Fehlende kosmische Materie aufgespürt
Zwanzig Jahre dauerte die Suche nach einem wesentlichen Teil der sogenannten baryonischen Materie, aus der Sterne, Planeten und auch wir bestehen. Mit dem Röntgensatelliten XMM-Newton wurden Astronomen nun endlich fündig: Etwa die Hälfte der gewöhnlichen Materie verbirgt sich in Form von heißem Gas mit Temperaturen von 100 000 bis 10 Millionen Grad Celsius in filamentförmigen Strukturen zwischen den Galaxien. Ihre Beobachtungen stellt das Team jetzt im Fachblatt „Nature“ vor.
Gemäß dem Standardmodell der Kosmologie besteht der Kosmos zu etwa 70 Prozent aus Dunkler Energie, zu 25 Prozent aus Dunkler Materie und lediglich zu 5 Prozent aus gewöhnlicher – oder baryonischer – Materie. Doch zählen Astronomen alle beobachtbaren Formen der gewöhnlichen Materie zusammen, kommen sie lediglich auf knapp zwei Prozent. Computersimulationen der kosmischen Entwicklung deuten seit Langem an, dass sich die fehlende baryonische Materie als heißes Gas außerhalb von Galaxien verbirgt – bevorzugt in sogenannten Filamenten. Diese Filamente verbinden große Ansammlungen von Galaxien. Doch ein Nachweis des heißen Gases erwies sich bislang als schwierig – denn es besteht hauptsächlich aus Wasserstoff, der bei den hohen Temperaturen nahezu unsichtbar ist.
Fabrizio Nicastro vom Nationalen Institut für Astrophysik in Italien und seine Kollegen beobachteten zwischen 2015 und 2017 insgesamt 18 Tage lang einen vier Milliarden Lichtjahre entfernten Quasar mit dem Röntgensatelliten XMM-Newton – das ist die bislang längste Beobachtungszeit für einen solchen aktiven Galaxienkern im Röntgenbereich. Und die Mühe hat sich gelohnt: Die Astrophysiker identifizierten im aufgenommen Röntgenspektrum feine Absorptionslinien von ionisiertem Sauerstoff. Denn im Gegensatz zum Wasserstoff verrät sich selbst eine geringe Menge an Sauerstoffionen in dem heißen Gas, weil die Ionen einen Teil der Strahlung des Quasars absorbieren. Auch die räumliche Lage des absorbierenden Gases sowie die Stärke der Absorption decken sich nach Aussage der Forscher mit den Vorhersagen der numerischen Simulationen. „Wir ziehen deshalb den Schluss, dass wir die fehlende baryonische Materie gefunden haben“, so Nicastro und seine Kollegen.
Die Forscher wollen in den kommenden Jahren weitere Quasare mit diesem Verfahren beobachten, um zu beweisen, dass ihr Ergebnis universell gilt und kein Einzelfall ist. Für eine genaue Untersuchung der Verteilung und der physikalischen Beschaffenheit des heißen Gases ist XMM-Newton allerdings nicht empfindlich genug. Doch für das Jahr 2028 plant die europäische Raumfahrtbehörde ESA den Start des noch empfindlicheren Röntgenteleskops Athena. Damit, so hoffen die Astrophysiker, ließe sich dann die Entwicklung des intergalaktischen Gases detailliert beobachten.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2018/fehlende-kosmische-materie-aufgespuert/