Was die Milchstraße bewegt
Rainer Kayser
Die Milchstraße wird nicht nur von einer riesigen Galaxienansammlung angezogen, sondern auch von einer gigantischen leeren Region abgestoßen. Das zeigt die bislang umfangreichste und genaueste Analyse der Galaxienbewegungen in unserer kosmischen Umgebung durch ein internationales Forscherteam. Die leere Region ist etwa 600 Millionen Lichtjahre entfernt und 400 Millionen Lichtjahre groß. Zusammen mit dem 700 Millionen Lichtjahre entfernten Shapley-Superhaufen produziert die leere Region ähnlich einem Magneten ein Dipolfeld, in dem sich die Galaxien bewegen, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature Astronomy“.
„Unsere lokale Galaxiengruppe bewegt sich relativ zu der kosmischen Hintergrundstrahlung mit einer Geschwindigkeit von 630 Kilometern pro Sekunde“, erläutern Yehuda Hoffman von der Hebräischen Universität Jerusalem und seine Kollegen. „Dieser Galaxienstrom erstreckt sich über mehr als 800 Millionen Lichtjahre.“ Als Hauptursache für diese gemeinschaftliche Bewegung der Galaxien sahen die Astronomen lange den „Großen Attraktor“ an, eine 150 Millionen Lichtjahre entfernte Ansammlung von Galaxienhaufen.
Dann entdeckten die Himmelsforscher hinter dem Großen Attraktor eine noch größere Struktur, den 700 Millionen Lichtjahre entfernten Shapley-Superhaufen, der über zwei Dutzend große Galaxienhaufen enthält. Doch selbst mit dieser kosmischen Superstruktur ließ sich die Bewegung der Milchstraße und ihrer Nachbargalaxien nicht befriedigend erklären. Seit Langem vermuten Forscher daher, dass zusätzlich eine große Region, in der es kaum Galaxien gibt, eine Rolle spielt. Der Nachweis einer solchen „Void“ erwies sich jedoch bislang als weit schwieriger als der Nachweis von großen Galaxienansammlungen.
Hoffman und seine Kollegen beschritten daher einen anderen Weg: Statt direkt Galaxien zu suchen und deren Dichte zu kartieren, untersuchten sie mit hoher Genauigkeit das kosmische Geschwindigkeitsfeld der Galaxien. Denn dieses Strömungsfeld entsteht durch die Schwerkraft der umgebenden Materieansammlungen und spiegelt so die Verteilung der Materie und damit auch der Galaxien wieder. Auf diese Weise konnten Hoffman und seine Kollegen aus dem Strömungsfeld die Existenz eines großen Leerraums ableiten, der dem Shapley-Attraktor gegenüber liegt und mit diesem eine Art Dipol bildet. Extrem empfindliche Himmelsdurchmusterungen im optischen, infraroten und Radiobereich könnten in wenigen Jahren diese große Leere auch direkt nachweisen, hoffen Hoffman und seine Kollegen.
Weltraum aktuell gemäß den Bedingungen der Quelle
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2017/was-die-milchstrasse-bewegt/