Besondere Neutrinos aus der Sonne
Die Sonne erzeugt ihre Energie durch Kernfusion. In ihrem dichten und heißen Inneren verschmelzen Wasserstoffkerne in verschiedenen Fusionsreaktionen zu Helium. Bei diesen mehrstufigen Prozessen entstehen als Nebenprodukt auch Neutrinos – elektrisch neutrale und nahezu masselose Elementarteilchen. Seit 2007 vermessen Wissenschaftler diese Teilchen im Experiment Borexino, das sich tief im Gestein des italienischen Gran-Sasso-Massivs befindet. Nun berichtet das internationale Forscherteam in der Zeitschrift „Nature“ über einen wichtigen Durchbruch: Erstmals gelang der Nachweis von Neutrinos, die bei einem seltenen kernphysikalischen Prozess im Zentralbereich der Sonne entstehen.
Nahezu die gesamte Energie der Sonne liefert die Proton-Proton-Reaktion. Dabei verschmelzen zunächst zwei Protonen zu einem Deuteriumkern, wobei auch ein Neutrino freigesetzt wird. Der erzeugte schwere Wasserstoff fusioniert anschließend mit einem weiteren Proton und es entsteht ein leichtes Heliumisotop. Erst jetzt kann über verschiedene Reaktionswege das Endprodukt der Kernfusion entstehen, das Isotop Helium-4. Detektoren auf der Erde wiesen die durch die Proton-Proton-Kette freigesetzten Neutrinos tatsächlich nach – und bestätigten so, dass rund 99 Prozent der Sonnenenergie aus dieser Fusionsreaktion stammt.
Etwa ein Prozent der Sonnenenergie soll dagegen auf eine alternative Fusionsreaktion zurückgehen: den Kohlenstoff-Stickstoff-Zyklus oder Bethe-Weizsäcker-Zyklus, benannt nach den beiden Physikern Hans Bethe und Carl Friedrich von Weizsäcker. Bei dieser Reaktionskette fusionieren Wasserstoffkerne mit den schwereren Kernen von Kohlenstoff und Stickstoff. Nach mehreren Zwischenschritten entsteht auch hier aus jeweils vier Wasserstoffkernen ein Helium-4-Kern. Und auch bei dieser Fusionsreaktion werden Neutrinos emittiert, die sich bezüglich ihrer Energie allerdings von jenen der Proton-Proton-Kette unterscheiden. Ein direkter Nachweis dieser Teilchen war bislang noch nicht geglückt, da sie viel seltener auftreten – und, wie für Neutrinos üblich, nur extrem schwach mit Materie in Wechselwirkung treten.
In den vergangenen Jahren erhöhten die Wissenschaftler daher die Messgenauigkeit des Borexino-Experiments, das sich abgeschirmt von äußeren Störeinflüssen rund 1400 Meter unter der Erde befindet. Der verwendete Detektor besteht aus einem kugelförmigen Nylonballon, gefüllt mit einer speziellen Flüssigkeit. In seltenen Fällen streuen Sonnenneutrinos an Elektronen in dieser Flüssigkeit, wodurch Lichtblitze entstehen. Anhand dieser Signale können die Forscher die Neutrinos nicht nur nachweisen, sondern auch auf ihre Energie rückschließen. Das ermöglichte es nun, aus der Flut an Sonnenneutrinos die wenigen Neutrinos des Kohlenstoff-Stickstoff-Zyklus herauszufiltern.
Damit gelang der erste direkte Nachweis, dass der bislang lediglich theoretisch vorhergesagte Kohlenstoff-Stickstoff-Zyklus tatsächlich im Inneren der Sonne stattfindet. Zudem ließe sich mithilfe der nun aufgespürten Neutrinos auch der Anteil an schweren Elementen in der Zentralregion der Sonne direkt messen, so die Forscher. Denn der exakte Ablauf des Kohlenstoff-Stickstoff-Zyklus hängt davon ab, wie viel Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff – das als Zwischenprodukt der Fusionsreaktion entsteht – dort vorhanden sind.
Während der Bethe-Weizsäcker-Zyklus bei unserer Sonne eine eher unbedeutende Rolle für die Energieproduktion spielt, wandeln Sterne mit größerer Masse ihren Wasserstoff primär durch diesen Prozess in Helium um. Der experimentelle Nachweis der Fusionsreaktion liefert somit auch für die Erforschung anderer Sterne wichtige Impulse.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2020/besondere-neutrinos-aus-der-sonne/