„Neue spannende Möglichkeiten für das junge Universum“

Zufällig entdecken Astronomen vier Galaxien im frühen Universum, die hundertmal schneller Sterne bilden als das Milchstraßensystem.

Jana Harlos

Das Bild zeigt die künstlerische Darstellung eines Quasars, der hell und punktförmig leuchtet. Links davon ist eine benachbarte Galaxie abgebildet, sowie andere Sterne im Hintergrund.

In beinahe jeder Galaxie befindet sich ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum. Manche dieser Schwarzen Löcher – sogenannte Quasare – sind von einer rotierenden Staub- und Gaswolke umgeben, die sich aufheizt und dadurch hell aufleuchtet. Selbst wenn solche aktiven Galaxienkerne mehrere Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sind, lassen sie sich noch beobachten. Mithilfe der Teleskopanlage ALMA in Chile hat ein Forscherteam nun überraschenderweise vier Nachbargalaxien von Quasaren entdeckt, die bereits weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall hundertmal schneller Sterne produziert haben als unsere Milchstraße. Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen nun im Fachmagazin „Nature“. Welt der Physik sprach darüber mit Roberto Decarli vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.

Wann entstanden die ersten Galaxien im Universum?

Man weiß nicht genau, wann sich die ersten Galaxien formten. Denn kurz nach ihrer Entstehung waren sie von dichtem, undurchsichtigem Gas umgeben. Dieses Gas bestand aus neutralen Atomen, die das Licht gewissermaßen schluckten. Das Licht der ersten Sterne ionisierte diese Atome allerdings und sorgte so dafür, dass das Gas durchlässig wurde für Licht. Diese sogenannte Reionisierungsphase begann etwa zwischen 250 und 450 Millionen Jahre nach dem Urknall. Die allerersten Galaxien müssen sich also vor dem Beginn dieser Phase gebildet haben. Etwa 850 Millionen Jahre nach dem Urknall war das Universum fast vollständig ionisiert – die Reionisierungsphase endete. Wir haben nach Galaxien gesucht, die zu diesem Zeitpunkt der Geschichte des Universums entstanden sind.

Das Bild zeigt ein Portät des Physikers Roberto Decarli vom Max-Planck-Institut für Astronomie.

Roberto Decarli vom MPIA

Woher weiß man, wie alt Galaxien sind?

Mithilfe der sogenannten Rotverschiebung können wir berechnen, wie weit Galaxien von uns entfernt sind. Da sich das Universum ausdehnt, verschiebt sich nämlich die Wellenlänge des von den Galaxien abgestrahlten Lichts zu roten Wellenlängen hin. Je weiter eine Lichtquelle von uns entfernt ist, desto stärker ist diese Rotverschiebung durch die Expansion des Kosmos. Auf diese Weise können wir anhand des Lichtspektrums einer Galaxie darauf schließen, wie weit sie von uns entfernt und wie alt sie ist.

Nach welchen Galaxien haben Sie gesucht?

Ursprünglich wollten wir die Wirtsgalaxien von Quasaren untersuchen und damit mehr über die Sternentstehung in Galaxien lernen. Ein Quasar ist ein Schwarzes Loch mit einer Masse zwischen einer Million und einer Milliarde Sonnenmassen, dem sich große Mengen an Gas und Staub auf spiralförmigen Bahnen nähern. Die Materie erhitzt sich dabei und gibt einen Teil der dadurch aufgenommenen Energie wieder in Form von Licht ab. Dieses Licht kann heller leuchten als hundert Milliarden Sterne. Quasare sind damit die hellsten stationären Objekte im frühen Universum. Astronomen haben auch herausgefunden, dass die Wirtsgalaxien von Quasaren oftmals sehr hohe Sternentstehungsraten aufweisen – bis zu tausend neue Sterne können sich dort pro Jahr bilden. Damit bieten sie eine ideale Möglichkeit, die frühen Phasen der Galaxienentstehung im Universum zu untersuchen.

