Kometen mit inneren Spannungen

Hochaufgelöste Aufnahmen von Tschurjumow-Gerassimenko liefern neue Hinweise darauf, wie zweiteilige Kometen erodieren und ihre Form verändern.

Sven Titz

Aufnahme des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko

ESA/Rosetta/NAVCAM

Viele Kometen bestehen aus zwei miteinander verbundenen Teilen. Wie diese Himmelskörper allmählich erodieren und ihre Form verändern, wirft noch viele Fragen auf. Ein Team um Christophe Matonti von der Universität Aix-Marseille in Frankreich wertete deshalb Bilder des zweiteiligen Kometen Tschurjumow-Gerassimenko aus, die von der Rosetta-Mission der ESA stammen. In der Fachzeitschrift „Nature Geoscience“ berichten die Forscher nun, dass der Komet an seinem „Hals“ zahlreiche Brüche aufweist. Offenbar erodierte der Komet schon in seiner Frühzeit durch innere Spannungen – noch bevor sein Eis durch die Sonne zu sublimieren begann.

Matonti und seine Kollegen analysierten sowohl die Stellen, an denen die bis zu 250 Meter langen Brüche auftreten, sowie deren Orientierung. Demnach liege es nahe, dass im Innern in der Vergangenheit starke Scherkräfte gewirkt haben. Die Spannungen erreichten wahrscheinlich einen Wert von bis zu 450 Hektopascal. Das ermittelten die Wissenschaftler anhand eines Rechenmodells für die mechanischen Verhältnisse in solchen Kometen. Am stärksten waren die Spannungen demnach am Hals des Kometen. Die Forscher vermuten, dass sich die Brüche bis zu 500 Meter ins Innere fortgesetzt haben.

Gemäß den Autoren gibt es zwei mögliche Ursachen für das Auftreten der Spannungen und der resultierenden Brüche. Zum einen befindet sich der Schwerpunkt von Tschurjumow-Gerassimenko nicht in der Halsgegend, sondern ist in Richtung des größeren Kometenteils versetzt. Die eigenen Drehbewegungen können daher Spannungen in der Halsregion auslösen. Ein weiterer Effekt lässt sich aber nicht ausschließen: Kometen sind sogenannten Gezeitenkräften unterworfen, wenn sie an Riesenplaneten vorbeifliegen. Auch diese Kräfte könnten innere Spannungen und Brüche hervorgerufen haben.

Tschurjumow-Gerassimenko ist mutmaßlich vor 3,5 bis 4,5 Milliarden Jahren aus zwei unterschiedlich großen Brocken entstanden. In seiner Frühzeit seien die beschriebenen mechanischen Effekte die Hauptursache für seine Erosion gewesen, schreiben die Forscher um Matonti. Seit der Komet vor 10 000 bis 100 000 Jahren in das Sonnensystem eindrang, überwiegt aber ein anderer Effekt: Die Sonnenstrahlung lässt das im Kometenmaterial erhaltene Eis sublimieren, also direkt vom festen in den gasförmigen Zustand übergehen.

Die Autoren der Studie nehmen an, dass sich die Erkenntnisse, die sie über Tschurjumow-Gerassimenko gewonnen haben, auf ähnlich aufgebaute Kometen übertragen lassen. Ein Beispiel ist der Komet Ultima Thule, den die Raumsonde New Horizons im Kuipergürtel aufspürte. Möglicherweise verlief seine Entstehungsgeschichte also ganz ähnlich wie die von Tschurjumow-Gerassimenko.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2019/kometen-mit-inneren-spannungen/