Baikal-NT200, AMANDA, IceCube: Neutrinoastronomie in Wasser und Eis

Christian Spiering

Luftbild der Forschungsstationen am Südpol

Bislang ist es nicht gelungen, einen Himmelskörper zu identifizieren, der Neutrinos mit hohen Energien emittiert. Gerade diese Teilchen würden aber wichtige Aufschlüsse über die ungeklärte Herkunft der höchstenergetischen Teilchen der kosmischen Strahlung liefern. Der Nachweis der wenigen Neutrinos, die aus den weit entfernten Quellen die Erde erreichen, erfordert wegen der geringen Reaktions­wahrscheinlichkeit der Teilchen riesige Detektoren. Sie bestehen aus Lichtsensoren, die in tiefen Gewässern oder im Eis angeordnet werden. Neutrinos können im Wasser Myonen erzeugen, die ein schwaches bläuliches Leuchten aussenden. Registrieren die Sensoren dieses sogenannte Tscherenkow-Licht, so lässt sich die Herkunftsrichtung der Neutrinos bestimmen.

Skizze: Eine gelbe Linie läuft diagonal durch senkrechte Linien. An den senkrechten Linien befinden sich blaue und rote Kugeln.

Myon-Spur durchläuft den Baikal-Detektor

Das erste Teleskop dieser Art heißt NT200 und ist in einem Kilometer Tiefe im sibirischen Baikalsee installiert. Hier unten sind die Sensoren großteils vor der von oben kommenden kosmischen Strahlung abgeschirmt, und man kann relativ
ungestört die wenigen Teilchen herausfischen, die von unten in den Detektor eindringen. Das können nur Neutrinos sein, weil nur sie in der Lage sind, den gesamten Erdball zu durchqueren. Die Signatur „Myonspur von unten nach oben“ ist darum ein eindeutiger Hinweis auf eine Neutrinoreaktion.

NT200 besteht aus 192 Sensoren, die an Trossen befestigt und über ein Volumen von siebzig Meter Höhe und vierzig Meter Durchmesser angeordnet sind. Damit gelang 1996 der erste Nachweis solcher Spuren. Die Empfindlichkeit dieser Konfiguration wurde 2005 durch drei weit entfernte Trossen, jede mit zwölf Sensoren, auf ein Vielfaches erhöht. Die Komponenten des Baikaldetektors werden im späten Winter von der bis zu einen Meter dicken Eisdecke ins Wasser abgelassen – eine im Gegensatz zu Schiffen unbewegliche und darüber hinaus kostenlose Installationsplattform. Mit der Uferstation durch mehrere Kabel verbunden, liefert das Teleskop dann das ganze Jahr über Daten.

Personen in dicker Winterkleidung hinter einer durchsichtigen Kugel mit Elektronik im Inneren. Die Kugel hängt an einer Halterung.

Installation eines Photomultipliers

Mit einem halben Kilometer Höhe und 200 Meter Durchmesser übertrifft AMANDA (Antarctic Muon And Neutrino Detector Array) NT200 beträchtlich. Dieses Neutrinoteleskop am Südpol besteht aus 677 Lichtsensoren, die an 19 Trossen befestigt und in den drei Kilometer dicken Eispanzer der Antarktis eingefroren sind. Die zwei Kilometer tiefen Löcher für die Trossen werden mit achtzig Grad heißem Wasser in das Eis geschmolzen. Die Installation geschieht bei Außentemperaturen von minus 30 bis minus 45 Grad Celsius. Da sie vor dem Rückfrieren des Loches beendet sein muss, stellt sie eine Herausforderung an Disziplin, Konzentration und physische Kondition dar. Der Erfolg von AMANDA beruht zum großen Teil auf der exzellenten Infrastruktur der amerikanischen Amundson-Scott-Station am Südpol.

Die Winkelauflösung von AMANDA für Myonspuren beträgt etwa zwei Grad. Weil man auch hier nur die von unten kommenden Spuren als klare Neutrinoprodukte einstuft, ist AMANDAs bevorzugtes Blickfeld der Nordhimmel. Detektoren im Baikalsee und im Mittelmeer (ANTARES) beobachten dagegen in erster Linie den Südhimmel.

Wissenschaftliche Ergebnisse

Mit AMANDA wurden bisher mehrere tausend Neutrinoreaktionen registriert, bei NT200 sind es einige hundert. Fast alle diese Neutrinos scheinen jedoch nicht aus großer Ferne zu kommen. Sie stammen aus Reaktionen von geladenen kosmischen Strahlen in der Erdatmosphäre. Ihre Zahl und ihr Energiespektrum sind verträglich mit den Erwartungen für solche „atmosphärischen“ Neutrinos.

Himmelskarte mit Breiten- und Längengeraden. Beschriftet mit 90 oben, minus 90 unten, 0h rechts und 24h links. Die obere Halbkugel ist übersät mit kleinen blauen Kreuzen, die untere Halbkugel dagegen völlig blank.

Himmelskarte

Ein augenscheinliches Indiz dafür liefert auch der Blick auf die Richtungsverteilung der Neutrinos, wie sie zwischen 2000 und 2003 für 3329 Neutrinos aufgezeichnet wurde. Eine starke extraterrestrische Quelle würde sich durch eine Punkthäufung in der entsprechenden Richtung zu erkennen geben. Die Verteilung der Neutrinos am nördlichen Himmel (AMANDAs Blickfeld) ist jedoch gleichmäßig. Etwaige Anhäufungen in irgendeine Richtung sind mit statistischen Fluktuationen verträglich.

Für eine klare Entdeckung extraterrestrischer Quellen von hochenergetischen Neutrinos wird man darum wohl auf das Nachfolgeprojekt IceCube warten müssen. Während AMANDA etwa dreißigmal geringere Neutrinoflüsse als die bisherigen Neutrinodetektoren in Höhlen und Tunneln nachweisen kann, übertrifft IceCube AMANDA noch einmal um das Dreißigfache und stößt in einen Empfindlichkeitsbereich vor, in dem die Entdeckung einer extraterrestrischen Quelle nach gängigen astrophysikalischen Modellen fast unausweichlich erscheint.

Luftbild einer schneebedeckten Ebene mit einigen Gebäuden.

IceCube Heißwasser-Bohranlage am Südpol

Neutrinoteleskope sind Mehrzweckinstrumente. Neben der Beobachtung astrophysikalischer Objekte betreibt man mit NT200 und AMANDA auch die Suche nach Zerfallsprodukten der Dunklen Materie und nach anderen exotischen Teilchen, wie magnetischen Monopolen, superschweren Teilchen, die das Analogon zu elektrischen Punktladungen darstellen. In beiden Fällen haben NT200 und AMANDA bisher Rekordausschlussgrenzen aufgestellt.

Ausblick

Das vollständige Neutrinoobservatorium besteht aus 4800 Sensoren an sechzig Trossen und observiert ein Volumen von einem Kubikkilometer. Eine zusätzliche Anordnung von Eistanks an der Oberfläche (ähnlich wie im Pierre-Auger-Observatorium) erweitert das Spektrum der physikalischen Möglichkeiten wesentlich. Vielleicht lässt sich die Sensitivität dieser Anlage bei extrem hohen Energien noch einmal um einen Faktor hundert steigern, indem man akustische und Radiodetektoren in einem weitmaschigen Netz um IceCube anordnet. Entsprechende Voruntersuchungen laufen bereits.

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/kosmische-strahlung/kosmische-neutrinos/neutrinosuche-in-wasser-und-eis/