Wie wird die Sternentstehungsrate von Galaxien gemessen?

Wir können die Sternentstehungsrate von Galaxien auf zwei Weisen abschätzen: Eine Möglichkeit besteht darin, ionisierte Kohlenstoffatome zu untersuchen. Kohlenstoffionen fördern die Sternentstehung, da sie zur Kühlung der Gaswolke beitragen, wodurch diese immer dichter und kompakter wird. Dies führt letztendlich dazu, dass das Gas unter seiner eigenen Schwerkraft zusammenstürzt und zu einem Stern wird. In der Gaswolke stoßen die Kohlenstoffionen mit anderen Atomen und Partikeln zusammen, sodass sie zusätzliche Energie aufnehmen. Anschließend wird die aufgenommene Energie in Form von Photonen mit einer charakteristischen Wellenlänge abgegeben. Diese Emission können wir direkt messen und so Rückschlüsse auf den Anteil von Kohlenstoffionen und damit auf die Rate der Sternentstehung ziehen. Die andere Methode basiert darauf, dass junge Sterne ultraviolette Strahlung abgeben, welche die Molekülwolke – aus der sie entstanden sind – aufheizt. Misst man die Helligkeit dieser Molekülwolke, lässt sich abschätzen, wie viele junge Sterne sie beherbergt.

Das Bild zeigt die Radioteleskope von ALMA gehören auf einer Hochebene in Chile.

ALMA in Chile

Wie haben Sie nach diesen Galaxien gesucht?

Wir haben Messdaten analysiert, die das Atacama Large Millimeter Array oder kurz ALMA in Chile in einem kleinen Ausschnitt des Himmels aufgenommen hat. Abgesehen von der Analyse der Quasare haben wir unsere Datensätze auch nach anderen Lichtquellen untersucht – beispielsweise nach sehr stark rotverschobenen Galaxien am Ende der Reionisationsphase.

Was haben Sie entdeckt?

Insgesamt haben wir 25 Himmelsregionen nach Quasaren abgesucht und dabei überraschenderweise vier Galaxien gefunden, die in direkter Nachbarschaft zu den Wirtsgalaxien von Quasaren liegen. Diese neu entdeckten Galaxien weisen eine sehr hohe Sternentstehungsrate auf – hundert Sonnenmassen pro Jahr. In der Milchstraße entsteht dagegen nur etwa ein neuer Stern pro Jahr. Außerdem zeigen die ALMA-Beobachtungen eine Galaxienkonfiguration, bei der es sich offenbar um das früheste bekannte Beispiel für zwei miteinander verschmelzende Galaxien handelt.

Was unterscheidet die vier neu entdeckten Galaxien von der Milchstraße?

Diese Galaxien sehen anders aus als unsere Milchstraße. Zum einen enthalten sie zehnmal mehr Gas – und damit Baumaterial für die Sternentstehung – als die Milchstraße heute. Zum anderen befinden sich die neu entdeckten Galaxien in der Nähe von hellen Quasaren. Und Quasare entstehen nach heutigem Verständnis in Regionen des Weltalls, in denen die Materiedichte deutlich über dem Durchschnitt liegt. Das könnte dazu geführt haben, dass die beobachteten Galaxien besonders schnell neue Sterne bilden.

Was sind die nächsten Schritte Ihrer Forschung?

Die vier alten Galaxien eröffnen neue, aufregende Möglichkeiten, um das frühe Universum besser zu verstehen. Bislang ist beispielsweise unklar, wie bereits 1,5 Milliarden Jahre nach dem Urknall extrem massereiche Galaxien existieren konnten. Galaxien mit einer hohen Sternentstehungsrate wären hier eine Lösung. Ob die neu entdeckten Galaxien tatsächlich die Vorläufer solcher massereichen Galaxien sind, wollen wir mit weiteren Beobachtungen klären.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2017/neue-spannende-moeglichkeiten-fuer-das-junge-universum/