Kosmische Strahlung und die energiereichsten Himmelskörper
Die Erde wird unablässig von hochenergetischen Teilchen bombardiert. Auch wenn diese kosmische Strahlung nicht direkt sichtbar ist, so beeinflusst sie uns in vielerlei Hinsicht. Mit neuen Instrumenten suchen Physiker nach dem Ursprung der hochenergetischen Partikel und eröffnen damit faszinierende Einblicke in die energiereichsten Vorgänge im Universum.
Der österreichische Physiker Victor Hess entdeckte 1912 die kosmische Strahlung auf damals recht abenteuerliche Weise. Hess beschäftigte sich mit der Frage, worauf die elektrische Leitfähigkeit der Luft beruht. Es bestand bereits die Vermutung, dass energiereiche Teilchen aus dem Kosmos dies bewirken. Dann müsste, so folgerte Hess, die elektrische Leitfähigkeit in großer Höhe ansteigen. Zwischen 1911 und 1913 stieg der wagemutige Forscher mit Freiballonen in Höhen von über 5000 Meter auf und konnte den vorhergesagten Effekt tatsächlich nachweisen. Damit lieferte er den Beweis, dass kosmische Strahlungsteilchen in die Atmosphäre eindringen und darin Atome ionisieren. Den Begriff „kosmische Strahlung“ prägte 1924 der amerikanische Physiker Robert Millikan.
Heute ist bekannt, dass die kosmische Strahlung im Wesentlichen aus Atomkernen mit ganz unterschiedlichen Energien besteht. Diese sind mitunter um viele Zehnerpotenzen höher als in den größten Teilchenbeschleunigern auf der Erde. Die energiereichsten Atomkerne, die man bislang registriert hat, besaßen fast soviel Bewegungsenergie wie ein stark geschlagener Tennisball.
Für die Entwicklung des Kosmos ist die kosmische Strahlung sicher bedeutsam. Hierfür spricht allein schon die Tatsache, dass in ihr ebensoviel Energie steckt wie im gesamten Sternenlicht oder in allen kosmischen Magnetfeldern des Universums zusammen.
Auf der Suche nach den kosmischen Beschleunigern
Bei all den Fortschritten der vergangenen Jahrzehnte ist immer noch weitgehend unbekannt, welche Himmelskörper die Teilchen beschleunigen und auf welche Weise dies geschieht. Eines ist aber klar: Die physikalischen Prozesse müssen sich fundamental von denen unterscheiden, die beispielsweise für das sichtbare Licht der Sterne verantwortlich sind. Letztere nennt man „thermische Strahlung“. Ihre Energie wächst mit der Temperatur des leuchtenden Himmelskörpers. Vom Urknall abgesehen, ist aber kein Objekt im Weltall bekannt, das auch nur annähernd so hohe Temperaturen aufweist, um als Quelle für Teilchen der kosmischen Strahlung in Frage zu kommen. Hierfür müssen andere Mechanismen verantwortlich sein, die man als nicht thermisch bezeichnet.
Das energiereichste Ereignis im Universum, der Urknall, scheidet als Herkunftsquelle aus. Aus dem Anteil radioaktiver Kerne mit „kurzen“ Zerfallszeiten in der kosmischen Strahlung kann man nämlich schließen, dass zwischen der Erzeugung der Partikel und ihrem Eintreffen in der Erdatmosphäre höchstens ein paar Millionen Jahre vergangen sein können. Damit ist auch klar, dass ein großer Teil der kosmischen Strahlung in unserer eigenen Galaxie erzeugt werden muss. Nur bei den allerhöchsten Energien spekuliert man auf einen Ursprung in fernen Galaxien.
