergrundrauschen aus Gravitationswellen. Um was handelt es sich dabei und wo kommt es her?
Kathrin Grunthal: Ein solches Hintergrundrauschen wird seit Langem erwartet. Gravitationswellen entstehen, wenn kompakte Objekte, Schwarze Löcher etwa, miteinander verschmelzen. LIGO und Virgo, Gravitationswellendetektoren in den USA und Italien, haben inzwischen Dutzende solcher Ereignisse registriert. Dabei sind die beteiligten Schwarzen Löcher relativ leicht, sie enthalten ungefähr die Masse unserer Sonne bis etwa zehn Sonnenmassen. Wir kennen aber auch Schwarze Löcher mit millionen- oder milliardenfacher Sonnenmasse – der Öffentlichkeit spätestens durch die Bilder der supermassereichen Schwarzen Löcher im Zentrum unserer Milchstraße oder der Galaxie M 87 durch das Event Horizon Telescope bekannt. Wenn Schwarze Löcher dieser Größe miteinander verschmelzen – und man geht davon aus, dass sie das als Folge der Verschmelzung ihrer Galaxien tun – sollten ebenfalls Gravitationswellen abgegeben werden. Und da es viele Milliarden Galaxien gibt, von denen viele miteinander interagieren, sollte die Summe aller dabei ausgesendeten Wellen ein Hintergrundrauschen erzeugen – so die Theorie.
Beobachtet man diesen Gravitationswellenhintergrund auch mit LIGO und Virgo?
Nein, diese Gravitationswellen haben wegen der viel größeren Massen der Schwarzen Löcher Frequenzen von Nanohertz, was Wellenlängen im Bereich von Lichtjahren entspricht. LIGO und Virgo sind für Frequenzen zwischen 1 und 100 Hertz ausgelegt, also für milliardenfach größere Frequenzen. Für Gravitationswellen mit Wellenlängen von Lichtjahren braucht man Lichtjahre große Detektoren. Diese gibt es so auf der Erde natürlich nicht. Stattdessen können wir radioastronomische Beobachtungen nutzen. Das ist auch die Idee des Pulsar-Timing-Array, das wir in unserer Forschungsgruppe nutzen.
Was sind Pulsare und wie lassen sich mit ihnen Gravitationswellen detektieren?
Pulsare sind kompakte und schnell rotierende Überreste von Sternexplosionen, die Radiostrahlung emittieren. Man kann sie sich wie Leuchttürme im Weltraum vorstellen: Jedes Mal, wenn der Strahl eines Pulsars auf ein Radioteleskop auf der Erde trifft, leuchtet er im Radioteleskop hell auf. Bei Millisekundenpulsaren – die wir nutzen – passiert das mehrere 1000-mal pro Sekunde. Gleichzeitig sind ihre Rotationsfrequenzen unglaublich stabil; Pulsare sind damit so etwas wie kosmische Atomuhren. Interessant wird es, wenn die Ankunftszeiten der Pulse nicht so regelmäßig sind, wie wir das eigentlich erwarten würden. Das kann dann verschiedene physikalische Ursachen haben – etwa einen Begleiter, die Bewegung des Pulsars relativ zu uns oder weitere intrinsische Effekte. Die Ursache kann aber auch eine Gravitationswelle sein, die zwischen uns und dem Pulsar vorüberzieht. Diese Welle verzerrt die Raumzeit, sodass der Puls ein bisschen länger oder ein bisschen weniger lang braucht, um bei uns anzukommen.
Wenn Sie also eine Veränderung der Pulsarfrequenz sehen, die sich sonst nicht erklären lässt, haben Sie eine Gravitationswelle entdeckt?
Bei der Vielzahl von Effekten, die sich auf die Ankunftszeiten auswirken, hätten wir bei einem einzelnen Pulsar keine Chance zu sagen, ob es dieser oder jener Effekt war oder eine Gravitationswelle. Deswegen beobachten wir Dutzende Pulsare in der Milchstraße: Eine Gravitationswelle, die unser Pulsarnetz durchläuft, beeinflusst alle Pulsare gleichzeitig, und zwar auf eine bestimmte, korrelierte Weise. Diese Korrelation wird durch die sogenannte Hellings-und-Downs-Kurve beschrieben, welche sich aus der allgemeinen Relativitätstheorie ergibt. Wenn sich die Ankunftszeiten unserer Pulsare gemäß dieser Kurve verhalten, wissen wir, dass es eine Gravitationswelle war.
Wie lange dauert eine solche Messung?
Zehn Jahre – größenordnungsmäßig! Man darf nicht vergessen, dass die Wellenlängen der Gravitationswellen, für die wir uns interessieren, Lichtjahre betragen. Da braucht es Jahre bis Jahrzehnte, bis eine Welle durchgelaufen ist. Das ist auch der Grund weshalb unsere Methode lange im Schatten von LIGO und Virgo stand: Deren Signale sind extrem „laut“, finden in einem unglaublich kurzen Zeitraum statt und sind dann direkt sichtbar – zumindest im Vergleich mit unseren.
