Wie entstehen Gravitationswellen?
Nora Kusche
Vor fast hundert Jahren postuliert, wurden sie über fünzig Jahren gesucht: Gravitationswellen sind eine Vorhersage aus Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Sie versprechen neue Erkenntnisse über Struktur und Ursprung des Universums. Während Theoretiker den Wellen durch Simulation und Modellierung auf die Spur kommen, durchforsten Experimentalphysiker und Analysten die Daten spezieller Detektoren nach ihren Signalen.
Gravitationswellen sind anders als alle uns bekannten Wellen, wie etwa Licht- oder Schallwellen. „Gravitationswellen gehen durch Sterne einfach hindurch und können sich auch im Vakuum fortpflanzen. Diese Wellen sind eine Verzerrung der Geometrie des Raums selbst“, sagt Roland Haas vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam.
Gravitationswellen folgen aus Allgemeiner Relativitätstheorie
Albert Einstein hat diese sogenannten Gravitationswellen postuliert, ein Jahr nachdem er 1915 die Allgemeine Relativitätstheorie entwickelt hatte. Die Wellen ergeben sich als direkte Folge der Feldgleichungen von Einsteins Theorie und wurden zu Beginn häufig für ein mathematisches Artefakt gehalten – bis sie 2015 erstmals direkt gemessen werden konnten. „Inzwischen zweifelt eigentlich kein ernstzunehmender Wissenschaftler daran, dass es sie gibt“, so Karsten Danzmann, der am gleichen Institut forscht wie Haas, allerdings am Standort in Hannover.
Während Gravitationswellen sich durch das Universum bewegen, stauchen und strecken sie die vierdimensionale Raumzeit – diese Struktur besteht aus den drei Raumrichtungen und der Zeit als vierter Dimension. Die revolutionäre Idee von Einstein: Gravitation ist nicht wie bei Newton eine Kraft, sondern eine geometrische Eigenschaft dieser Raumzeit. Jede Masse darin krümmt oder verformt sie und ändert so die Bahnen anderer Körper oder Teilchen.
Ein vierdimensionaler gekrümmter Raum ist notwendig für die Relativitätstheorie, vorstellbar ist er nicht. Veranschaulichen lässt sich das Verhalten der Raumzeit, indem man sie um zwei Dimensionen reduziert: In einer Gitterstruktur verursachen unterschiedlich schwere Bälle durch ihre Masse unterschiedlich tiefe Dellen – analog zur Krümmung der Raumzeit.
Beschleunigte Massen erzeugen Verzerrungen der Raumzeit
Wenn Massen sich beschleunigt bewegen, krümmen sie nicht nur den Raum, sondern senden zudem Gravitationswellen aus. Der Theoretiker Haas beschreibt das so: „Gravitationswellen sind physikalische Verzerrungen der Raumzeit, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen. Solche Verzerrungen werden erzeugt, sobald sich Objekte beschleunigt bewegen.“
Mit Verzerrungen der Raumzeit ist gemeint, dass die durchlaufende Welle die Abstände von Objekten im Raum verändert. „Da würde ein Apfel, der ursprünglich näherungsweise rund war, von einer Gravitationswelle in eine Richtung zusammengepresst und in die andere auseinandergezogen werden – also ein bisschen eiförmig. Und danach wird er wieder rund. Das wäre der Effekt einer Gravitationswelle“, so Haas. Allerdings ist diese Verzerrung so minimal und passiert für so einen kurzen Moment, dass man den Vorgang nicht beobachten kann. Man weiß nur theoretisch, dass er passiert.
Die Frequenzen von Gravitationswellen können zwischen 10-18 und 104 Hertz liegen. Zum Vergleich: Hörbare Tonfrequenzen haben 20 Hertz bis 20 Kilohertz, die von sichtbarem Licht einige Hundert Terahertz – wobei ein Terahertz 1012 Hertz entspricht. Mit Licht haben Gravitationswellen gemeinsam, dass es sich ebenfalls um Transversalwellen handelt, die sich im Vakuum fortpflanzen können. Allerdings werden Gravitationswellen nicht von Staub oder Gas im Weltraum absorbiert, wie das bei Licht passiert. Ihr Ausbreitungsverhalten entspricht eher dem von Schall: „Der Schall quetscht und dehnt die Luft und eine Gravitationswelle eben den Raum“, sagt Danzmann.