Das Studium der kosmischen Strahlung ist auch fast hundert Jahre nach Hess' Ballonflügen immer noch ein schwieriges Unterfangen. Wenn ein hochenergetisches Teilchen in die Atmosphäre eindringt, so stößt es in zwanzig bis dreißig Kilometern Höhe mit einem Atomkern zusammen. Die beiden Kerne zerplatzen, und neue Teilchen werden frei, die weiter in Richtung Erdboden rasen. Diese treffen erneut auf Atomkerne und lösen weitere Teilchen aus. Erst wenn die Energie des Primärteilchens in dieser Kaskade aufgebraucht ist, kommt der Prozess zum Erliegen. Auf der Erde kommt ein so genannter Luftschauer an. Das bedeutet aber auch, dass die Primärteilchen selbst gar nicht auf der Erde ankommen. Wie lassen sie sich dann studieren?
Mit Weltraumexperimenten ist dies grundsätzlich möglich. Doch gerade die interessantesten Teilchen mit den ganz hohen Energien sind extrem selten. Bei relativ „bescheidenen“ Energien von einigen Milliarden Elektronenvolt wird ein Satellit noch von vielen Teilchen pro Sekunde getroffen. Für die kosmischen Beschleuniger in unserer Galaxis sind aber Energien bis zu 1015 Elektronenvolt (eV) charakteristisch. Von ihnen kommt am Oberrand der Atmosphäre gerade noch ein Teilchen pro Jahr und Quadratmeter an. Bei den allerhöchsten Energien oberhalb von 1020 eV erreicht uns etwa noch alle hundert Jahre ein Teilchen pro Quadratkilometer. Ein Satelliteninstrument mit einer etwa einen Quadratmeter großen Messfläche müsste hundert Millionen Jahre auf den ersten „Treffer“ warten.
Die einzige, heute gangbare Alternative zu Weltraumexperimenten besteht darin, am Boden Stationen aufzubauen, mit denen sich die Luftschauerteilchen nachweisen lassen. Aus ihren Eigenschaften lässt sich dann auf Art und Energie des Primärteilchens rückschließen. Doch diese Art der Beobachtung ermöglicht es nicht, die Quelle eines Primärteilchens zu ermitteln oder gar Bilder von Himmelskörpern herzustellen. Magnetfelder im interstellaren Raum lenken die elektrisch geladenen Teilchen von ihren Bahnen ab und verschleiern somit jegliche Richtungsinformation. Allenfalls bei den energiereichsten Teilchen besteht die Hoffnung, einzelne Quellen am Himmel lokalisieren zu können.
Rätsel der höchsten Energien
Die Herkunft der energiereichsten Teilchen im Universum zählt mit zu den Schlüsselfragen der modernen Astrophysik. Die heißesten Kandidaten sind Supernovae. Bei einem solchen Ereignis entfernt sich eine Explosions- oder Schockwelle mit einigen zehntausend Kilometern pro Sekunde vom Vorläuferstern. Atomkerne werden in den Magnetfeldern, die solche Wellen mit sich führen, gefangen und gewinnen im Lauf der Zeit enorme Energien, ähnlich wie ein Surfer auf einer hohen Welle. Auch die Endstadien der explodierten Sterne, so genannte Pulsare, können Teilchen in ihren extrem starken Magnetfeldern beschleunigen.
Die Beschleunigung in Supernova-Schockwellen reicht aber nach heutigem Wissen nicht aus, um die allerhöchsten in der kosmischen Strahlung gemessenen Energien zu erklären. Größere und stärkere Schockwellen treten wahrscheinlich in Teilchenstrahlen aktiver Galaxien auf. Diese so genannten Jets können mehrere hunderttausend Lichtjahre weit in den intergalaktischen Raum reichen. Sie sind derzeit Kandidaten für die kosmischen „Super-Teilchenbeschleuniger“.