Bei LIGO und Virgo sieht man die Gravitationswelle dann als sogenannten „Chirp“ in den Daten, wenn zwei Schwarze Löcher miteinander verschmelzen. Wie sieht dagegen das Signal des Hintergrundsummens aus?
Sehr viel weniger deutlich! Im Grunde versuchen wir, ein Rauschen von einem anderen Rauschen zu unterscheiden. Das eine Rauschen stammt vom Gravitationswellenhintergrund. Das andere kommt einerseits von unseren Pulsaren, die wie gesagt aus verschiedenen Gründen eben nicht 100 Prozent genau rotieren, und außerdem von unseren Radioteleskopen, die Messrauschen beitragen. Wir nutzen dann eine bestimmte Methode, die sogenannte Fouriertransformation, um unser Signal in ein Frequenzspektrum zu übertragen. Anschließend durchsuchen wir es nach etwas, das der Hellings-und-Downs-Korrelation entspricht.
Die 2023 veröffentlichten Resultate von vier verschiedenen Pulsar-Timing-Array-Kollaborationen lieferten Resultate, deren Signifikanz von „schwach“ bis „überzeugend“ reichte. Was ist der Stand der Dinge heute, also knapp zwei Jahre später?
Der Stand der Dinge ist immer noch derselbe. Eine echte Entdeckung konnte bisher noch niemand verkünden. Unser eigener Datensatz, den wir in den letzten 4,5 Jahren mit dem MeerKAT-Radioteleskop in Südafrika gewonnen haben, erreicht wie die anderen Teleskope eine statistische Signifikanz von 3 bis 4 Sigma. Dabei gilt eine Signifikanz von 5 Sigma als Schwellwert für eine Entdeckung. Eine Sicherheit von 5 Sigma würde bedeuten, dass die Chance, dass sich das Signal als zufälliger Ausreißer herausstellt, nur noch 1 zu 3,3 Millionen beträgt. Der nächste Schritt wird sein, die Daten aller Pulsar-Timing-Arrays zusammen zu analysieren. Die Hoffnung ist, dass die kombinierten Datensätze zusammen die Messung über 5 Sigma heben werden. Noch ist der Gravitationswellenhintergrund nicht belegt, man kratzt aber dran.
Steht der Durchbruch also kurz bevor?
Die stille Hoffnung ist, dass es 2025 mit der Kombination der Datensätze so weit ist. Vielleicht ist das zu optimistisch. Sollten wir tatsächlich ein Signal glauben zu sehen, möchten wir natürlich 100 Prozent sicher sein, alles auf jeden möglichen Fehler abgeklopft zu haben. Aus meiner eigenen Erfahrung nach zwei Jahren Arbeit in diesem Forschungsfeld kann ich sagen, dass das schon mal ein Jahr länger dauern kann als ursprünglich geplant.
Wie sieht eigentlich Ihr Arbeitsalltag als Radioastronomin aus?
Ich sitze die meiste Zeit vor Computern und analysiere Daten. Neben Programmierarbeit gehört da auch viel Warten dazu: So eine Analyse auf unserem Rechencluster dauert zwischen einer halben und zwei Wochen. Wichtig ist es also, meine Zeit effektiv zu planen. Etwa alle zwei Monate führe ich Beobachtungen am Radioteleskop durch – auch da sitze ich dann vorm Computer, weil das Teleskop in Australien steht und von hier aus über eine Webseite gesteuert wird. Ein essentieller Bestandteil des Tagesablaufs ist auch die Kaffeemaschine, nicht nur wegen des Kaffees, sondern weil sie ein Treffpunkt für Gespräche in unserer Arbeitsgruppe ist, bei denen manchmal richtig gute Ideen entstehen.
Was hat Sie persönlich dazu motiviert, nach Gravitationswellen zu suchen?
Astronomie fand ich schon immer spannend! Als Kind war ich beim Tag der offenen Tür des DLR in Köln, später habe ich dort auch mein Schülerpraktikum gemacht. Zum Ende der Schulzeit fand ich auch Teilchenphysik sehr interessant, und da man in Bonn sowohl Astrophysik als auch Teilchenphysik studieren kann, musste ich mich nicht gleich entscheiden. Beeinflusst hat mich dann eine Vorlesung über die Allgemeine Relativitätstheorie. Deren Konzept fand ich extrem faszinierend und mathematisch unglaublich elegant. Gleichzeitig war das genau die Zeit, als LIGO die ersten Gravitationswellen entdeckt hat. Es war also die Faszination für die Theorie und die Mathematik, zusammen mit den örtlichen Gegebenheiten, die mich zu Gravitationswellen gebracht haben. Natürlich hat auch die unglaublich nette und familiäre Atmosphäre in unserer Arbeitsgruppe beigetragen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/gravitationswellen/gravitationswellen-wir-suchen-das-rauschen-im-rauschen/