Den „riesigen Knall“ verschmelzender Schwarzer Löcher messen
Die von Gravitationswellen transportierte Energiemenge kann erheblich sein: Eine Supernova in unserer Galaxis erzeugt Gravitationswellen mit einem Energiefluss von einem Kilowatt pro Quadratmeter, das ist soviel wie die Sonne an Licht zu uns schickt. Dennoch sind die Wellen schwer nachzuweisen, denn „der Raum ist extrem steif und es braucht riesige Energie, um ihn auch nur ein klein wenig zu krümmen“, so Danzmann.
Messgeräte wie Gravitationswellendetektoren konzentrieren sich daher auf kosmische Großereignisse – von leuchtkräftigen Sternexplosionen über schnell umeinander kreisende Neutronensterne bis hin zu superschweren Schwarzen Löchern. Danzmann beschreibt das so: „Immer wenn Galaxien zusammenstoßen, und das tun sie in kosmischen Weiten dauernd, dann verschmelzen irgendwann die beiden Schwarzen Löcher in ihren Zentren und das gibt einen riesigen Knall – und genau das messen wir dann.“
Im Prinzip sendet jede Masse, die sich nicht gleichförmig durch den Raum bewegt, Gravitationswellen aus. Das trifft gleichermaßen auf einen startenden Langstreckenläufer zu, wie auch auf Planeten, die ihren Stern umkreisen. Was sich unterscheidet, ist die Stärke und Frequenz der entstehenden Gravitationswellen. „Je schwerer das Objekt, je mehr und je schneller sich die Position verändert, desto stärker sind die Gravitationswellen. Bei schweren Himmelskörpern ist einfach mehr Masse da und dadurch wird ein stärkeres Gravitationsfeld erzeugt,“ sagt Haas.
Quellen bestimmen die Wellenfrequenz
Von den Quellen hängt es auch ab, welche Frequenz die Gravitationswellen besitzen. „Prinzipiell gilt, je schwerer die Körper sind, desto niederfrequenter ist die Strahlung, die sie emittieren“, sagt Danzmann. Supernovae zählen mit Emissionen von bis zu einem Kilohertz zu den hochfrequenteren Gravitationsquellen. Bei diesen extrem leuchtkräftigen Sternexplosionen stoßen massereiche Sterne, die ihren nuklearen Energievorrat verbraucht haben, die Außenschichten in einer gewaltigen Explosion ab. Das Innere kollabiert dann zu einem Neutronenstern oder Schwarzen Loch. Einen Teil der dabei freiwerdenden Energie geben sie als Gravitationswellen ab. Schnell rotierende Neutronensterne, die nicht rotationssymmetrisch sind, senden ebenfalls Gravitationswellen aus. Hier liegen die typischen Frequenzen zwischen zehn und tausend Hertz.
Bei engen Doppelsternsystemen aus Neutronensternen oder Schwarzen Löchern, die einander umkreisen und dabei Energie verlieren, können die Frequenzen der ausgesendeten Gravitationswellen niedriger sein. Die Schwingungsdauer der Welle entspricht der Hälfte der Umlaufzeit. Das heißt, je näher sich die Himmelskörper kommen, desto geringer wird die Wellenlänge und desto höher die Frequenz: „Verschmelzende Doppelneutronensterne können bei sehr tiefen Frequenzen anfangen und sich dann in der letzten Sekunde bis zu wenigen Hundert Hertz hoch zirpen“, so Danzmann, „Schwarze Löcher, die kommen natürlich in allen Formen und Farben.“
Supermassereiche Schwarze Löcher, die 100 000 bis mehrere Milliarden mal so massereich sind wie unsere Sonne, senden Frequenzen im Millihertzbereich aus, wenn sie miteinander verschmelzen. Die ausgesandten Wellen von verschmelzenden Schwarzen Löchern mit einigen Dutzend Sonnenmassen haben Frequenzen von etwas unter einhundert Hertz und bei denen mit wenigen Sonnenmassen, liegen sie über Hundert.
Gravitationswellen transportieren Informationen vom Urknall
Besonders vielfältige Quellen von Gravitationswellen vermuten Forscher in den Anfängen des Universums: „Da gibt es alle möglichen Szenarien, wie durch den Urknall Gravitationswellen entstanden sind. Praktisch jedes Szenario dabei hat solche Wellen produziert “, sagt Danzmann. Der Urknall war der heftigste Vorgang in der Geschichte des Kosmos. Die damals ausgelösten Wellen enthalten viele Frequenzen eines breiten Spektrums und durchziehen das Universum heute noch als allgegenwärtiges Rauschen – das ist die sogenannte stochastische Hintergrundstrahlung. Gravitationswellen können also nicht nur neue Erkenntnisse über kosmische Großereignisse im Universum liefern, sondern auch über die Entstehung des Universums selbst.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/gravitationswellen/wie-entstehen-gravitationswellen/