Doch diese Hypothese wirft ein Problem auf: Die Teilchen stoßen auf ihrem Weg durch den intergalaktischen Raum mit der Mikrowellenstrahlung zusammen. Dadurch verlieren sie beständig Energie. Man vermutet, dass die Teilchen deshalb höchstens einige hundert Millionen Lichtjahre zurücklegen können. Innerhalb dieses Abstandsradius gibt es aber nur sehr wenige Galaxien um unser Milchstraßensystem herum, die als kosmische Beschleuniger überhaupt in Frage kommen. Eine erst kürzlich veröffentlichte Hypothese vermutet einen ganz anderen Ursprung für einen Teil der kosmischen Strahlung. Sie könnte vielleicht bei Zerfällen sehr schwerer und bisher unbekannter Elementarteilchen oder anderer Relikte aus dem Urknall entstehen.
Die neuen Instrumente
Mit einer neuen Generation von Messinstrumenten untersuchen Astroteilchenphysiker heute und in naher Zukunft diese rätselhaften Teilchen. In Argentinien entsteht derzeit das Pierre-Auger-Observatorium, eine riesige Anlage, bei der zahlreiche Detektorstationen auf einer Fläche von über 3000 Quadratkilometern verteilt werden. Mit ihm werden die Luftschauer registriert, um daraus die Energien, Einfallsrichtungen und andere Eigenschaften der kosmischen Strahlungsteilchen bei allerhöchsten Energien genau zu vermessen. Hier kann man darauf hoffen, einige Quellen am Himmel zu finden.
Bei niedrigeren Energien ist dies wegen der Ablenkung in den interstellaren Magnetfeldern nicht möglich. Hier kommen neue Gamma- und Neutrinoteleskope ins Spiel. Der Trick besteht darin, dass man nicht die Teilchen selbst beobachtet, sondern deren Folgeprodukte, Neutrinos und Gammaquanten. Sie entstehen, wenn die Teilchen der kosmischen Strahlung noch im Umfeld ihres Entstehungsortes mit interstellarem Gas oder mit Strahlung in Wechselwirkung treten. Anders als die Teilchen selbst breiten sich die Gammaquanten und Neutrinos geradlinig aus. Sie erlauben es also, die Quellen zu identifizieren und sogar Himmelsaufnahmen anzufertigen.
Hochenergetische Gammastrahlung wird mit modernen Anlagen beobachtet. Sie nutzen die Atmosphäre gewissermaßen als Leuchtschirm. Dringt ein Gammaquant in die Atmosphäre ein, so entstehen bei Kollisionen mit Atomkernen elektrisch geladene Sekundärteilchen. Diese senden für den Bruchteil einer Sekunde ein bläuliches Licht aus. Das ist, als würde in der Hochatmosphäre kurzzeitig eine Leuchtstoffröhre aufflammen. Diese so genannte Tscherenkow-Strahlung lässt sich mit großen Spiegelteleskopen am Boden beobachten. Auf diese Weise ist es möglich, Bilder von Quellen hochenergetischer Gammastrahlung zu erstellen.
Diese Generation neuer Instrumente wird in den kommenden Jahren viele Rätsel der kosmischen Strahlung klären – und sehr wahrscheinlich wird sie neue Fragen aufwerfen. Interessant an diesem Forschungsgebiet sind auch die vielen Synergien mit anderen Bereichen der Astroteilchenphysik, Teilchenphysik und Astrophysik. Diese Art der Forschung offenbart uns eine bislang weitgehend unbekannte Facette des Universums.
Teilchenphysiker geben Energien meist in der Einheit Elektronenvolt (eV) an. Danach ist 1 eV die Energie, die ein einfach elektrisch geladenes Teilchen aufnimmt, wenn es in einer Potentialdifferenz von 1 Volt beschleunigt wird. Alle Energien können in diese Einheit umgerechnet werden. Die Quanten (Photonen) des sichtbaren Lichts haben ebenfalls Energien von rund 1 eV. In den größten irdischen Beschleunigern werden Energien bis zu 1012 eV erreicht. Die energiereichsten Teilchen der kosmischen Strahlung erreichen fast 1021 eV.
Kosmische Spurensuche - Astroteilchenphysik in Deutschland (Juli 2006)
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/kosmische-strahlung/die-energiereichsten-himmelskoerper/