„Indizien für sehr langwellige Gravitationswellen“
Dirk Eidemüller
Pulsare, also die kompakten Überreste von Sternexplosionen, senden extrem regelmäßige elektromagnetische Strahlung aus. Diese Regelmäßigkeit der Pulse lässt sich nutzen, um mithilfe von Radioteleskopen auf der Erde nach langwelligen Gravitationswellen im Weltall zu suchen. Denn die Gravitationswellen verändern die Raumzeit, und somit auch die Ankunftszeiten der ausgesendeten Pulse auf der Erde, die diese minimalen Dehnungen und Stauchungen durchlaufen. Nun gibt es erste Indizien für den Nachweis solcher langwelligen Gravitationswellen. Im Interview mit Welt der Physik berichtet Michael Kramer vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, wie dieser Gravitationswellennachweis funktioniert.
Welt der Physik: Warum eignen sich Pulsare zum Nachweis von Gravitationswellen?
Michael Kramer: Pulsare sind Neutronensterne, die besonders starke elektromagnetische Strahlung aussenden, und zwar in extrem regelmäßigen Pulsen. Und diese Pulse lassen sich auch auf der Erde mit Radioteleskopen beobachten. Wenn nun eine Gravitationswelle zwischen dem Pulsar und der Erde hindurchläuft, verändert das die Distanz zwischen uns und dem Pulsar und damit auch die Laufzeit der Pulsarsignale. Dieser Effekt ist groß genug, um messbar zu sein, wenn man die Daten von vielen Pulsaren und von mehreren Teleskopen über lange Zeit vergleicht.
Warum senden Pulsare überhaupt so regelmäßig Strahlung aus?
Neutronensterne vereinigen rund ein bis zwei Sonnenmassen in einer Kugel von nur etwas über 20 Kilometern Durchmesser. Die Materie dort ist noch dichter gepackt als in einem Atomkern. Wir interessieren uns vor allem für sehr schnell rotierende Pulsare, die sogenannten Millisekundenpulsare. Diese drehen sich in nur etwas mehr als einer Millisekunde einmal um die eigene Achse. Nach dem Gesetz der Drehimpulserhaltung ist die Rotation eines derart schweren und kompakten Körpers äußerst stabil. Deshalb sind auch die ausgesandten elektromagnetischen Pulse extrem regelmäßig, und man kann sie mit Radioteleskopen sehr genau verfolgen. Einen solchen Teleskopverbund, mit dem man mehrere Pulsare in unterschiedlichen Richtungen beobachtet, bezeichnet man auch als Pulsar Timing Array – unser Verbund heißt European Pulsar Timing Array.
Welche Art von Gravitationswellen haben Sie mit dieser Methode nun untersucht?
Mithilfe von Pulsar Timing lassen sich nur äußerst langwellige Gravitationswellen aufspüren, deren Frequenz im Bereich von mehreren Monaten bis hin zu Jahren liegt. Ihr Ursprung liegt in supermassereichen Schwarzen Löchern im Zentrum von Galaxien: Wenn zwei Galaxien miteinander verschmelzen, kommen sich auch die beiden supermassereichen Schwarzen Löcher immer näher und umkreisen sich auf enger werdenden Bahnen. Solange sie noch nicht allzu nahe umeinander kreisen und kurz davor sind zu verschmelzen, liegt ihre Umlaufzeit bei mehreren Jahren – also genau in dem Bereich, in dem man mit Pulsar Timing arbeiten kann. Das funktioniert aber nur mit den absoluten Schwergewichten unter den Schwarzen Löchern, die mehrere Milliarden Sonnenmassen aufweisen. Leichtere Schwarze Löcher erzeugen schlichtweg keine hinreichend starken Gravitationswellen, um einen messbaren Effekt hervorzurufen.
Wie sicher ist dieser Nachweis?
Man muss vorsichtig sein mit dem Begriff Nachweis. Wir haben mit einer statistischen Genauigkeit von 3 bis 4 Sigma ein Signal von langwelligen Gravitationswellen gesehen. Das zählt als wichtiges Indiz, aber noch nicht als gesicherter Nachweis. Aber wir sind zuversichtlich, alle möglichen Fehlerquellen soweit ausgeschlossen zu haben, dass wir mit weiteren Messungen eine Signifikanz von 5 Sigma erreichen werden, ab der man von einem Nachweis spricht.
Wie genau haben Sie die Pulse vermessen?
Zum Messen der Ankunftszeiten der Pulse haben wir fünf große Radioteleskop in Europa genutzt, unter anderem das Radioteleskop in Effelsberg. Aber wir haben auch Kollaborationen mit anderen Pulsar Timing Arrays in der ganzen Welt, wie etwa das Indian Pulsar Timing Array. Für die neuen Studien haben wir Beobachtungsdaten von 25 Millisekundenpulsaren aus rund 25 Jahren miteinander kombiniert. Diese 25 Pulsare liegen alle in der Milchstraße und sind aus anderen Messreihen gut bekannt. Die Schwierigkeit liegt nun darin, aus den zahlreichen Schwankungen, denen die gemessenen Signale unterliegen, den Einfluss von Gravitationswellen herauszufiltern.
Wo liegen dabei die Schwierigkeiten?
Man kann sich das ein bisschen vorstellen wie bei einer Ballmaschine, die beim Tennistraining ganz regelmäßig einen Ball herausschießt. Die Gravitationswelle sorgt dafür, dass die Ballmaschine hin und her bewegt wird, so dass die Bälle mit unterschiedlichen Verzögerungen auf der anderen Seite ankommen. Wäre das der einzige Effekt, so ließe sich das einfach messen. Aber zusätzlich gibt es noch Windböen und andere Dinge, die das Resultat beeinflussen. Bei uns sind das etwa galaktische Gaswolken, die zwischen uns und dem Pulsar liegen. Auch die Bewegung der Erde um die Sonne spielt eine wichtige Rolle. Dazu kommt die Gravitation der anderen großen Planeten in unserem Sonnensystem, die ebenfalls im Jahresrhythmus periodische Signale erzeugt und dadurch Gravitationswellen vortäuscht. Wir müssen all diese Einflüsse einkalkulieren, um schließlich in den Daten Hinweise auf langwellige Gravitationswellen zu finden – was uns nun gelungen ist.
Können Sie schon Aussagen zu möglichen Ursprungsorten der Gravitationswellen machen?
Das lässt sich im Augenblick noch nicht klar sagen. Wir vermuten, dass viele solcher Gravitationswellen aus der Frühzeit des Universums stammen, weil damals zahlreiche Galaxien miteinander verschmolzen sind. Dementsprechend sollten damals auch viele langwellige Gravitationswellen entstanden sein. Es könnte aber auch sein, dass unser Signal von exotischen Prozessen stammt. Einige Theoretiker haben spekuliert, es könnte von vibrierenden kosmischen Strings stammen. Eine etwas gewöhnlichere Quelle wären aber zum Beispiel zwei supermassereiche Schwarze Löcher in unserer kosmischen Nachbarschaft, und zwar im Virgo-Superhaufen. Dort gibt es viele Galaxien, die gerade miteinander verschmelzen. Ich bin jedenfalls hochgespannt, wie sich die Messungen mit den Pulsar Timing Arrays weltweit weiterentwickeln werden. Denn die ersten Messungen dazu habe ich schon als Doktorand durchgeführt.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/gravitationswellen/radioastronomie-indizien-fuer-sehr-langwellige-gravitationswellen/