Reife Galaxie im jungen Kosmos

Rund eine Milliarde Jahre nach dem Urknall sieht ein Sternsystem bereits so aus, als wäre es viele Milliarden Jahre alt – mit aktuellen Theorien unerklärlich.

Rainer Kayser

Heller Fleck, der sich nach außen hin wolkenartig verbreitert und dunkler wird; schwarzer Hintergrund

Cardiff University

Große Galaxien wie das Milchstraßensystem bestehen zumeist aus einer flachen rotierenden Scheibe aus jüngeren Sternen sowie einer zentralen Aufwölbung aus älteren Sternen. Im gegenwärtigen Modell der Galaxienentwicklung entstehen solche Strukturen im Verlauf von vielen Jahrmilliarden. Nun entdeckten Astronomen im jungen Kosmos jedoch eine Galaxie, die bereits alle Anzeichen eines reifen Sternsystems aufweist. Es müssen also bislang unbekannte Prozesse am Werk gewesen sein, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Science“.

„Wir haben einen massereichen Bulge, eine geordnet rotierende Scheibe und möglicherweise sogar Spiralarme in einer Galaxie entdeckt – zu einer Zeit, als das Universum gerade einmal zehn Prozent seines heutigen Alters erreicht hatte“, erläutert Federico Lelli von der Cardiff University in Großbritannien. Als Bulge bezeichnen Astronomen den aufgewölbten Zentralbereich. Lelli und seine Kollegen beobachteten diese Merkmale in dem System ALESS 073.1, das 12,6 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt ist. Die Astronomen sehen die Galaxie also so, wie sie vor 12,6 Milliarden Jahren – 1,2 Milliarden Jahre nach dem Urknall – ausgesehen hat.

Die Forscher hatten deshalb erwartet, dass sich Gas und Sterne in dieser Galaxie noch ungeordnet und chaotisch bewegen. Stattdessen zeigen die Aufnahmen der Radioteleskopanlage ALMA aber eine geordnet rotierende Scheibe und eine ausgedehnte Massenkonzentration in der Mitte des Sternsystems – offenbar einen Bulge. „Die Entdeckung ist spektakulär und eine Herausforderung für unser Verständnis der Entstehung von Galaxien“, sagt Teammitglied Timothy Davis, der ebenfalls an der Cardiff University arbeitet. „Wir haben solche Strukturen nur in reifen, aber nicht in einer so jungen Galaxie erwartet.“

Denn die aktuellen Theorien zur Galaxienentwicklung gehen davon aus, dass derartige Strukturen durch dynamische Prozesse entstehen – sowohl innerhalb der Sternsysteme als auch durch den Zusammenstoß und die Verschmelzung mit vielen kleineren Galaxien. Doch diese Vorgänge benötigen viel Zeit. Daher sollten Galaxien im frühen Universum noch keine derartige Architektur aufweisen. Welche effizienten Prozesse die schnelle Entwicklung ermöglicht haben, ist derzeit noch unklar.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2021/reife-galaxie-im-jungen-kosmos/