Zwerggalaxie ohne Dunkle Materie

Astronomen beobachten eine Galaxie, die nicht ins Bild passt – und alternative Gravitationstheorien infrage stellt.

Rainer Kayser

Schwach leuchtende, ausgedehnte Struktur mit mehreren hellen Flecken

Gemini Observatory/NSF/AURA/W.M. Keck Observatory/Jen Miller/Joy Pollard

Die 65 Millionen Lichtjahre von uns entfernte Zwerggalaxie NGC 1052-DF2 enthält nur sehr wenig oder möglicherweise gar keine Dunkle Materie, berichten Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“. Das ist ungewöhnlich, denn üblicherweise beherbergen solche Galaxien deutlich mehr Dunkle Materie als gewöhnliche Materie in Form von Sternen. Der überraschende Fund stellt alternative Gravitationstheorien – die ohne die bislang rätselhafte Dunkle Materie auskommen – infrage, da es solche Systeme diesen Konzepten zufolge nicht geben dürfte.

Die Bewegungen von Sternen in Galaxien sowie von Galaxien in Galaxienhaufen zeigen, dass die wirkenden Anziehungskräfte erheblich größer sind als allein aufgrund der sichtbaren Materie zu erwarten. Es müsse also zusätzlich eine unsichtbare Materieform geben, folgerten Astronomen bereits in den 1930er-Jahren, die Galaxien und Galaxienhaufen mit ihrer Schwerkraft zusammenhält. Diese „Dunkle Materie“ macht rund 80 Prozent der gesamten Materie im Kosmos aus. In Galaxien variiert das Verhältnis von Dunkler Materie zu gewöhnlicher Materie je nach Art und Größe des Systems. In extrem diffusen Zwerggalaxien wie NGC 1052-DF2 findet sich typischerweise etwa 400-mal mehr Dunkle Materie als normale Materie in Form von Sternen.

Links: Schwach leuchtende, ausgedehnte Struktur mit mehreren hellen Flecken. Rechts: Einer der hellen Flecken vergrößert, darunter Kurven, die Ausschnitte aus dem Spektrum zeigen.

NGC 1052-DF2

Pieter van Dokkum von der Yale University in den USA und seinen Kollegen kommen nun aber zu einem anderen Ergebnis. Die Astronomen hatten die Eigenbewegung von zehn Kugelsternhaufen in NGC 1052-DF2 bestimmt und daraus auf die Gesamtmasse des Systems geschlossen. Während etwa 200 Millionen Sonnenmassen in Form von Sternen vorliegen, beträgt die gesamte Masse der Zwerggalaxie demnach maximal 340 Millionen Sonnenmassen. Im Rahmen der Messgenauigkeit sind diese Ergebnisse damit verträglich, dass die Gesamtmasse mit der Masse aller Sterne übereinstimmt: Die Zwerggalaxie enthält also nur sehr wenig oder gar keine Dunkle Materie. Dieser überraschende Befund zeige, dass Dunkle Materie auf der Skala von Galaxien nicht – wie bislang angenommen – stets an die gewöhnliche Materie gekoppelt ist. „Es handelt sich also um eine unabhängige Substanz, die in einer Galaxie vorhanden sein kann oder auch nicht“, so das Team um van Dokkum.

Konsequenzen hat die Entdeckung der ungewöhnlichen Zwerggalaxie vor allem für alternative Gravitationstheorien. Bei diesen Ansätzen ändern Forscher die Gravitationsgesetze ab, um die beobachtete Bewegung von Sternen und Galaxien ohne Dunkle Materie zu erklären. Dabei hängt die Dynamik – und die dadurch „vorgetäuschte“ Dunkle Materie – aber stets von der vorhandenen gewöhnlichen Materie ab. Eine Galaxie wie NGC 1052-DF2 dürfte es demnach nicht geben.

Für die Abwesenheit von Dunkler Materie in NGC 1052-DF2 könnte dessen Entstehungsgeschichte verantwortlich sein, spekulieren die Forscher. Normalerweise bilden sich zunächst Verdichtungen aus Dunkler Materie, in denen sich normale Materie ansammelt, aus der dann Sterne entstehen. Das nun untersuchte System könnte dagegen aus Gas entstanden sein, das bei einer Galaxienkollision ausgestoßen wurde. Aber auch intergalaktisches Gas, das von der Strahlung eines aktiven Galaxienkerns zusammengeschoben wurde, bietet eine mögliche Erklärung.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2018/zwerggalaxie-ohne-dunkle-materie/